
© Andreas Klaer
Winzerberg Potsdam: Bergfest
Nach zehn Jahren ist die Restaurierung des Winzerberges Potsdam auf der Zielgeraden. Hunderte Ehrenamtler, Spender und Unterstützer machten das Projekt möglich. Nun geht es um die Vorbereitung des regulären Besucherbetriebes.
Stand:
Potsdam - Zum Feierabend im Liegestuhl zwischen duftenden Kräutern und Weinreben entspannen, während sich die Abendsonne über Park Sanssouci senkt, dazu ein Glas kühlen Weißwein und feinen Käse oder pikante Wurst genießen – am historischen Winzerberg sind die Restaurierungsarbeiten nach zehn Jahren mittlerweile so weit auf der Ziellinie, dass sich die Ehrenamtler auf den regulären Besucherbetrieb vorbereiten. Der erste Schritt ist die „Bacchusstunde“, zu der der Weinberg vorerst bis August immer donnerstags und freitags zwischen 17 und 20 Uhr zum Weingenuss öffnet. Der Erlös soll unter anderem in die Bezahlung eines Gärtners fließen, erklärt Roland Schulze vom Bauverein Winzerberg: „Wir brauchen langsam einen, der das hier alles in Schuss hält.“
Vor zehn Jahren wäre daran noch nicht zu denken gewesen. Schulze, 58 Jahre, Chef eines Denkmalpflegeunternehmens, zeigt die Fotos von damals. Der Berg unweit von Schloss Sanssouci war von Unkraut überwuchert, die in den 1760er-Jahren angelegte historische Terrassenanlage mit den fünf Hangmauern praktisch kaum noch zu erahnen. Die Schlösserstiftung, der der Winzerberg gehört, hatte eine Restaurierung als zu teuer auf die lange Bank geschoben. Es brauchte schon viel Fantasie und Zuversicht, um diesen Berg anzugehen.
Feierabendwein mit Atmosphäre immer donnerstags und freitags
Beides hatten Roland Schulze und seine Mitstreiter. Wie viele helfende Hände, Spender, Unterstützer und gute Seelen seit 2006 am Winzerberg gewirkt haben, kann er heute gar nicht mehr sagen. Hunderte sind es gewesen – von Studierenden und Lehrlingen, die zum Arbeitseinsatz kamen, über Potsdamer Maurerbetriebe, die nach dem Aufruf der Maurerinnung am Winzerberg mauerten, Baustoffhändler, die Material spendeten, eine Bäckerei, die die Helfer regelmäßig mit Kaffee und Kuchen verköstigte, eine Gruppe Engagierter, die sich jeden Montag um Bepflanzung, Bewässerung, Ernte und Verarbeitung kümmern, die Spender mit bekannten und unbekannten Namen, die kleine und große Beiträge für die Restaurierung gaben, bis hin zum Freifunk-Verein, der einen WLAN-Hotspot einrichtete oder den Schülern, die eine Smartphone-App mit einer Führung zu dem historischen Gelände entwickelten. Eine Absage, erzählt Roland Schulze, habe er in Sachen Winzerberg seit 2006 nie bekommen.
Wenn er über die vergangenen zehn Jahre redet, wird schnell klar: Der Winzerberg ist für ihn und all die anderen Helfer nicht nur eine Aufgabe, sondern auch ein Geschenk, eine Bereicherung. „Es macht Spaß, etwas zu tun, was Sinn macht – und dabei Leute zu treffen, die auf derselben Welle liegen“, sagt er: „Das Prinzip kann ich auch nicht genau erklären.“ Eines ist sicher: Es wirkt.
Auch Flüchtlinge helfen mit am Winzerberg
Das erleben mittlerweile auch Flüchtlinge. So wie Alain Christian Nkawo. Der 30-jährige Kameruner ist vor zwei Jahren nach Potsdam gekommen, seit einem Jahr arbeitet er mit am Winzerberg. Am gestrigen Freitag bearbeitete der gelernte Fliesenleger gemeinsam mit einem Mitstreiter eines der Fenstergitter, mit Drahtbürsten schrubbten die beiden Rost vom Gitter. „Die Arbeit gefällt mir gut“, sagt er. Besonders mag er, dass er mit Menschen zusammenkommt und helfen kann, ein Stück Geschichte wieder zum Leben zu bringen.
„Avada“ heißt das Projekt des Internationalen Bundes, eines Trägers, der in Potsdam mehrere Flüchtlingsunterkünfte betreibt. Die Abkürzung steht für „Asylbewerber vorbereiten auf den Arbeitsmarkt“, erklärt Projektleiter Olaf Herzog. Das Ziel: Die Neuankömmlinge bei Arbeitseinsätzen mit Potsdamer Bürgern in Kontakt zu bringen, aber auch auf den Arbeitsalltag in Deutschland vorzubereiten. Montags, mittwochs und donnerstags helfen Flüchtlinge mittlerweile vor Ort, bis zu 40 waren es bisher, wie Herzog schätzt. Sie haben geholfen, die Holzreiter für die Pergolen zu fertigen, Kabel zu verlegen – und nun mit den Fenstergittern. Es gehe nicht nur um die Arbeit, genauso wichtig sei das gemeinsame Essen hinterher, sagt Herzog: „Da wird im Weinberg richtig aufgetafelt“, erzählt er. Einige der Flüchtlinge hätten mittlerweile zwar reguläre Arbeit gefunden, würden in ihrer Freizeit aber immer noch gern beim Winzerberg helfen.
Die Glasscheiben müssen noch eingesetzt werden
Was Ehrenamtler am Winzerberg leisten, hat Vereinsmitglied Peter Rüge versucht, in Zahlen zu fassen: Allein die „Gruppe Grün“, die sich um die Bepflanzung kümmert, kommt demnach auf 8057 Arbeitsstunden. 229 Führungen über den Berg wurden gegeben, 818 Kubikmeter Boden vorbereitet, 519 Quadratmeter Rasen gesät. Auch ein Trockenrasen aus der Zeit von Auguste Viktoria, der letzten deutschen Kaiserin, liegt am Winzerberg, erzählt Rüge stolz. Der war von seinem ursprünglichen Platz am Neuen Palais wegen Bauarbeiten entfernt worden – und liegt nun auf dem Plateau des Winzerbergs.
In den kommenden Monaten soll es am Winzerberg vor allem um die Glasscheiben gehen, erklärt Roland Schulze. Für die Scheiben konnten Spender eine Patenschaft übernehmen – im Preis von 30 Euro pro Scheibe ist eine Glasgravur inklusive, eingesetzt werden die Scheiben – falls gewollt – an einem Wunschtermin. „Von insgesamt 5000 Scheiben haben wir schon gut 4000 an den Mann gebracht“, sagt Schulze. Weitere Paten sind also willkommen. Auch nach Sitzmöglichkeiten – Stühle, Liegestühle – für die „Bacchusstunden“ sucht der Verein derzeit.
Die ersten Glasscheiben sind bereits vor anderthalb Jahren eingesetzt worden, erzählt Roland Schulze. Es war ein besonderer Scheibenpate, für den man den vorfristigen Termin möglich gemacht hatte: Der damals 107 Jahre alte Fritz Koch, ein Freund und Weggefährte von Staudengärtner Karl Foerster. Er habe den Winzerberglern eindrucksvolle Worte mit auf den Weg gegeben, sagt Schulze und lächelt: „Bleibt gesund und werdet alt – es lohnt sich!“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: