Landeshauptstadt: Außenposten der Zivilisation
Am Rande des Friedrichsparks leben fünf Familien in einer einsamen Siedlung. Die geplante Logistikhalle würde das Umfeld verändern
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Brandenburgs bekanntester Dorfpolizist war schon hier. Doch für private Briefdienste ist es eine Terra incognita, ein unbekanntes Gebiet. Auch die Räumtrupps des Potsdamer Winterdienstes verirren sich hierher nicht. Das sagen jedenfalls die, die es wissen müssen: die Anwohner der Satzkorner Bahnhofstraße.
Fünf Familien, die Erwachsenen alle so in den Dreißigern bis Anfang 40, wohnen hier auf diesem Außenposten der Zivilisation. Zweieinhalb Kilometer müssen die Anwohner durch die hintersten Weiten der Potsdamer Feldflur zurücklegen, um den Ortsrand von Satzkorn zu erreichen. Der alte Bahnhof ist auch längst geschlossen. Die Züge fahren hier durch.
Das kleine Eiland der fünf Familien besteht lediglich aus drei Wohnhäusern, die durch große Gärten miteinander verbunden sind. Überall wachsen bunte Blumen. Auf einem Zaunpfeiler thront ein ausrangiertes Telefon. Aus einem alten Einwecktopf sprießt eine Geranie. In einem der Gärten führt eine blaue Holzstiege hinauf in die obere Etage eines alten Wirtschaftsgebäudes. Die Anwohner nennen es das Kinderhaus, denn die Kinder der fünf Familien haben das Gebäude für sich entdeckt.
Auch wenn die Familien gute Freundschaften untereinander pflegten, so sei man keine Kommune, sagt Anja Dinges, eine der Bewohnerinnen der Bahnhofstraße. Und doch: „Es ist schön, dass man nicht ganz allein hier wohnt.“ Die Kinder der anderen Familien mal aus der Stadt mitnehmen oder den Nachbarn um ein paar frische Eier bitten, das sei ganz normal, ergänzt Peggy Peiker, die ebenfalls hier wohnt. Einmal im Jahr feiere man gemeinsam ein großes Fest.
Doch bald schon könnte sich hier ein weiterer Nachbar ansiedeln, einer, den die Familien gar nicht gerne sähen, nämlich die fast 100 000 Quadratmeter große Logistikhalle, die ein rheinländischer Investor hier errichten will. Anwohner Lars Krüger hat nachgerechnet: Keine 100 Meter entfernt vom letzten Wohnhaus würden sich die Lastwagen um die Halle schlängeln. Die Logistikhalle selbst wäre schätzungsweise nur wenig mehr als 140 Meter entfernt. Unter dem Motto „Keine Megahalle auf Friedrichs Acker!“ wollen die Anwohner diese Pläne stoppen. Fünf Familien gegen 100 000 Quadratmeter. David gegen Goliath.
Schon jetzt würden hier am Rande des Friedrichsparks in unmittelbarer Nähe der Bahnhofstraße eigentlich jede Nacht Fernfahrer mit ihren Trucks stehen, sagt Krüger. Einige von denen hinterließen jede Menge Müll. Anwohnerin Susanna Neuert berichtet von alten Fischbüchsen und leeren Porno-DVD-Hüllen. Eigentlich alles, was während so einer Übernachtung anfällt, könne man hier am nächsten Morgen finden, sagen die Anwohner. Sollte die Halle kommen, so fürchten sie, werde es noch viel mehr Dreck geben - und vor allem Lärm.
„Wir sind quasi vergessen hier“, sagt Kostja Dinges. Dinges zeigt auf seinen kleinen grünen Trecker. Jedes Jahr baue er sich an das Gefährt einen Schneepflug an und schiebe damit die Straße frei. Doch einmal habe der viele Schnee auch etwas Gutes gehabt. Diebe blieben hier mit ihrem geklauten Auto stecken.
100 Jahre alt sind die Häuser, in denen die fünf Familien wohnen. Einst wurden die Gebäude von der Bahn für ihre Bediensteten errichtet. Ende der 1990er Jahre seien die letzten Bewohner ausgezogen, berichtet Krüger. Vor 12 Jahren hätten dann drei der heute hier wohnenden Familien die Anwesen gekauft. Den besonderen Charme der einsamen Minisiedlung zwischen Friedrichspark und Bahnlinie scheinen die Bewohner sehr zu genießen. „Es ist schon schön, dass man den Freiraum hier hat“, sagt Anja Dinges.
Den Charme des Ortes hatten vor einiger Zeit auch die Filmemacher vom „Polizeiruf 110“ erkannt. In der Folge „Zwei Brüder“ wurde hier das der Bildschirmgemeinde wohlbekannte Motorrad von Dorfpolizist Horst Krause repariert.
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