Bundestagsresolution zu Genozid an Armeniern: Aussöhnung durch Erinnerung
Im Potsdamer Lepsiushaus plädierten Wissenschaftler dafür, die Massaker an den Armeniern auf dem Gebiet der heutigen Türkei als Völkermord anzuerkennen – und die Formen des Gedenkens zu ändern.
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Potsdam - In der kommenden Woche könnte die deutsche Politik die Verbrechen im Osmanischen Reich vor rund 100 Jahren endlich beim Namen nennen. Das zumindest erwarten Wissenschaftler, die sich mit der Thematik ausführlich auseinander gesetzt haben. Bei einer Veranstaltung im Potsdamer Lepsiushaus sprachen sie sich Ende der vergangenen Woche für die von Union, SPD und Grünen unterstützte Resolution aus. Darin wird gefordert, die Massaker an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten auf dem Gebiet der heutigen Türkei während des Ersten Weltkriegs als Völkermord zu verurteilen. Im Lepsiushaus zeigte man sich überzeiugt, dass die Abstimmung dazu am 2. Juni im Bundestag Erfolg haben wird. „Der Zeitpunkt ist günstig. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir uns nicht leisten können, unser Rückgrat völlig zu verlieren“, sagte Rolf Hosfeld, wissenschaftlicher Leiter des Lepsiushauses. „Es sind über 100 Jahre vergangen. Wie lange sollen die Menschen noch warten, die die Geschichte ihrer Vorfahren kennen und sich einen Trauerort wünschen?“, fragte die Genozidforscherin Tessa Hofmann in Potsdam. „Das kann man nicht ewig verschieben.“
Im Ersten Weltkrieg über 1,5 Millionen Armenier und Christen ermordet
Dass von 1915 bis 1917 bis zu 1,2 Millionen Armenier, aber auch zwischen 300 000 und 500 000 Angehörige anderer christlicher Minderheiten ermordet wurden, sei nicht erst seit heute bekannt, betonte Hosfeld. „Die deutsche Reichsregierung wusste damals Bescheid.“ Wörtlich zitiert er: „Es ist die erklärte Absicht der Regierung in Konstantinopel, die armenische Rasse im türkischen Reich zu vernichten.“ Ähnliche Äußerungen wie die vom 7. Juli 1915 seien in Dokumenten für die gesamte Zeit des Ersten Weltkrieges zu finden. Eine Debatte darüber hält der Historiker deshalb für künstlich: „Die Frage ist aber: Wie haben sich die Deutschen dazu verhalten? Haben sie etwas dagegen unternommen?“ Dies sei nicht der Fall gewesen: „Es wurde öffentlich darüber geschwiegen – mit Ausnahme von einzelnen Personen wie Johannes Lepsius, die versucht haben, die Öffentlichkeit zu erreichen und zu mobilisieren“, so Hosfeld.
Das Erinnern an die Massaker hat sich in Deutschland verändert
Unabhängig von einer parlamentarischen Anerkennung des Genozids seien in den vergangenen Jahrzehnten „gedächtnispolitische Tatsachen“ geschaffen worden, sagte Tessa Hofmann, die über Armenien und seine Diaspora forscht. So habe sich das Erinnern in Deutschland verändert: „Früher gab es eine klare Hierarchie. Der Zweite Weltkrieg hat den Ersten Weltkrieg in den Schatten gedrängt.“ Seit 1987 aber sind eine Reihe von Gedenktafeln und Denkmälern etwa in Stuttgart, Bremen und Braunschweig, in Halle, Jena, Berlin-Mitte und Kehl aufgestellt worden. Ihr Standort an öffentlichen und halb öffentlichen Orten in Parks und Grünflächen oder auf Fried- und Kirchhöfen spiegele die „zweitrangige Stellung“ im erinnerungspolitischen Kontext wider, bemerkte die Philologin und Soziologin. Meist entstanden sie, von türkischen Protesten begleitet, durch die Initiative von armenischen Geschäfts- und Privatleuten, die dafür das Geld spendeten.
