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Trotz lebenslanger Arbeit reicht die Rente oft nicht. Die Gründe sind vielfältig.

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Alt werden in Potsdam: Armut im Rentenalter

915 Potsdamer über 65 Jahre beziehen Grundsicherung. Ein Kinobesuch ist da nur selten möglich, stattdessen liefern manche Pizza aus um sich etwas hinzuzuverdienen.

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Wenn er sich seinen Lebenslauf anschaue, könne er sich eigentlich nichts vorwerfen, sagt Wilfried Hülzenbecher. Der 61-jährige Potsdamer hat Zeit seines Lebens gearbeitet, in der DDR als Berufssoldat, in den Neunzigern als Möbelverkäufer, zum Schluss als freiberuflicher Ausbilder in der Sicherheitsbranche. Phasen der Arbeitslosigkeit seien nie länger als drei Monate gewesen, so Hülzenbecher, und die habe er für Weiterbildungen genutzt. „Doch irgendwann musste ich den Bremsfallschirm ziehen“, sagt er. Finanziell, gesundheitlich und familiär wurde die Arbeit als Ein-Mann-Unternehmen eine zu große Belastung, Zeit und Kosten fraßen ihn auf, Hülzenbecher litt an Burn-Out und Migräne. 2009 musste er Insolvenz anmelden, 2011 ging er mit 60 Jahren in den Vorruhestand. Dadurch erhielt Hülzenbecher Abschläge auf seine Rente: Monatlich muss er mit 742 Euro netto auskommen, auch später, wenn er das 65. Lebensjahr überschreitet.

Nach Angaben von Potsdams Sozialbeigeordneter Elona Müller-Preinesberger (parteilos) sind 19,7 Prozent der Bevölkerung der Landeshauptstadt über 65 Jahre alt. Das entspricht etwa 31 000 Personen. Ihnen fehle dank der Grundsicherung weder das Geld zur Sicherung der Existenz noch würden sie im Durchschnitt die OECD-Armutsgrenze von 952 Euro netto im Monat unterschreiten, sagte die Sozialbeigeordnete: „Nach diesen Definitionen können wir in Potsdam nicht von Altersarmut sprechen.“ Laut Statistiken der Stadt Potsdam und des Landes Brandenburgs aus dem Jahr 2011 verfügen Potsdamer über 65 durchschnittlich über etwa 1100 Euro im Monat.

Nach der Definition, dass Altersarmut dann gegeben ist, wenn man dauerhaft auf staatliche Leistungen angewiesen ist, gibt es aber durchaus Betroffene in Potsdam, räumte Müller-Preinesberger ein: Derzeit nehmen 915 Potsdamer über 65 Jahren die staatliche Grundsicherung in Anspruch. „Die Zahl der Grundsicherungsempfänger in der Landeshauptstadt steigt an, auch weil die Anzahl der Senioren insgesamt ansteigt“, informierte Stadtsprecher Jan Brunzlow.

Wilfried Hülzenbecher kann später nicht auf die Grundsicherung zurückgreifen. Sein Einkommen liegt leicht über der Bedarfsgrenze, die sich ähnlich wie der Hartz-IV-Regelsatz berechnet. Zur Aufbesserung liefert er Pizza aus, verdient dadurch etwa 100 Euro im Monat dazu. Außerdem holt er sich viermal im Monat Lebensmittel von der Potsdamer Tafel: „Man muss sich natürlich überwinden, das in Anspruch zu nehmen. Das ist schon eine Kröte, die man schlucken muss“, sagt er. Mal ins Kino oder Theater zu gehen ist ohne Weiteres nicht möglich, dafür nutzt Hülzenbecher das Angebot der Potsdamer Kulturloge, die nicht verkaufte Tickets zu kulturellen Veranstaltungen an Bedürftige weiterleitet. „Einen Restaurantbesuch schafft man einmal im Monat, außerdem ist man sehr an seinen Wohnort gebunden, wegen der Benzinkosten.“

Trotz aller Schwierigkeiten ist Hülzenbecher in keinster Weise verbittert; es sei schließlich sein eigener Entschluss gewesen, in den Vorruhestand zu gehen: „Man richtet sich ein und man hat mehr Zeit für die Familie. Früher musste ich am Wochenende immer in meiner Freizeit den Unterricht vorbereiten, jetzt kann ich auch mal zu einem Schulfest mitgehen.“

Auch wenn die Altersarmut in Potsdam nicht dramatisch sei, würden sich laut Elona Müller-Preinesberger auch Senioren über der Armutsgrenze oft benachteiligt fühlen. Als Gegenmaßnahme bietet die Stadt zum einen vergünstigte Veranstaltungen für Senioren an, und zum anderen können sozial Benachteiligte über Anträge an die Stiftung Altenhilfe Potsdam Unterstützung erhalten, zum Beispiel bei der Sanierung der Wohnung. Im vergangenen Jahr hatte die Stiftung 15 000 Euro zur Verfügung, von denen etwa 10 000 Euro von den Potsdamern in Anspruch genommen wurden. Horst Klett vom Seniorenbeirat der Stadt Potsdam lobt diese Hilfen, sagt aber auch: „Viele Senioren wissen gar nichts von diesen Angeboten.“ Erik Wenk

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