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Russland und die Folgen der EU-Osterweiterung. Eine Tagung
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Russland und die Folgen der EU-Osterweiterung. Eine Tagung Von Jan Kixmüller Es mag nur ein Zufall gewesen sein, doch just während Ende der vergangenen Woche auf den Potsdamer Frühjahrsgesprächen der Stiftung Entwicklung und Frieden die Forderung laut wurde, dass Russland seine verhärtete Position gegenüber der EU-Osterweiterung aufgeben müsse, kamen aus Moskau Zeichen des Tauwetters. Bei dem Gespräch von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hieß es, der bislang stockende Dialog mit der EU entwickele sich konstruktiv, in ferner Zukunft könne sich Putin sogar sein Land als EU-Mitglied vorstellen. Soweit die Politik. Dass sich die Erweiterung der Europäischen Union auf die westlichen Nachbarn Russlands tatsächlich wesentlich problematischer gestaltet, war eines der Ergebnisse der prominent besetzten, zweitägigen Tagung, die von der Zeitschrift WeltTrends (Uni Potsdam) mitveranstaltet wurde. Nach wie vor sorgt sich Russland um die Märkte in den Beitrittsländern; die neuen Grenzen werden neue Fakten schaffen. Da mag mancher Experte auf dem Treffen die enormen positiven Chancen, die in der Erweiterung auch für die russische Wirtschaft liegen, betonen. Doch für den EU-Beauftragten des russischen Außenministeriums, Vladimir I. Seregin, bleiben wichtige Fragen ungelöst: Der mittlerweile im Personenverkehr geregelte Transit zwischen Russland und der Enklave Kaliningrad, die Frage der Menscherechte der russischen Minderheiten in den Beitrittsländern, Visafragen und der Handel mit nuklearen Brennstoffen etwa. Die Zukunft der Märkte sieht Außenpolitiker Seregin durch Zölle und Quoten eher behindert als beflügelt. Zahlreiche Baustellen Auch auf der westlichen Seite sieht man noch zahlreiche „alte Baustellen“, die zur Annäherung von Russland und der EU beseitigt werde müssten. Der Koordinator für deutsch-russische Zusammenarbeit des Auswärtigen Amtes, Gernot Erler, nannte etwa das Partnerschaftsabkommen, das auch auf die neuen Beitrittsländer ausgedehnt werden müsse. Im gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus und durch wirtschaftliche Annäherung sei zwar der Eindruck einer Partnerschaft entstanden, als Basis reiche das aber nicht aus. Ein ständiger Partnerschaftsrat müsse geschaffen werden. Zudem stehe die Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls durch Russlands noch aus, auch werde die European Energy Charta durch russische Einwände behindert, im Konflikt mit Tschetschenien sei kein Fortschritt zu erkennen und schließlich bereiten dem Politiker Demokratie, Pluralismus und Pressefreiheit in Russland Sorgen. Die Vision einer umfassenden Partnerschaft EU-Russland sieht auch der Russland-Experte Dr. Heinz Timmermann noch in weiter Ferne. Einigen positiven Ansätzen würden derzeit noch tiefgreifende Differenzen gegenüber stehen. Gerade was die Partnerschaft anbelange, gäbe es Unterschiede in ihrer Interpretation und Reichweite – Russland denke dabei eher an die Wirtschaft, während man in der EU mehr an Pluralisierung und gemeinsame Werte denke. Doch bei allen Ungewissheiten und Widersprüchen sieht Timmermann, wie alle Beteiligten der Tagung, die unbedingte Notwendigkeit, Russland als regionalen und globalen Akteur in die Sphäre der EU miteinzubeziehen. Russland scheint offen für diesen Prozess: Die Ernennung des WTO- und EU-Spezialisten Michail Fradkow zum neuen Ministerpräsidenten könnte ein Signal dafür sein, dass Putin an seiner Politik der Eingliederung Russlands in die Weltwirtschaft und der engen Wirtschaftskooperation mit der EU festhält. Die politische Öffnung, die wirtschaftliche Verklammerung und der gesellschaftliche Austausch zwischen der EU und Russland schließlich sieht Timmermann als „unsichtbaren Wertetransfer“, der die Kluft zwischen den beiden Sphären verringern könnte. Der Westen wünscht sich nun von Russland neben einem Energiedialog und der regionalen Stabilität auf dem Kaukasus auch eine gemeinsame Linie in Fragen der Sicherheit. Der Grenzverkehr steht im Mittelpunkt, immerhin werden weite Strecken der russischen Grenze zur Außengrenze der EU. Ein gemeinsamer Sicherheitsraum soll entstehen, der in seiner Ausbildung allerdings noch nicht abgesteckt ist. Wichtig dabei nicht nur die Fragen des internationalen Terrorismus sondern auch Schlepperbanden und der Drogenhandel. Zwischen den Drogenproduzenten in Asien und den Abnehmern in Europa hat sich Russland als Drehscheibe für Rauschgift etabliert. Dr. Peter Lock von der European Association for Research on Transformation machte allerdings nicht allzu viel Hoffnungen. Der Drogenmarkt lasse sich nicht durch Restriktion an den Grenzen eindämmen, sondern vielmehr dadurch, dass bei der Nachfrage, also den Abnehmern angesetzt werde. Eine Entkriminalisierung der Drogen bei uns würde die Handelswege austrocknen. Auch beim Terrorismus seien Grenzen kaum eine Barriere: Keine Grenze lasse sich vollkommen abschotten. Zudem kämen die Terroristen, wie Madrid gezeigt habe, aus der zweiten und dritten Generation von Einwanderern, sind also meist EU-Bürger. Das Problem ist laut Lock der gegenwärtige Terrorismus-Diskurs in Europa, der Immigranten ausschließe und dadurch radikalisiere. Dem Plädoyer für offenere Grenzen setzte Dr. Olga Potemkina von der Russischen Akademie der Wissenschaften ein einfaches Bild entgegen. Eine verschlossene Tür sei zwar keine Garantie gegen Einbrecher, eine offene Tür erhöhe aber die Wahrscheinlichkeit eines Diebstahls. Ansonsten sieht die Wissenschaftlerin große Schritte im Entgegenkommen von Ost und West. Als sie ihr Visum für die Reise nach Potsdam beantragte, bekam sie die Gebühr zurück erstattet, als Forscherin ist sie privilegiert. Letztlich zähle nicht nur, dass in einem gemeinsamen Sicherheitsraum Visafreiheit geschaffen werde, sondern der größte Fortschritt sei die Bereitschaft für solche Änderungen. Kaum negative Folgen Unterm Strich war die Tagung von herausragender Natur. Saßen doch im Potsdamer Hotel Voltaire unter anderem ein Vertreter des russischen Außenministeriums mit der ehemaligen litauischen Ministerpräsidentin, jemand von der Jabloko-Opposition aus Moskau und ein Abgesandter des Auswärtigen Amtes an einem Tisch. Die Analysten aus dem Westen sahen schließlich kaum negativen Folgen der EU-Osterweiterung für Russland, vielmehr würden die Chance wachsen, manch einer sprach gar von „enormen Entwicklungsmöglichkeiten“. Auch in Moskau gibt man sich locker, die Signale für eine engere Kooperation, eine strategische Partnerschaft sind nicht zu überhören. Vladimir I. Seregin unterstrich in Potsdam zudem das Bekenntnis Russlands zu den universellen europäischen Werten. „Präsident Putin hat für Russland die unabänderliche Entscheidung für die Freiheit getroffen“, formulierte Seregin. Wobei man auf der Konferenz allerdings nicht vergaß, dass zu diesen europäischen Werten die Demokratie zählt. Hier scheint es noch einige Defizite in Russland zu geben, von manipulierten Wahlen und Kontrolle der Massenmedien durch die Regierung wurde von mehreren Seiten berichtet. Es bleibt also noch ein weiter, steiniger Weg bis zu einer tatsächlichen europäisch-russischen Partnerschaft.
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