Wie der Vergleich der meist als Kreuzsteine gestalteten Gedenkstätten und der eingravierten Texte zeigt, wird das Gedenken mutiger. 1987 noch transportierten auf einer Erinnerungstafel in Stuttgart-Bad Cannstatt der deutsche und der armenische Text unterschiedliche Botschaften: Der erste erinnerte an die „Opfer des armenischen Volkes“, der zweite an die „Opfer des Großen Frevels an den Armeniern“. Dagegen positionierten sich zwei Gedenksteine in Bremen und Braunschweig im Jahr 2005 eindeutig zum „90. Jahrestag des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich“. „Der Widerstand der türkischen Bevölkerung war groß“, berichtet Hofmann, die ehemalige Mitarbeiterin am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin ist. „Die deutschen Entscheidungsträger knickten ein.“
Gedenkstein in Jena nennt neben Armeniern auch die anderen Opfer
Mittlerweile bricht das überwiegend auf die Armenier konzentrierte Gedenken auf. Vereinzelt seien Beispiele für eine inklusive, alle Gruppen einbeziehende Erinnerung zu finden, so Hofmann. Ein in Jena aufgestellter Stein benennt neben den 1,5 Millionen armenischen Opfern in der Zeit zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1920er-Jahre auch die ermordeten Aramäer, Assyrer und kleinasiatischen Griechen. „Dass die Armenier nur an sich gedacht haben, hat andere Opfergruppen erbost“, so Tessa Hofmann. Diese hätten seit der Jahrtausendwende in „reaktiver Exklusivität“ beispielsweise in der armenischen Hauptstadt Jerewan, in Chicago und im belgischen Liège, in Athen und Sydney sehr unterschiedliche Gedenkorte gestaltet.
Schwierig sei das Gedenken an Orten, an denen die Verbrechen geschahen – auf dem Gebiet der heutigen Türkei, Syriens und Nordiraks. Der erste armenische Gedenkstein befand sich ab 1919 nur wenige Jahre lang auf einem Friedhof in Konstantinopel-Pankaldi – bis die Stadt 1922 durch Mustafa Kemal Pascha, den späteren Präsidenten, eingenommen wurde. 1930 war der Friedhof, auf dem ermordete Armenier bestattet worden waren, verwüstet.
Eine Reihe früherer Tatorte böte sich heute als Ort des Gedenkens in der Türkei an, sagt Hofmann. In der Schlucht und Höhle Düden in der Provinz Diyarbakir etwa seien bis zu 10 000 Armenier 1915 „abgeschlachtet“ worden. Sie wurden in einen tiefen Brunnen geworfen, schrieb Fethiye Cetin 2004 die Erinnerungen ihrer Großmutter auf: „In ein bodenloses Wasserloch zwischen Cermik und Cüngüs, das Düden heißt. Er (der Gendarmeriegefreite Hüseyin) hatte geschehen lassen, dass die Männer enthauptet und ins Wasser geworfen wurden.“ Keine Tafel weist auf die Verbrechen hin, in Sichtweite liegt eine Grundschule, und Tourismusunternehmen empfehlen das Gebiet für Höhlenwanderungen.
In Berlin-Charlottenburg entsteht eine ökumenische Gedenkstätte
Ganz anders in Berlin-Charlottenburg: Hier entsteht auf dem Evangelischen Luisenkirchhof seit einigen Jahren eine „inklusive“ ökumenische Gedenkstätte für die armenischen, aramäischen und griechisch-orthodoxen Christen. Mehr als drei Millionen Menschen erlagen zwischen 1912 und 1922 den systematischen staatlichen Massakern, Todesmärschen und der Zwangsarbeit. In der zentralen Widmungstafel, die vor drei „Altären der Erinnerung“ steht, klafft ein symbolischer Riss. „Eine offenen Wunde“, so Tessa Hofmann, die auch Sprecherin der Fördergemeinschaft für die Gedenkstätte ist. „Es konnte nicht zur Aussöhnung kommen, weil die Anerkennung des Völkermordes verweigert wird.“
In die Altäre sind historische Fotos eingelassen, davor sollen 62 Bodenplatten die Herkunftsorte der Opfer zeigen, Spender-Steine die Namen von Ermordeten tragen. „Falls die Türkei anerkennt, überlegen wir, den Riss in der Tafel zu schließen – aber bislang ist die Wunde offen“, sagt Tessa Hofmann.
Isabel Fannrich-Lautenschläger
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