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Homepage: Auf Spurensuche
Studierende der Potsdamer Universität erforschen Brandenburgs jüdische Vergangenheit
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Brandenburg war und ist in vielerlei Hinsicht besonders – das gilt auch für die Geschichte jüdischen Lebens in der Region. Vor einem Jahr begaben sich rund 20 Studierende der Universität Potsdam auf eine interessante Spurensuche. Ausgangspunkt war das Seminar „Jüdische Kulturgeschichte in Brandenburg“ unter der Leitung der Literaturwissenschaftlerin Ulrike Schneider vom Institut für Jüdische Studien. Acht der Seminarteilnehmer blieben auch nach Ablauf des Semesters an dem Thema dran, forschten in ihrer Freizeit intensiv weiter und präsentierten kürzlich ihre Arbeit im Rahmen eines internationalen Historiker-Workshops in Potsdam.
Die Spurensuche passte hervorragend in das vom Potsdamer Verein Zeitpfeil organisierte und von Ulrike Schneider geleitete Projekt „Jüdische Geschichte(n) in Europa“, das eine Kooperation mit dem Centre Mondial de la Paix in Verdun, dem Polnisch-Deutschen Zentrum in Krakau und dem Goethe-Institut Lissabon beinhaltet. Das Ziel: Beschäftigung mit jüdischer Geschichte an den Heimatorten der Teilnehmer aus Polen, Frankreich, Portugal und Deutschland. Die europäische Dimension des Themas wurde den Studenten bei Begegnungen in Verdun und Krakau verdeutlicht.
„Zu DDR-Zeiten hat es in Brandenburg keinerlei jüdisches Leben gegeben. Religiöse Betätigung war vom Staat unerwünscht und jüdische Bürger verschwiegen nach der Shoah ihre Religion“, erklärt Katharina Rudolph. Die 23-Jährige studiert in Potsdam Jewish Studies und Germanistik. Erst 1991 sei es zur Neugründung jüdischer Gemeinden in Brandenburg gekommen – vor allem durch den Zuzug von Juden aus Osteuropa mit wenig Verbindung zu jüdischer Geschichte. Um etwas über jüdisches Leben der 1930er Jahre in Brandenburg zu erfahren, bemühten die jungen Historiker und Germanisten die Archive und Aufzeichnungen von Zeitzeugen – eine Arbeit, bei der ihnen manchmal gute Kontakte und glückliche Zufälle zu Hilfe gekommen seien, erzählt der 24-jährige Hannes Westphal. Die Spurensucher wurden in Potsdam, Ahrensdorf und Lehnitz bei Oranienburg fündig.
In Potsdam untersuchten die Studierenden die Zeit von 1671 bis heute. 1671 erlaubte der „Große Kurfürst“ 50 aus Wien vertriebenen jüdischen Familien, sich in Brandenburg anzusiedeln. Der Potsdamer „Schutzjude“ David Michel war einer von ihnen und wurde 1690 urkundlich erwähnt. Die erste jüdische Gemeinde Potsdams entstand 1740 und erhielt drei Jahre später den Pfingstberg (damals „Judenberg“), um dort einen jüdischen Friedhof zu eröffnen. Weitere Zeugnisse waren der erste Bau einer Synagoge 1765 sowie die Eröffnung eines Synagogen-Neubaus am heutigen Platz der Einheit im Jahre 1903. Wegen der unmittelbaren Nachbarschaft zur Post wurde die Synagoge beim Novemberpogrom nicht vollständig zerstört, sie wurde beim Fliegerangriff der Royal Air Force von April 1945 schwer beschädigt und dann 1954 abgerissen. Eine jüdische Gemeinde existierte zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr. Heute zeuge eine Baulücke von den Schwierigkeiten der nach 1989 gegründeten jüdischen Gemeinden, sich auf Gemeinsamkeiten zu einigen.
Das Landwerk Ahrensdorf existierte von 1936 bis 1941. In der jüdischen Hachschara-Stätte wurden Kinder und Jugendliche auf das Leben in Palästina vorbereitet. Sie erlernten dort außer Hebräisch auch handwerkliche, gärtnerische und landwirtschaftliche Fähigkeiten. Das Leben, Arbeiten und Lernen im Kollektiv stand dabei im Vordergrund. Insgesamt 287 junge Menschen haben dort zeitweise gelebt, von denen 137 nach Palästina gelangten. 21 Jugendliche konnten in andere europäische Länder und in die USA gerettet werden. Als die Nationalsozialisten das Landwerk schlossen, konnten sich die dort verbleibenden 168 Jugendlichen nicht mehr in ein sicheres Land retten.
In Lehnitz bei Oranienburg befand sich von 1900 bis 1933 ein Genesungsheim für jüdische Frauen und Kinder. Nach der NS-Machtübernahme erfüllte das Haus die Funktion eines Kinderheims, einer Hauswirtschaftsschule für junge Frauen und eines Tagungszentrums und wurde zum Zufluchtsort für unterschiedlichste Menschen jüdischen Glaubens. Im Jahr 1935 entstand im Kohlenkeller des Hauses sogar eine Synagoge. Zur gleichen Zeit begannen auch die antisemitischen Ausschreitungen der örtlichen NSDAP-Gruppen gegen die Bewohner des Hauses, die 1938 im Novemberpogrom gipfelten und dem jüdischen Leben und Wirken in Lehnitz ein jähes Ende setzten. Maren Herbst
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Maren Herbst
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