
© Synagogue Museum, Wlodawa
Homepage: „Bereichern, ohne zu dominieren“
Christoph Schulte über die Kooperation der Jüdischen Studien mit dem Rabbiner-Kolleg, das Alleinstellungsmerkmal des Studiengangs und seine Zukunft
Stand:
Herr Schulte, am Institut für Jüdische Studien macht man sich Sorgen, dass die Integration der Rabbinerausbildung des Abraham-Geiger-Kollegs dem Institut sein eigenes Profil nehmen könnte.
Ich teile diese Sorge nicht. Die Forderungen des Abraham-Geiger-Kollegs nach Gleichbehandlung und gleicher personeller Ausstattung der Rabbinerausbildung mit den neuen islamischen Zentren sind ja völlig berechtigt. Und es ist überaus erfreulich, dass im Landtag, in der Landesregierung, im Wissenschaftsministerium und in der Universitätsleitung der politische Wille besteht, die Rabbinerausbildung am Institut für Jüdische Studien der Universität Potsdam zu gewährleisten, zu fördern und auszustatten. Allerdings ist das Ziel und die Aufgabe eines Instituts für Jüdische Studien nicht in erster Linie die Rabbiner- oder Kantorenausbildung.
Sondern?
Von insgesamt 300 Studierenden sind zurzeit rund 20 oder 25 vom Abraham-Geiger-Kolleg. Im Interesse aller Studierenden bieten wir eine ganz breite Palette von Kursen in jüdischer Religion, Geschichte, Kulturen und Sprachen an. Die Mehrzahl der Studierenden und Dozenten am Institut beschäftigen sich nicht mit jüdischer Theologie, sondern mit profaner jüdischer Geschichte und Kultur. Es wird auch in Zukunft keine Ausrichtung des Instituts speziell auf jüdische Theologie geben. Aber dieser Bereich und die Professoren dafür werden unser Angebot im Institut wesentlich erweitern und bereichern, ohne das Institut zu dominieren.
Lässt sich die Rabbinerausbildung überhaupt einbinden?
Die Rabbinerausbildung ist doch jetzt schon seit über zehn Jahren bei uns integriert, wenn auch nicht hinreichend personell ausgestattet. Es gibt eine ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem Geiger-Kolleg, auf der persönlichen wie auf der sachlichen Ebene. Und eine klare Arbeitsteilung: Die Rabbiner werden am Institut wissenschaftlich bis zum Master ausgebildet, und vom Geiger-Kolleg für das geistliche Amt vorbereitet und dann ordiniert. Die Jüdischen Studien müssen sich nicht zwischen jüdischer Theologie oder profaner jüdischer Alltagskultur entscheiden. Es gibt beides im Judentum, Fromme und Atheisten, und noch vieles mehr. Wir erforschen und lehren sowohl-als-auch. Und die Studierenden haben die Wahl.
Die Situation der Jüdischen Studien ist allerdings nicht sehr rosig.
Sie ist insofern prekär, als nach 17 Jahren Jüdischer Studien in Potsdam die Ausstattung immer noch dürftig ist. Wir haben einen ausgewachsenen Studiengang mit rund 300 Studierenden, was ihn zum größten seiner Art in Europa macht. Wir bieten pro Semester durchschnittlich 50 Lehrveranstaltungen an. Und das unter den Vorzeichen der Bologna-Reform, also mit einem erheblichen Mehraufwand für die Lehre und für die Prüfung der Studierenden. Dies lässt sich quantitativ wie qualitativ so nicht aufrecht erhalten, wenn die Jüdischen Studien in der Struktur der Philosophischen Fakultät, wie im Augenblick, keine einzige eigene Personalstelle haben, sondern permanent auf die Zuarbeit anderer Fächer angewiesen sind. Die neuen Stellen, die das Abraham-Geiger-Kolleg einbringt, werden erheblich zur Verbesserung dieser Situation beitragen. Denn jeder Weggang eines Kollegen bringt uns derzeit in eine Existenzkrise, wenn wir bestimmte Lehrangebote nicht mehr abdecken können.
Was bringt vor diesem Hintergrund das geplante Berlin-Brandenburgische Zentrum für Jüdische Studien?
Das Zentrum wird, wenn dem gemeinsamen Antrag von FU, HU, Uni Potsdam und einigen kleineren Institutionen stattgegeben wird, vom Bund finanziert werden und in erster Linie Forschungsaufgaben haben. In der Lehre wird es keinen neuen Studiengang geben, die Studiengänge an den Universitäten werden bestehen bleiben, wie sie sind, aber stärker zusammenarbeiten. Vom Bund bekommen wir ein Graduierten- und Postgraduiertenkolleg auf sehr hohem Niveau und personell gut ausgestattet für fünf Jahre ermöglicht. Unsere Hausaufgaben müssen wir in Potsdam aber unabhängig davon machen. In der Lehre ändert sich personell fast nichts, es wird auch erst einmal keine gemeinsamen Studiengänge geben.
