
© A. Klaer
Landeshauptstadt: Auf der Suche nach den Erben
Auch im Potsdam Museum gibt es noch NS-Raubkunst. Ein Wissenschaftler erforscht die Herkunft – und hat eine heiße Spur
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Der Fall des Münchner Kunstsammlers Gurlitt hat es wieder einmal gezeigt: Auch fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist noch immer Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus im Umlauf – und das nicht zu knapp. Nicht nur in geheimen Privatdepots schlummern die Schätze, auch in öffentlichen Museen gibt es noch zahlreiche Bücher, Gemälde oder wertvolle Gegenstände, die einst Juden oder anderen Verfolgten gehörten. Auch das Potsdam Museum vermutete einige solcher Stücke in seiner Sammlung und hat deshalb vor zweieinhalb Jahren mit einer systematischen Suche im Bestand begonnen. Mit Erfolg.
Bislang seien 59 Objekte gefunden worden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit „verfolungsbedingt entzogen“ wurden, wie Mathias Deinert, Provenienzforscher am Potsdam Museum, sagt. Entzogen bedeutet, dass die einstigen Besitzer – meist Juden – von den Nazis enteignet wurden oder die Werke auf der Flucht zurücklassen beziehungsweise unter Druck verkaufen mussten. So fand Deinert zum Beispiel ein wertvolles Buch mit einer Widmung an einen gewissen Adolf Philippsborn. Der Rabbinerschüler aus Potsdam schaffte es während des Nazi-Regimes, über Paris in die USA zu fliehen – so viel hat Deinert bislang über ihn herausgefunden. Unter welchen Umständen sein Buch ins Potsdam Museum gelangte und ob es noch Nachfahren Philippsborns gibt, weiß er noch nicht. „Die Erben zu finden ist der schwierigste Teil meiner Arbeit. Oft gibt es keine mehr, oder sie leben in anderen Teilen der Welt.“ Er hofft auf die Internet-Datenbank zur Erfassung von Kulturgütern unklarer Provenienz, www.lostart.de, auf der auch die Potsdamer Funde veröffentlicht sind.
Anlass für die Durchsicht des eigenen Bestandes war die neue Dauerausstellung, die seit einigen Monaten im Potsdam Museum zu sehen ist, wie Museumsdirektorin Jutta Götzmann sagt. Eine Extra-Stelle für Provenienzforschung – also die Forschung nach der Herkunft – gibt es in dem städtischen Haus nicht, doch über eine Förderung des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien konnte sie Deinert damit beauftragen.
Zunächst konzentrierte er sich auf die Zeit zwischen 1933 und 1945, doch schnell wurde klar, dass viele Objekte „problematischer Herkunft“ erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs in das Potsdamer Museum kamen. Grund dafür ist wahrscheinlich die Museumspolitik der DDR: In den 1960er-Jahren wurden viele Häuser geschlossen und die Sammlungen auf wenige, profiliertere Häuser verteilt. Potsdam musste damals zum Beispiel einige Militaria an das Deutsche Historische Museum in Berlin abgeben, wie Deinert sagt. Dafür kamen andere Dinge nach Potsdam, zum Beispiel zwei jüdische Kerzenleuchter aus dem Beelitzer Museum, das damals aufgelöst wurde. Doch nicht alle Wege, die die Kunstwerke damals quer durch die DDR nahmen, sind heute noch bekannt. „Bei den vielen Umzügen kam man mit dem Dokumentieren gar nicht mehr hinterher“, sagt Götzmann.
Wenn die Herkunft eines Sammlungsstücks auf keiner Liste auftaucht, muss Deinert am Objekt selbst nach Spuren suchen. Bei Bildern steht häufig ein Vermerk oder eine Inventarnummer auf der Rückseite, bei Büchern können Aufkleber oder Stempel Hinweise geben. Eben so ein Stempel hat Deinert womöglich auch auf eine neue heiße Spur gebracht: In einem Talmud-Band von 1715 entdeckte er einen verblichenen Abdruck, der auf das Berliner Institut für Staatsforschung hindeutete. Dieses kaufte für die institutseigene Bibliothek während der NS-Zeit gezielt Bücher an, die von Emigranten zurückgelassen werden mussten – womöglich auch den Talmud-Band. Während des Krieges wurde der Bestand in verschiedene Depots ausgelagert, wo er zunächst auch blieb und in Vergessenheit geriet. Doch ein ehemaliger Institutsmitarbeiter – ein NS-Karrierist, wie Deinert sagt – kannte die Verstecke. Ende der 1950er-Jahre zog er von Brandenburg nach West-Berlin und schmuggelte nach und nach all die wertvollen Schätze über die Grenze. Doch Anfang der 1960er-Jahre flog der Mann, der inzwischen nicht mehr lebt, auf und die Bücher wurden an verschiedene Museen der DDR verteilt – offenbar auch an das Potsdam Museum.
Ob der Talmud wirklich zu dieser Sammlung gehört, weiß Deinert noch nicht. Museumsdirektorin Götzmann will deshalb einen weiteren Antrag beim Bund auf Fördergelder stellen, damit der Forscher weiterarbeiten kann. Zu tun gibt es noch genug.
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