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Viele Brandenburger Studierende wollen nach dem Abschluss weg, vor allem Zugezogene. Neben Job und Verdienst zählt für sie vor allem Nähe zu Freunden und der Familie. Förderprogramme sollen sie nun halten
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In Brandenburg ist mit einer starken Abwanderung von Studienabgängern zu rechnen. Das geht zumindest aus einer neuen Erhebung zur studentischen Mobilität in Deutschland des Kölner Unternehmens Studitemps in Zusammenarbeit mit der niederländischen Universität Maastricht hervor. Demnach wollen 66 Prozent der Studierenden das Bundesland nach ihrem Studium verlassen. Im Vergleich zu einer Befragung ein Jahr zuvor ergab sich immerhin eine Verbesserung um sechs Prozent. Allerdings landet Brandenburg weiterhin hinter Sachsen-Anhalt bundesweit auf dem letzten Platz, was den zu erwartenden Verbleib von Hochschulabsolventen angeht. Gewinner bei der Prognose zur Migration von Nachwuchsakademikern dürften demnach die Stadtstaaten Hamburg und Berlin sowie die Länder Bayern und Baden-Württemberg sein. Die verzeichnen Zugewinne, Hamburg sogar von 216 Prozent.
Ausschlaggebend für den Weg- bzw. Zuzug in einer Region sind laut der Studie Jobangebot und Verdienst sowie die Nähe zu Freunden und der Familie. So erklärt sich der starke Wunsch zur Abwanderung an den märkischen Hochschulen unter anderem auch dadurch, dass ein Großteil der Studierenden aus anderen Bundesländern stammt. Viele planen offensichtlich, nach ihrem Studienende dorthin wieder zurückzukehren. Von den 51 000 Studierenden in Brandenburg hatten im Wintersemester 2012/13 nur ein Drittel das Abitur in Brandenburg gemacht, ein weiteres Drittel stammte aus Berlin, elf Prozent aus den neuen Bundesländern, 16 Prozent aus Westdeutschland und zehn Prozent aus dem Ausland.
„Wo es gelingt, das ausgeprägte studentische Interesse nach Nähe zu Familie und Freunden an eine solide berufliche Einstiegsperspektive zu koppeln, sollten potenzielle Arbeitgeber im Werben um zukünftige Fachkräfte auch abseits der wirtschaftlich führenden Regionen gute Chancen haben, sich zu positionieren“, so ein Fazit der Untersuchung. Für Brandenburg würde die prognostizierte Abwanderungsbewegung auch einen hohen finanziellen Verlust bedeuten. So wird in der Studie errechnet, dass bei rund 5700 Euro Investitionen pro Studierendem bei einer Abwanderung von zwei Dritteln der Absolventen einen jährlichen Verlust von rund 260 Millionen Euro bedeutet. Bei den Pro-Kopf-Ausgaben liegt Brandenburg nach Zahlen des statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2010 vor dem Saarland bundesweit auf dem vorletzten Platz.
Für die Untersuchung waren im September 2013 bundesweit rund 19 000 Studierende befragt worden. Bereits in einer Befragung in den Vorjahren hatte Brandenburg die höchsten Werte zur Akademikerabwanderung gehabt. Eine Studie der Uni Potsdam im Auftrag der Industrie und Handelskammer Potsdam kam 2012 allerdings zu einem anderen Ergebnis. Demnach wollen 40 Prozent der Studierenden nach dem Abschluss im Land bleiben, weitere 40 Prozent sind noch unentschlossen. „Hier liegt also ein abrufbares Fachkräftepotenzial für die Region“, sagte ein Sprecher des Wissenschaftsministerium auf Anfrage. Nach der IHK-Studie dürfte in der Bilanz der Anteil unter den Absolventen, die in Brandenburg bleiben wollen, deutlich höher sein als der Anteil der Studierenden, die aus Brandenburg stammen, so das Ministerium.
Dass es in Brandenburg in den kommenden Jahren zu einem starken Fachkräftemangel kommen wird, erwartet auch das Wissenschaftsministerium. Eine gemeinsame Fachkräftestudie Berlin-Brandenburg von 2010 weise bereits ab 2015 eine Lücke zwischen dem Angebot an Akademikern und der Nachfrage auf dem regionalen Arbeitsmarkt bis zu 19 Prozent aus. Rund 273 000 Arbeitsplätzen können demnach dann nicht fachgerecht besetzt werden. Bis 2030 vergrößere sich diese Lücke auf bis zu 38 Prozent.
Die Landesregierung hat nun mehrere Maßnahmen ergriffen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. So soll mit der Novellierung des Landeshochschulgesetzes der Hochschulzugang in einem Maß geöffnet werden wie sonst in keinem anderen Bundesland. Künftig kann mit Berufsausbildung und zwei Jahren Berufserfahrung ein Studium aufgenommen werden. Zum anderen wurde beispielsweise an der BTU Cottbus-Senftenberg ein College zur Verbesserung und Intensivierung der Fachkräftegewinnung eingerichtet.
Auch vom brandenburgischen Arbeitsministerium wurden eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, um Absolventen im Land zu halten. Neben einem Fachkräfteportal für Rückkehrer und Unternehmen gibt es das Brandenburg-Stipendium zur frühzeitigen Fachkräftegewinnung bereits während des Studiums. „Das Ziel ist eine langfristige Bindung“, erklärte Ministeriumssprecher Florian Engels. Er nennt zudem noch das Förderprogramm „Innovationsassistent“, bei dem Neueinstellungen innovativer Fachkräfte gezielt mit Lohnkostenzuschüssen von bis zu 60 Prozent gefördert werden (s. Kasten). Hinzu komme ein Programm für Werkstudenten, die neben dem Studium teilzeitbeschäftigt an Innovationsprojekten von Betrieben arbeiten. Auch in der Politik ist man sich des Problems bewusst. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Susanne Melior sagte auf Anfrage, dass das Land für Absolventen finanziell und berufsperspektivisch attraktiv sein müsste, um sie hier zu halten. „Das ist beileibe keine einfache Aufgabe, die weit über den Bereich Hochschulabsolventen hinausgeht“, so Melior. Erst wenn im Land überdurchschnittliche Löhne gezahlt würden, würden mehr Absolventen hier bleiben.
Der wissenschaftspolitische Sprecher der Linken, Peer Jürgens, erklärte, dass es nicht Ziel seiner Partei sei, Absolventen zum Verbleib in der Region zu zwingen, gleichwohl es wünschenswert wäre, möglichst viele gut ausgebildete Absolventen hier zu halten. Auch er sieht eine Lohnangleichung als Voraussetzung für den Verbleib von Absolventen. Grundsätzlich sollte es aber auch nicht Ziel der Hochschulpolitik sein, nur so viele Studierende auszubilden, wie es Arbeitsmöglichkeiten gibt. „Das wollen wir nicht.“
Immerhin gehören die Brandenburger Studenten auch in anderer Hinsicht zu den mobilsten Akademikern Deutschlands. Denn sie nehmen die längsten Fahrwege zum Job in Kauf. 50 Prozent der Studierenden halten laut der Studitemps-Umfrage eine Jobofferte mit einem Arbeitsweg von 30 Kilometern für annehmbar, 25 Prozent würden sogar 50 Kilometer weit fahren. Rund die Hälfte der Studierenden will nach dem Abschluss in Berlin arbeiten, wer in Brandenburg bleiben will, favorisiert Potsdam.
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