Ihre Forderung?
Trotz all der schwierigen Sparvorgaben im Land Brandenburg sollten die Verhandlungen zwischen Universität, Ministerium und Geiger-Kolleg nun möglichst zügig abgeschlossen werden. Ich sehe die Einbindung des Geiger-Kollegs als eine ganz große Entwicklungschance für die Jüdischen Studien. Das hilft neben der personellen und inhaltlichen Bereicherung letztendlich auch, unsere Potsdamer Strukturprobleme zu lösen. Wir können auch an dem Zentrum für Jüdische Studien in Berlin besser partizipieren, wenn wir wissen: Die Qualität und Ausstattung der Lehre und Ausbildung in unserem eigenen Potsdamer Institut stimmt.
Die Jüdischen Studien in Potsdam gelten als einzigartig.
Unser Studiengang hat sich aus einem interdisziplinären Verbund von Religionswissenschaftlern, Historikern, Philosophen, Literaturwissenschaftlern und Soziologen entwickelt. Damit haben wir die damals existierende Judaistik kulturwissenschaftlich geöffnet. Wir haben den Kanon der klassischen Judaistik, die sich hauptsächlich philologisch mit jüdischer Religion in hebräischen Texten beschäftigte, erweitert. Um auch die ganz vielfältige jüdische Geschichte, das Schicksal von Juden in aller Welt in 3000 Jahren, jüdische Literaturen in anderen Sprachen als Hebräisch und Aramäisch, auch jüdische Kunst und Musik zu erfassen. Das hat Potsdam sehr attraktiv gemacht. Es wurde von den Studierenden sehr gut angenommen und hat die Jüdischen Studien so erfolgreich wachsen lassen. Viele interessieren sich eben weniger für Religion und mehr für deutsch-jüdische Geschichte oder jiddisches Theater. Das wurde von der traditionellen Judaistik nicht bedient. Unser Alleinstellungsmerkmal heute ist aber gerade die Kombination von Rabbinica und Rabbinerausbildung und kulturwissenschaftlicher Breite.
Wird diese Bedeutung vom Land Brandenburg überhaupt gesehen?
Das Land, die Wissenschaftsminister und die Universität haben die Jüdischen Studien eigentlich stets unterstützt. Jetzt wird es sehr wohl als Chance erkannt, dass wir uns durch die Einbindung des Geiger-Kollegs im Bereich der Religion personell verstärken können. Aber das heißt nicht, dass wir unsere kulturwissenschaftliche Öffnung nun zugunsten der Theologie rückgängig machen. Das wird sich gegenseitig ergänzen.
Ein hochgestecktes Ziel.
Der Potsdamer Anspruch ist der Spagat zwischen der wissenschaftlichen Reputation und der religiösen Ausbildung. Ein Rabbiner ist, mit Max Weber gesprochen, ein „religiöser Virtuose“, er muss in seinem Gebiet enorm viel können. Andererseits müssen wir aber auch exzellente historische und kulturwissenschaftliche Masterarbeiten oder Dissertationen am Institut hervorbringen. Wir hatten etwa welche über israelische Kibbuz-Architektur oder über deutsche Zionisten oder über jüdische Aufklärer. Das macht uns einmalig und sichert uns den weiteren Zulauf von Studierenden. Zum Wintersemester haben wir 60 neue Bachelorstudenten. Das ist völlig außergewöhnlich, solche Zahlen gibt es in ganz Europa in einem eigentlich so kleinen Fach nicht.
Was ist mit der Vision einer Jüdischen Fakultät?
Die Idee einer jüdisch-theologischen Fakultät an einer deutschen Universität wurde 1836 erstmals von Abraham Geiger vorgebracht. Das hat heute niemand ernsthaft vor, es wäre auch nicht finanzierbar. Eine eigene Fakultät ist übrigens auch für eine Rabbinerausbildung nicht nötig. Was wir in Potsdam brauchen, ist ein starkes Institut für Jüdische Studien innerhalb der Philosophischen Fakultät. Mit Rabbinerausbildung. Das ist derzeit Konsens.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
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Christoph Schulte ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Jüdische Studien an der Universität Potsdam. Zu seinen Schwerpunkten zählt unter anderem Jüdische Religions- und Kulturgeschichte. Er ist außerplanmäßiger Professor an der Philospophischen Fakultät der Universität Potsdam.
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