Landeshauptstadt: Appell für Kirchenasyl
Potsdams neuer Flüchtlingsseelsorger fordert, die Abschiebungen von Flüchtlingen zu stoppen
Stand:
Potsdams neuer Flüchtlingsseelsorger Bernhard Fricke will verhindern, dass Flüchtlinge in der Landeshauptstadt weiter zwangsweise abgeschoben werden. Das sagte er den PNN auf Anfrage. Als Vorsitzender des Vereins „Asyl in der Kirche“ wolle er die Gemeinden dazu ermutigen, sich im Falle einer Abschiebung schützend vor einzelne Flüchtlinge oder Familien zu stellen. „Der Amsterdamer Vertrag verspricht doch ein Europa der Freiheit, der Sicherheit und des Rechtes – stattdessen aber besteht ein Verfahren der Hin- und Herschieberei“, sagte Fricke. Am Wochenende wurde der 57-Jährige bei der Frühjahrssynode des evangelischen Kirchenkreises in Potsdam vorgestellt (siehe Kasten).
Der Berliner Theologe und Pfarrer folgt der Gemeindepädagogin Monique Tinney, die im vergangenen Jahr an die Berliner Charité wechselte. In ihrer Bilanz beklagte sie wie berichtet die aus ihrer Sicht „rigide und strikte Umsetzung“ der sogenannten Dublin-Verordnung in Potsdam, laut der Asylsuchende ihr Asylverfahren in dem europäischen Land durchführen müssen, in das sie zuerst eingereist sind. „Da werden Familien mit minderjährigen Kindern zu nachtschlafender Zeit ohne Vorankündigung abgeholt“, hatte Tinney gegenüber den PNN beklagt.
Die Statistik sieht so aus: In der Stadt wohnt eine wachsende Anzahl von Flüchtlingen, die zum Beispiel nach Ablehnung ihres Asylantrags mit einer Abschiebung rechnen müssen. Laut Auskunft des Sozialdezernats auf eine Anfrage der CDU gab es vor vier Jahren noch 143 Menschen mit sogenannter vollziehbarer Ausreisepflicht, die damals bei 15 Personen durchgesetzt wurde. Bis 2014 wuchs die Anzahl der Ausreisepflichtigen auf 188 Personen an – im vergangenen Jahr wurden acht von ihnen „zwangsweise zurückgeführt“, wie die Stadt mitteilte. Zehn Personen reisten freiwillig aus. Der Vollstreckung stünden unter anderem humanitäre Gründe wie Krankheit entgegen, aber auch Passlosigkeit oder eine bevorstehende Hochzeit.
Frickes Forderung nach einem Abschiebestopp wird auch vom Kirchenkreis unterstützt. Ohne Gegenstimme wurde bei der Synode ein Appell beschlossen, in dem die Potsdamer Gemeinden ausdrücklich ermutigt werden, „wenn es die Not gebietet, von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen Kirchenasyl zu gewähren“. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte den Kirchen zuletzt vorgeworfen, sich über geltendes Recht zu stellen und das Kirchenasyl für eine Kritik am EU-Asylsystem zu missbrauchen.
Bereits seit neun Jahren arbeitet Fricke mit Flüchtlingen – unter anderem als evangelischer Seelsorger in der Abschiebehaft Berlin-Köpenick, seit 2012 auch in Eisenhüttenstadt. Am 1. Mai beginnt sein Dienst in Potsdam. Sein Ziel ist es, in Potsdam Orte der Begegnung mitzugestalten. „Flüchtlinge brauchen einen Ort der Sicherheit, einen Ort zum Reden und zum Beten“, so der Theologe, „sie wollen endlich irgendwo ankommen.“
Die kirchliche Flüchtlingsarbeit sei für ihn auch Menschenrechtsarbeit. „Die Flüchtlinge kommen als Menschen und nicht als Bittsteller oder Leistungsempfänger“, so Fricke, „sie haben die gleiche Würde und das gleiche Recht.“ Von der Familie im Heimatland getrennt zu sein, sei laut Fricke eine der größten Hürden für viele, vor allem für syrische Flüchtlinge. Die Ängste vieler Potsdamer halte er daher für unbegründet. Dennoch versuche er sie zu verstehen und zu respektieren. Im Beschluss der Synode heißt es dazu, man wende sich gegen alle Versuche, Ängste und Vorurteile in der Gesellschaft für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.
Die in der Stadt praktizierte Unterbringung von Flüchtlingen in Wohncontainern findet er nicht optimal. Im Gegensatz zu großen Sammelunterkünften würden Flüchtlinge durch die Unterkunft in Wohnungen schneller integriert. Einen Nachteil sieht er dabei lediglich in der Vereinsamung der Flüchtlingsfamilien. In diesem Fall müsse die Nachbarschaft erst hergestellt werden.
Bis Ende des Jahres soll es in der Landeshauptstadt insgesamt 14 dezentrale Unterkünfte für Flüchtlinge geben. Die Betreuung dieser Einheiten sieht Fricke als große Herausforderung für die Stadt. „Mein Wunsch ist es, Ehrenamtler und Flüchtlinge zusammenzubringen“, sagte Fricke. Doch nicht nur Flüchtlinge seien auf Beratung und Seelsorge angewiesen. Auch die Ehrenamtler will Fricke entsprechend begleiten: „Seelsorge findet immer auf beiden Seiten statt.“ Gespräche sollen dabei helfen, eine sekundäre Traumatisierung derjenigen zu verhindern, die mit den Flüchtlingen zusammenarbeiten. „Die Flüchtlinge wollen ihre Geschichte erzählen“, so Fricke, „doch auch die Betreuer nehmen diese Sorgen mit nach Hause.“
Bei der Synode hieß es weiter, die Landessynode habe einen Fonds mit 500 000 Euro eingerichtet, um Flüchtlingsarbeit zu fördern. Zum Abrufen der Gelder könnten bereits Anträge gestellt werden. Zuletzt hatte auch der Potsdamer Kirchenkreis 30 000 Euro für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt – unter anderem für die Flüchtlingsberatungsstelle des diakonischen Werks. Deren Kapazitäten seien inzwischen nahezu ausgeschöpft, so Fricke weiter.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: