Landeshauptstadt: „Auf das sichere Pferd gesetzt“
Wie der Wahlabend am Sonntag für Potsdams sieben Oberbürgermeisterkandidaten verlief
Stand:
Die erste Runde der Potsdamer OB-Wahl kannte keinen Sieger – dafür viele Verlierer. Während Amtsinhaber Jann Jakobs (SPD) wie vor acht Jahren als Spitzenreiter der ersten Runde in die Stichwahl am 3. Oktober zieht und sein linker Dauerkonkurrent Hans-Jürgen Scharfenberg sich über Stimmenzuwächse freut, herrscht bei den anderen Parteien Enttäuschung. Mehr als zehn Prozent der Wählerstimmen konnten weder CDU noch Bündnisgrüne für sich verbuchen. Ein Stimmungsbild vom Wahlabend.
Die Linken verbringen den Wahlabend im Hof ihrer Parteizentrale in der Alleestraße 3. Es gibt Bratwurst, Bier und eine Band spielt entspannte Musik. Hans-Jürgen Scharfenberg kommt drei Minuten, bevor die Wahllokale schließen. Ist er aufgeregt? „Bis jetzt noch nicht, aber das kann noch kommen“, sagt der 56-Jährige. Und: „Jetzt kann man nichts mehr falsch machen.“ Kurz danach wendet sich Scharfenberg in einer kurze Ansprachen an die rund 50 anwesenden Genossen und bedankt sich für ihren Einsatz. „Wir haben eine große Aktie an der guten Entwicklung in Potsdam“, gibt er sich kämpferisch – so, wie er den ganzen Wahlabend über immer wieder seine Chancen betont, Potsdams Oberbürgermeister werden.
Zu diesem Zeitpunkt sitzt Jann Jakobs, der Amtsinhaber der SPD, noch im engsten Kreis im Oberbürgermeisterbüro im Rathaus. Erst nach 18 Uhr stößt der Ostfriese zu den knapp 100 SPD-Genossen, die sich im Regine-Hildebrandt-Haus in der Alleestraße versammelt haben. Dort kommt gegen gegen 18.30 Uhr der erste verhaltene Applaus auf. Jakobs liegt im Zwischenergebnis mit 40 Prozent erstmalig etwas klarer vor Scharfenberg. Jakobs wirkt erleichtert. Das Abschneiden von CDU und Grünen sorgt bei der SPD für Erstaunen. „Es wird der erwartete Zweikampf“, sagt Potsdams SPD-Chef Mike Schubert. „Wir hätten gerne den zweiten Wahlgang vermieden“, sagt Jakobs in seiner Ansprache. Er wertet das Ergebnis aber als sehr gute Ausgangsbasis. Ziel sei nun, die Menschen zu mobilisieren, ihn am 3. Oktober zu wählen.
Dass Barbara Richsteins Wahl-Ergebnis keine Zierde sein würde, ist den CDU-Anhängern im Wahlquartier in den Bahnhofspassagen schnell klar. Am Ende sollten es ernüchternde 10,6 Prozent sein, die Richstein verbuchen kann. Damit unterbietet die Ex-Justizministerin sogar das Ergebnis des vormaligen CDU-Kandidaten zur OB-Wahl 2002, Wieland Niekisch, der 15,5 Prozent der Stimmen holte. Richsteins selbst gestecktes Ziel, die Stichwahl zu erreichen, ist erst recht Makulatur. Die Stimmung unter den gut 50 Unterstützern: überraschend gefasst, geradezu genügsam. Man ist wohl insgeheim froh, dass es wenigstens ein zweistelliges Votum wird. „Natürlich bin ich enttäuscht“, sagt Richstein selbst. Aber man müsse das Gesamtergebnis betrachten: Auch FDP und Grüne seien bei ihren Ergebnissen „eingebrochen“, das zeige, dass die bürgerlichen Wähler „auf das vermeintlich sichere Pferd Jakobs gesetzt haben, um einen IM-Oberbürgermeister Scharfenberg zu verhindern“. CDU-Kreischefin Katherina Reiche erklärt, die Potsdamer hätten bewiesen, wie groß die Angst vor der Linken sei. „Diese Angst hat die SPD geschickt genutzt.“
„Ach du Schande!“, ruft Martina Engel-Fürstberger, als sie abgehetzt um kurz vor 20 Uhr im Rathaus steht. Die FDP-Stadtfraktionsvorsitzende braucht ein paar Minuten, um das Ergebnis ihres Kandidaten, des Potsdamer Kreischefs Marcel Yon, zu verdauen. 2,1 Prozent, Letzter aller sieben Kandidaten. Es ist fast ein Omen: Die FDP ist die einzige Partei, die keine Wahlparty ausrichtet. Kandidat Yon hat sein Wahlkampfteam zu sich nach Hause zum Essen geladen. Als „eine Enttäuschung“ bezeichnet er selbst sein Abschneiden: „Es ist kein Geheimnis, dass uns der Bundestrend der FDP keine Unterstützung für uns war.“ Sein Ergebnis werde aber „zu keinen Konsequenzen“ in der Partei führen, „auch wenn ich mir natürlich mehr gewünscht habe“, sagt Yon. „Erschreckend“ sei das Schrumpfen des bürgerlichen Lagers aus FDP und CDU, „dramatisch“ die niedrige Wahlbeteiligung, „ein großes Alarmsignal“, dass sich der Abstand zwischen Jakobs und Scharfenberg „nahezu halbiert“ habe.
In der Geschäftstelle der Grünen in der Jägerstraße ist die Stimmung zu Beginn des Abends noch optimistisch. Obwohl die Grünen-Kandidatin Marie Luise von Halem bei fünf Prozent dümpelt. „Das geht noch aufwärts“, sagt Stadtfraktionschef Nils Naber. Traditionell werde der Scharfenberg-freundliche Süden schneller ausgezählt als der Norden, wo sich die Grünen mehr Stimmen erhoffen. Aber auch das soll den Grünen nicht mehr viel einbringen: 6,4 Prozent erreicht sie am Ende. „Der Wahlkampf hat sich am Ende sehr auf Jakobs und Scharfenberg zugespitzt. Da ist es schwer geworden, unseren Wählern zu vermitteln, wie wichtig ein Achtungserfolg für grüne Politik in Potsdam gewesen wäre“, sagt von Halem. Für Scharfenberg und Jakobs hat sie für die restliche Wahlkampfzeit zwei „Ausdauer“-Lutscher als Geschenk dabei.
Benjamin Bauer lässt es ruhig angehen. Gegen 18.45 Uhr steht er noch vor dem Stadthaus und raucht. Ergebnisse für sich kennt er noch nicht: „Ich lasse mich überraschen.“ Vier Prozent sind es für ihn am Ende. „Das ist Wahnsinn“, freut er sich.
Marek Thutewohl, noch am Wahlabend auf dem Restaurantschiff „John Barnett“ wieder zum Vorstandsvorsitzenden der Potsdamer Piratenpartei gewählt, freut sich, besser abgeschnitten zu haben als Marcel Yon von der FDP. Er ist „erleichtert, sich jetzt wieder meinen Fahrschülern widmen zu können“. Eine Stichwahlempfehlung gibt Thutewohl nicht: „Die Menschen können selber denken und sich für das geringere Übel entscheiden.Guido Berg, Jan Brunzlow,
Kay Grimmer, Henri Kramer
- showPaywall:
 - false
 - isSubscriber:
 - false
 - isPaid: