Landeshauptstadt: „Babelsberg ist filmisches Weltkulturerbe“ Filmhistoriker Friedemann Beyer über den Mythos Babelsberg – und wie er die Zeiten überdauert hat
Herr Beyer, vor 100 Jahren fiel die erste Klappe im Studio Babelsberg – heute steht der Name für einen mythischen Ort der Filmgeschichte. Wie kam es dazu?
Stand:
Herr Beyer, vor 100 Jahren fiel die erste Klappe im Studio Babelsberg – heute steht der Name für einen mythischen Ort der Filmgeschichte. Wie kam es dazu?
Dieser Mythos entstand nicht von heute auf morgen, sondern entwickelte sich über viele Jahrzehnte hinweg. Zu Beginn war Babelsberg nur ein Studio unter vielen: Es gab in und um Berlin zu der Zeit nicht weniger als 15 Filmateliers. Babelsberg war zunächst gar nicht besonders vorteilhaft.
Warum nicht?
Der Standort war ziemlich abgelegen, und es gab so gut wie keine Infrastruktur. Das Areal glich einem Exerzierplatz: Ein riesiges Freigelände, auf dem zwei aufgelassene Fabrikgebäude standen, die man als Kopierwerk und für die Verwaltung hergerichtet hat. Es folgte ein Glashaus, das aussah wie ein großes Gewächshaus, in dem die Filme bei Tageslicht gedreht wurden.
Vor der Kamera stand Asta Nielsen – seinerzeit ein Weltstar.
„Der Totentanz“ war eine der ersten größeren Produktionen. Es wurden aber auch viele „Bread-and-Butter-Filme“ gedreht: Konfektionsware für den schnellen Verbrauch. Allerdings entstand aber auch schon um 1913 der Ehrgeiz, künstlerische Filme in Babelsberg zu drehen.
Wer steckte dahinter?
Das waren vor allem Produzenten wie der Filmfachmann Guido Seeber. Während des Ersten Weltkriegs geriet das Studio aber in eine ziemliche Krise. Die Auslastung sank, man musste untervermieten.
Damit war nach Kriegsende Schluss?
Ja. Der Aufstieg Babelsbergs begann, als der Produzent Erich Pommer hier tätig wurde.
Wofür stand er?
Er brachte Leute wie Fritz Lang oder Friedrich Wilhelm Murnau nach Babelsberg. Fritz Lang drehte seine ersten Großfilmproduktionen, „Dr. Mabuse“ und „Die Nibelungen“. Vor allem durch ihn wurde der Standort rasch bekannt. Auch die Gründung der Ufa im Dezember 1917 spielte eine wesentliche Rolle: Erst die Ufa, die Babelsberg im Oktober 1921 übernahm, hat das Studio mit nachhaltigem Auftragsvolumen versorgt, wodurch sich die finanzielle Lage verbesserte. Damit wurde ein Teil jenes Mythos begründet, der sich dann in den 20er Jahren deutlich ausprägte.
Dabei floppten einige Fritz-Lang-Filme an den Kinokassen
Die Filme der 1920er Jahre, die wir heute als Kulturgut hochhalten, waren oft alles andere als kommerziell erfolgreich. Bestes Beispiel ist „Metropolis“, dessen Misserfolg die Ufa an den Rand des Ruins brachte. Andererseits wurden Filme von Murnau oder Lang bis nach Südamerika oder Australien vertrieben. Die Vermarktung im Ausland war viel einfacher als später beim Tonfilm, weil nicht synchronisiert werden musste. Dadurch gewann der deutsche Film der 1920er Jahre, der im Wesentlichen in Babelsberg entstand, eine enorme Strahlkraft im Ausland.
Was geschah bei Einführung des Tonfilms?
Der Mythos wurde noch mal verfestigt durch die modernste Produktionsinfrastruktur, die es damals auf dem europäischen Kontinent gab: Gemeint ist das „Tonkreuz“, ein Tonfilmstudio, das 1929 erbaut wurde. Erich Pommer wusste, dass das die einzige Möglichkeit war, um der amerikanischen Konkurrenz Paroli bieten zu können.
Sein Plan ging auf?
Einer der ersten deutschen Tonfilme, der im Babelsberger Tonkreuz entstand, war „Der blaue Engel“: Ein Welterfolg, der bis heute beispielhaft für Babelsberg steht. Dass jemand wie Josef von Sternberg - ein Regisseur mit österreichischen Wurzeln, der sein Handwerk in Amerika gelernt hat - nach Babelsberg kommt und für die Ufa dreht, zeigt, welche internationale Bedeutung die Studios entwickelt hatten. Auch sonst gab es einen lebhaften Transfer zwischen Babelsberg und Hollywood: Ernst Lubitsch, F.W. Murnau oder die Schauspieler Pola Negri oder Emil Jannings arbeiteten dort in den 1920er Jahren. Umgekehrt kam Louise Brooks nach Berlin, um hier etwa unter G.W. Pabst „Tagebuch einer Verlorenen“ zu drehen. Anfang der 1930er Jahre war Babelsberg das größte und bedeutendste Filmstudio auf dem europäischen Kontinent.
Babelsberg wird oft als das „deutsche Hollywood“ bezeichnet. In welchem Verhältnis steht Babelsberg zu Hollywood?
Seit dem Aufstieg des Studios unter Pommer gab es in der Tat eine Konkurrenzsituation. Mit einem wesentlichen Unterschied: Die Ufa hatte sich in Deutschland sehr schnell eine marktbeherrschende Stellung erarbeitet. Die Studio-Landschaft in Hollywood hingegen war durch konkurrierende Studios geprägt: Es gab MGM, Warner, Paramount, Fox und andere. Die Vormachtstellung der Ufa festigte sich auch durch ein Kooperationsabkommen mit Paramount, das man aus einer finanziellen Notlage heraus schloss: Die Ufa verpflichtete sich, ein Kontingent an amerikanischen Filmen zu spielen, im Gegenzug wurden deutsche Filme in die USA gebracht.
Wie sah das Verhältnis jenseits der wirtschaftlichen Komponente aus?
Erich Pommer, der wesentlichen Anteil an der Blüte Babelsbergs hat, orientierte sich stets an Hollywood-Standards: So fuhr er 1924 mit Fritz Lang in die USA, um die neuesten Aufnahmetechniken zu studieren und Kameras zu kaufen, die dann für „Metropolis“ genutzt wurden.
Umgekehrt kam ein Regisseur wie Hitchcock zum Hospitieren nach Babelsberg.
Den jungen Hitchcock hat vor allem die Lichtsetzung der deutschen Kameramänner interessiert. Die visuelle Kunst des deutschen expressionistischen Stummfilms hat Filmemacher in den USA bis in die 1940er Jahre hinein, in die Epoche des „Film Noir“ beeinflusst.
Eine Zeit, in der in Babelsberg Propagandafilme für die Nazis entstanden.
Infolge der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten erlitt die deutsche Filmindustrie gravierende Verluste. Jüdische Produzenten, Regisseure, Schauspieler, Kameraleute wanderten aus oder wurden zur Emigration gezwungen - auch Erich Pommer, der Motor in Babelsberg. Hinzu kam ein Boykott im Ausland, wo man keine Filme aus Nazi-Deutschland spielen wollte.
Wie hat der Mythos Babelsberg diese Zeit überdauert?
Das Regime, vertreten durch Goebbels, nahm großen Einfluss auf die Filmproduktion. Die nötigen Rahmenbedingungen schuf er, in dem er ab 1937 die deutsche Filmindustrie in eine „staatsmittelbare“ Holding umstrukturieren ließ. Doch auch die Filmindustrie im Nationalsozialismus musste gewinnbringend arbeiten. Um kommerziell bestehen zu können, wurden überwiegend Unterhaltungsfilme gedreht, Revuen, Komödien, Melodramen, die beim Publikum stets beliebter waren als ideologische Botschaften. Es gab zwar große Propagandafilme wie „Ohm Krüger“ oder den unsäglichen „Jud Süß“, die dann auch entsprechend finanziell ausgestattet wurden und mit großem Pomp aufgeführt wurden. Das war aber nicht mehr als zehn Prozent der Gesamtproduktion: Von etwa 1100 Filmen in der Zeit des Nationalsozialismus hatten etwa 150 propagandistischen Charakter.
Wie schätzen Sie den Umgang der Studios mit seinen Vergangenheiten heute ein?
Babelsberg steht exemplarisch für die deutsche Geschichte der letzten hundert Jahre, die sich eben auch in der deutschen Filmgeschichte widerspiegelt. Soweit ich das beurteilen kann, sind die heutigen Betreiber darum bemüht, sich mit der sehr facettenreichen Geschichte des Studios offen auseinander zu setzen. Dazu gehört selbstverständlich auch die Defa-Zeit, in der ein Gutteil des handwerklichen Ethos der Ufa überlebt hatte.
Ist denn aus wissenschaftlicher Sicht schon alles erforscht?
Da gibt es noch viele weiße Flecken, es ist längst nicht alles aufgearbeitet. Film- und Produktionsgeschichte als Zeitgeschichte zu begreifen und die Wechselbeziehungen zu erforschen, ist ein reiches Feld für Wissenschaftler.
Zum Abschluss der Blick nach vorne: Wird Babelsberg in 100 Jahren immer noch ein mythischer Ort sein?
Ja. Babelsberg hat so viel Mythos angesammelt, dass es ihm überhaupt nicht mehr zu nehmen ist - selbst wenn die Studios in 100 Jahren nur noch Museum wären. Man kann das vergleichen mit Pompeji oder der Akropolis, die man unmöglich von der Liste der Weltkulturdenkmäler streichen könnte. Babelsberg ist nicht nur Synonym für unser nationales Filmerbe, sondern es steht für unser filmisches Weltkulturerbe.
Das Interview führte Jana Haase
Friedemann Beyer,
geboren 1955, ist Filmhistoriker und Autor. 2001 bis 2007 war er im Vorstand der Murnau-Stiftung. In Berlin hat er mehrere Filmretrospektiven kuratiert.
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