Landeshauptstadt: Aufforderung zum Nervensägen
7. Kinder- und Jugendprojekttage: Einblicke in Medienberufe und Tipps von Machern, wie man einer wird
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7. Kinder- und Jugendprojekttage: Einblicke in Medienberufe und Tipps von Machern, wie man einer wird Von Nicola Klusemann Der Mann mit den Kopfhörern unterbricht. „Bitte nicht mit dem Kuli spielen oder dem Papier rascheln.“ Die Geräusche übertönen den Text, den Kristin Rümpel gerade flüssig gelesen hat. Kameramann Jürgen Lubosch gibt ein Zeichen. Die Schülerin darf noch mal. Nachrichten lesen nämlich, in einem echten Studio und mit professionellem Technikerteam. Kristin Rümpel gehörte zu den zehn Glücklichen, die sich gestern im Fernsehstudio B des RBB in Babelsberg als Moderatoren versuchen durften. Beworben hatten sich viele, das Los entschied. Das Casting für Nachrichtensprecher ist Teil eines vielfältigen Angebots für Schüler und Jugendliche während der derzeit laufenden 7. Kinder- und Jugendprojekttage sowie Gelegenheit, Einblick in verschiedene Medienberufe zu bekommen. „Ich wurde sofort nervös, als die Kamera anging“, gesteht der mit 13 Jahren jüngste Sprecher Sebastian Geißler. Trotzdem hat er auch die Fremdwörter in der Lesevorlage prima gemeistert. Seinen Vater, der heute seinen freien Tag hat und in der Hotelbranche tätig ist, beeindruckt die Leichtigkeit, mit der Sohnemann im Scheinwerferlicht vor den anwesenden Profis der Medienbranche den Text vorträgt. Eine 16-Jährige entwickelt derweil Starallüren. Schon das Gepudere und Geschminke in der Maske hat sie wie eine Diva fühlen lassen. Jetzt unterbricht sie ständig ihr Lesen, bittet darum, noch mal anfangen oder eine Frage stellen zu dürfen. Vorher hat sie ihre Brille gesucht und nicht gefunden – aus Eitelkeit vermutlich. Produktionsassistent Hilmar Füller drängt auf Tempo. Schließlich müssen im Studio, aus dem Brandenburg Aktuell gesendet wird, die Vorbereitungen für die Sendung getroffen werden. Damit die jungen Nachrichtenleser nicht zu sehr mit gesenktem Kopf am Text kleben und zum Verdruss des Tontechnikers mit dem Papier rascheln, schlägt er das Üben mit dem Teleprompter vor. Arbeiten wie die Profis eben. In riesigen weißen Buchstaben auf schwarzem Grund lässt der Mann aus der Abteilung Herstellung eine Nachricht über einen Monitor laufen. Das erfordere Fingerspitzengefühl. Das Fließen der maximal drei Worte pro Zeile muss der Lesegeschwindigkeit angepasst werden. Die Meldung ist ein paar Tage alt: Es geht um das Aus für die Chipfabrik in Frankfurt/Oder. An dem Begriff für das Halbleiterwerk scheitern die meisten der Zehn. Sie lesen: Chipsfabrik, Chicfabrik oder Clipfabrik. „Kennt denn das keiner von euch“, kann es Produktionsassistent Füller kaum fassen. „Nööö“, lautet die Antwort im Chor. „Man muss lesen, lesen, lesen, alles ist interessant, wenn man Radio- oder Fernsehmoderator werden will“, bläut Fritz-Schnellredner Ken Jebsen seinem Publikum ein. „Dann weiß man viel und kann mitreden.“ Nach den Workshops am Vormittag können die Teilnehmer der von der Akademie der Künste organisierten Projekttage mit Promis talken. Es ist nicht gerade ein Heimspiel für den schnieke im Anzug auftretenden Jebsen. Kaum einer kennt seine Live-Radio-Sonntags-Sendung „Ken FM“, keiner hört regelmäßig „Fritz“. Die Jugendlichen schalten lieber die Privatsender ein, der besseren Musik wegen. Das bringt den Moderator auf die Palme. Im Stakkato rasselt er alle Vorzüge der Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstalten herunter, besonders natürlich die, die Jugendradio machen. Jebsen redet viel mit den Händen, ungewöhnlich für jemanden, der in der Regel nicht zu sehen ist. „Wir machen etwas für euch und wollen nicht nur, dass ihr die und die CD oder die und die Schuhe kauft. Den anderen Sendern seid ihr scheißegal.“ Zu seiner Sendung, die immer von ungewöhnlichen Orten wie aus einem Spritzenhaus, von einem ehemaligen russischen Militärflughafen oder aus einem Fitness-Studio ausgestrahlt werde, sei der Eintritt frei. Beim Geld kriegt Jebsen seine Zuhörerschaft. „Alles kostet: Kino, SMS schicken, Disko – ich frag mich, wo ihr die Kohle her habt.“ Anerkennendes Gemurmel. Jetzt, wo die Quasselstrippe einmal in Werbefahrt ist, setzt sie immer noch einen drauf. „Hört doch Radio, wo ihr mehr über die Menschen erfahrt, wo es mehr Info gibt, als in der Bravo steht.“ Zwischenfragen sind erlaubt, ein Mädchen hebt nach dreißig Minuten Zuhören den Arm, Ken Jebsen holt Luft: „Ja, bitte, eine Frage.“ „Wo geht“s denn hier zur Toilette“, sagt die junge Dame. „Draußen irgendwo“, weist der Radio-Fritze zur Tür und fährt fort. Er habe einen Job gesucht, wo er immer laut Musik hören kann, wo er das machen kann, was ihm Spaß macht. „Als Moderator darfst du fast alles: Mit allem Fliegbaren fliegen, berühmte Leute interviewen. Ich habe keinen Beruf, ich übe mein Hobby aus.“ Mit viel Biss und Elan könne das jeder, der sich das in den Kopf setze. Ohne Arbeit ginge das allerdings nicht. „Ihr müsst immer wieder anfragen“, fordert Jebsen zum Nervensägen auf. Kristin Rümpel, die ja schon beim Nachrichtensprecher-Casting ganz gut war, fängt gleich damit an und will wissen, wie man bei „Fritz“ einen Praktikumsplatz bekommt. Die Schülerin macht sich Notizen, durchblättert auch mit Interesse die rumgereichte Fachliteratur. Sie möchte gerne einmal zum Radio oder Fernsehen. An ihrem Lampenfieber hat sie bereits gearbeitet. Immer, wenn es in der Schule Reden zu halten gebe, sei sie mit dabei. Das hört man auch am Lesetempo und Stil. Eine Kostprobe vom Vormittag bekommt sie auf Videokassette zugeschickt. Vielleicht die erste Stufe auf dem Weg nach ganz oben.
Nicola Klusemann
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