Landeshauptstadt: Bekenntnis zum NS-Staat von der Kanzel
Über die Rolle der Evangelischen Kirche nach Hitlers Machtergreifung diskutierte Altbischof Huber im Alten Rathaus
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Die Geschichte der Evangelischen Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus als eine Geschichte der Versäumnisse: Diese Bewertung zeichnete sich am Ende des Gesprächsabends ab. Zwei Stunden lang diskutierten Altbischof Wolfgang Huber, der Kuratoriumsvorsitzende der Garnisonkirchen-Stiftung, und der Kirchenhistoriker Christoph Markschies, früher Präsident der Humboldt-Universität Berlin, am Mittwochabend vor gut gefülltem Saal im Alten Rathaus zum Thema „1933 als Zäsur für evangelische Kirche und Theologie“, warfen Schlaglichter auf einzelne Persönlichkeiten der Evangelischen Kirche und ihren Weg in den dunklen Jahren der deutschen Geschichte nach der Machtergreifung Hitlers. Die Veranstaltung war Teil der Reihe „1933 als Zäsur?“ des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), dessen Direktor Martin Sabrow am Mittwoch auch moderierte.
Der Zeithistoriker stellte gleich zum Auftakt die Vorstellung von einer klaren Zäsur durch die NS-Machtergreifung am 30. Januar 1933 infrage: In den Anfangswochen und -monaten sei keineswegs ausgemacht gewesen, wie sich Deutschland unter Hitler entwickelt. „Die Nationalsozialisten haben die Macht nicht so entschieden ergriffen, wie das heute gern entschuldigend gesagt wird“, argumentierte Sabrow. Das Datum, das rückblickend zur „Wasserscheide zwischen Zivilisation und Barbarei“ gemacht wird, war möglicherweise nur Zwischenstation einer Entwicklung, die sich in den Jahren vorher in weiten Kreisen der Bevölkerung abgezeichnet hatte. Sabrow spricht von einer „messianischen Sehnsucht“ der Deutschen seit den 1920er-Jahren, die in Hitler 1933 Gestalt findet, und dann zu einer „begeisterten Selbstgleichschaltung von unten“ führt.
Auch in der Evangelischen Kirche war die Zustimmung für das neue Regime zunächst der Normalfall, sagte Wolfgang Huber. Stimmen wie die von Dietrich Bonhoeffer, der sich schon nach den ersten Judenboykotten und antisemitischen Aktionen deutlich und kritisch äußerte, waren die Ausnahme, so der Altbischof. Stattdessen sei innerhalb der Kirche in kürzester Zeit mit etlichen Notverordnungen die Gleichschaltung vorangetrieben worden. Dass es am unseligen „Tag von Potsdam“, als Hitler und Hindenburg am 21. März 1933 in der Garnisonkirche den Schulterschluss mit dem alten Preußen inszenierten, zu einer solchen Erregung der Massen kommen konnte, daran sei die evangelische Kirche nicht unbeteiligt gewesen, räumte Huber ein.
Einen möglichen Grund für die breite Zustimmung für Hitler in der Kirche nannte Christoph Markschies: Nach Zerschlagung des Kaiserreiches habe die Kirche in den Jahren der Weimarer Republik einen Bedeutungsverlust einstecken müssen – es gab erstmals die Trennung von Kirche und Staat, die Kirche war auf sich selbst zurückgeworfen. Bei den Kirchenvertretern habe das zu einer „Mentalität des Gedemütigtseins“ geführt. Noch Jahre nach Abdankung des Kaisers seien Gottesdienste vielerorts mit einer Fürbitte für das Haus Hohenzollern abgeschlossen worden. Selbst Martin Niemöller, der später zum führenden Vertreter der Bekennenden Kirche und damit des NS-Widerstands wurde, habe 1933 noch die NSDAP gewählt.
Eine traurige Rolle spielte aus Sicht Wolfgang Hubers auch der Generalsuperinntendent Otto Dibelius, später ebenfalls Anhänger der Bekennenden Kirche. Zwar hatte er an jenem „Tag von Potsdam“ zumindest verhindern können, dass der Reichstag tatsächlich wie zunächst geplant in der Garnisonkirche eröffnet wurde. In seiner Festpredigt beim Gottesdienst in der Nikolaikirche habe er es aber an klaren Worten mangeln lassen, so Huber. Und das, obwohl er zuvor von Theodor Heuss – damals war der spätere erste Bundespräsident noch Reichstagsmitglied der linksliberalten DDP – einen Brief mit der Bitte um eben diese klaren Worte bekommen hatte. Auch ein passendes Bibelzitat hatte Heuss Dibelius vorgeschlagen: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben.“ Stattdessen gab Dibelius von der Kanzel ein Bekenntnis zum neuen Staat ab.
Es war symptomatisch für die Einstellung der Kirche zum neuen Staat, waren sich die Diskutanten einig. Als sich im September 1933 mit dem Pfarrernotbund, dem Vorgänger der Bekennenden Kirche, der Widerstand organisierte, ging es zunächst auch nur um die innerkirchliche Organisation. Man war mit der durch die „Deutschen Christen“ betriebenen Gleichschaltung, in deren Zug die Landeskirchen ihre Selbstständigkeit verloren, unzufrieden. Huber sieht hier die Tendenz, „die eigenen Angelegenheiten wichtiger zu nehmen als die allgemeinen politischen Entwicklungen“. Als er die Frage aufwirft, ob die deutsche Geschichte nicht anders verlaufen wäre, hätten sich die evangelischen Pfarrer in den Wochen und Monaten nach Hitlers Machtergreifung deutlich von den Kanzeln aus zu Wort gemeldet, nicken im Publikum im Alten Rathaus die meisten Zuhörer. Mit der Frage, wie sich die Kirche damals verhalten hat, sei die Evangelische Kirche bis heute nicht fertig, sagte Huber.
Am 24. Oktober 18 Uhr spricht die Historikerin Wenke Nitz im Potsdam Museum zum Thema „1933 – Eine Zäsur für die Potsdamer Stadtgeschichte?“
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