
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Ausstellung über die NS-Zeit
In der Gedenkstätte Lindenstraße wird 2013 die letzte Lücke in der Dauerschau geschlossen
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Innenstadt - Das in der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 seit Jahren geplante Ausstellungsmodul, mit dem an die Geschichte des Hauses im Nationalsozialismus erinnert werden soll, wird voraussichtlich im Frühsommer 2013 eröffnet. Das sagte Annemone Christians, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte, auf PNN-Anfrage. Ab Anfang kommenden Jahres werde eine Gestaltungsfirma die Ausstellung aufbauen. Der Auftrag müsse allerdings noch ausgeschrieben werden.
Mit dem neu entstehenden Ausstellungsabschnitt wird sich eine Lücke in der Dokumentation der wechselvollen Geschichte dieses Hauses schließen, jenem Gebäude, das in einer für Potsdam einmaligen Weise eng mit allen Diktaturen verbunden ist, die im 20. Jahrhundert auf deutschem Boden wüteten. Während viele Nutzungsphasen des ehemaligen Gerichtsgebäudes bereits in der Dauerausstellung gut dokumentiert sind, so die Nutzung als Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes von 1945 bis 1952 sowie als Untersuchungshaftanstalt des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit von 1952 bis 1989, fehlt bislang eine vergleichbare Dokumentation der NS-Zeit.
Der neue Ausstellungsteil soll unter anderem die Tätigkeit des sogenannten Erbgesundheitsgerichts beleuchten, das hier entsprechend der nationalsozialistischen Rasseideologie über die Anordnung von Zwangssterilisationen entschied. Nach den Erkenntnissen der heutigen Gedenkstätte ordnete das NS-Gericht in den Jahren von 1934 bis 1944 in rund 3 400 Fällen auf Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ die Zwangssterilisation behinderter oder kranker Menschen an. Gegen insgesamt etwa 4 200 Frauen, Männer und Jugendliche wurden vor dem Potsdamer Erbgesundheitsgericht entsprechende Verfahren geführt.
Wie Historikerin Christians den PNN mitteilte, wird die künftige Ausstellung auch die Politisierung der übrigen Potsdamer Justiz im Nationalsozialismus zeigen. Zudem werde über das Gebäude in der Lindenstraße als Haftort für die Angeklagten des Volksgerichtshofs informiert. Dieses Gericht, an dem politisch motivierte „Straftaten“ verhandelt wurden, hatte seinen Hauptsitz zwar in der Berliner Bellevuestraße, tagte aber auch in verschiedenen anderen Städten des Deutschen Reiches, so unter anderem in Potsdam. Während die Angeklagten hier in der Lindenstraße inhaftiert waren, fanden die Gerichtsverhandlungen in der Kaiser-Wilhelm-Straße 8 statt, dem heute vom Amtsgericht genutzten Haus in der Hegelallee. Der wegen seiner Hasstiraden berüchtigte Gerichtspräsident Roland Freisler hat nach Angaben von Christians allerdings nie in Potsdam eine Gerichtsverhandlung geführt.
Ein Schwerpunkt der Gedenkstätte Lindenstraße werde neben der Ausstellung wie bisher auch in der Zukunft die Arbeit mit Zeitzeugen sein, sagte Gedenkstättenmitarbeiter Christian Müller am Rande des gestrigen Tages der offenen Tür. Diese Arbeit sei weiterhin „ein ganz wichtiger Punkt“. Insbesondere viele Opfer des DDR-Unterdrückungssystems, die hier inhaftiert waren, können heute noch als Zeitzeugen befragt werden.
Müller ging auch auf Vorwürfe ein, die NS-Zeit des Hauses sei bislang nur unzureichend bedacht worden. Man habe diese Periode keineswegs absichtlich ausklammern wollen, vielmehr sei lange Zeit einfach nicht genügend Geld für die Erforschung und Dokumentation dieser Periode vorhanden gewesen. Müller verwies auf die beschränkte personelle Ausstattung der Gedenkstätte in den vergangenen Jahren. Er zeigte aber Verständnis für den Unmut der Kritiker. Diese Lücke in der Ausstellung sei „zu Recht kritisiert worden“. Ursprünglich sollte das Ausstellungsmodul zur NS-Zeit bereits 2008 fertiggestellt sein. Auch Claus Peter Ladner, seit zehn Jahren Vorsitzender der Fördergemeinschaft Lindenstraße, begründete diese Verzögerung gestern mit fehlendem Personal.
Zum Tag der offenen Tür am gestrigen Feiertag zeigte sich Ladner mit den Besucherzahlen nicht ganz zufrieden. „Ein bisschen mehr Zuspruch“ habe er sich gewünscht. Bis zum Abend kamen etwa 600 Menschen – rund 100 weniger als im vergangenen Jahr.
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