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Manche Störche werfen ihren Nachwuchs aus dem Nest.

© dpa

Störche in Potsdam: Beziehungsdramen im Horst

Die Trockenheit der vergangenen Wochen hat Potsdams Störchen und ihrem Nachwuchs zu schaffen gemacht. Dank der jüngsten Regenfälle könnten die mageren Zeiten aber vorbei sein.

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Auch wer sonst keine Ahnung von Vogelstimmen hat, erkennt seinen „Gesang“ sofort: Über den Bäumen ist ein deutlich vernehmbares Klappern zu hören. „Da kommt er gerade und füttert seine Jungen“, sagt Manfred Pohl vom Potsdamer Kreisverband des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) und zeigt auf den heransegelnden Storch. Der fünfköpfigen Weißstorchenfamilie, die weithin sichtbar auf einem Schornstein nahe der Trebbiner Straße ihr Zuhause hat, geht es gut. Drei Jungvögel stehen in dem großen Nest und schlingen gierig das gebrachte Futter hinunter.

Letztes Jahr war das anders: Auch damals gab es drei Jungtiere, sie waren jedoch alle wegen Kälte und Nahrungsmangel verendet oder aus dem Nest geworfen worden. „Eines haben sie rausgeworfen, das hat sich dann der Fuchs geholt“, sagt Peter Schwarm. „Ein anderes wurde auch rausgeworfen und blieb dann am Rand des Nestes hängen.“ Schwarm wohnt seit Anfang der Neunziger Jahre nahe am Horst und beobachtet die Entwicklung der Störche.

Dass Storcheneltern ihren Nachwuchs aus dem Nest werfen, ist leider keine Seltenheit: Gibt es zu wenig Futter, versuchen die Altvögel zumindest ein oder zwei ihrer Jungen „durchzukriegen“, damit diese kräftig genug werden, um gen Süden zu fliegen. „Manchmal verfüttern sie eines der Jungtiere sogar an ihre Geschwister“, sagt Pohl, der für das Landesumweltamt als Storchen-Beauftragter für Potsdam arbeitet. Ob die Störche dies nur mit bereits verhungerten Jungtieren machen oder diese selbst tot hacken, sei aber schwer zu sagen, so Pohl.

Maulwürfe sind ein gefundenes Fressen

Dass ein Junges aus dem Nest geworfen wurde, ist 2016 zum Glück nur einmal passiert, nämlich beim Horst in Fahrland. Grund dafür ist die enorme Trockenheit, die in den vergangenen Wochen in Potsdam herrschte. „Dann sind die Regenwürmer ganz tief in der Erde und die Jungen bekommen kein Futter, denn Regenwürmer sind das Grundnahrungsmittel für Jungtiere“, so Pohl. 2,5 Kilo Nahrung pro Tag braucht eine Storchenfamilie im Schnitt. „Wir haben dieses Jahr beim Beringen einiger Störche gemerkt, dass sie alle im Schnitt 100 Gramm zu wenig wiegen.“

Wenn es hingegen regnet, werden nicht nur Regenwürmer, sondern auch Mäuse und Maulwürfe aus ihren unterirdischen Bauten vertrieben und kommen ans Tageslicht – ein gefundenes Fressen für die Störche. Daher ist Pohl froh, dass es in den vergangenen Tagen kräftig geregnet hat. Je weiter südlich man in Brandenburg ist, desto weniger Jungvögel gebe es bei den Störchen, sagt Pohl, weil auch die Trockenheit im Süden noch größer ist. Mit 1424 Horsten ist Brandenburg das Bundesland mit den meisten Störchen, bundesweit sind es 5598.

Ein anderes Problem für die Störche ist der Mais, die mittlerweile viele Felder dominiert: „In den Maisfeldern finden sie keine Nahrung“, sagt Pohl. Ähnlich problematisch sei es, wenn Wiesen nicht gemäht oder von Nutzvieh abgegrast werden, denn im hohen Gras können Störche keine Futtertiere aufstöbern. „Die Nuthewiesen hier in der Nähe werden kaum gemäht“, klagt Pohl.

Pohl wohnt selbst im Kirchsteigfeld und steht mit Peter Schwarm in engem Kontakt. „Immer, wenn im Frühjahr der erste Storch angekommen ist, ruft er mich an“, sagt Pohl. „Dann radle ich hin und wir trinken ein Bier zusammen. Und wenn der nächste Storch kommt, stoßen wir noch mal an.“

„Störche sind nicht partnertreu“

Insgesamt gibt es in Potsdam 14 Horste: In Bornim, Drewitz, Fahrland, Golm, Grube, Marquardt, Paaren, Satzkorn, Uetz und Kartzow. 15 Jungtiere habe er dieses Jahr gezählt, sagt Pohl, das sei eine „3+“. In der Vergangenheit hatte es schon bis zu 21 Jungtiere gegeben, der Negativ-Rekord hingegen war 2015: Lediglich sechs Jungvögel im ganzen Stadtgebiet waren flügge geworden. Grund war das sehr nass-kalte Wetter. „Der Horst hier in Drewitz war zum Teil mit Wasser vollgelaufen“, erinnert sich Pohl. „Wenn die Altvögel dann die Jungen versuchen zu hudern, also zu wärmen, ersäufen sie sie damit beinahe.“

Eigentlich ist das Familienleben im Drewitzer Horst relativ robust: Jahrelang gab es konstant immer drei Jungtiere, nur 2013 und 2015 waren alle Jungen gestorben. Und die Störche haben schon ganz andere Dramen überlebt: 2003 wurde das Storchenweibchen drei Wochen vor dem Flug nach Süden mit Schrot erschossen – der Täter konnte nicht ermittelt werden. Dennoch schaffte es das Männchen gerade so, die vier Jungen durchzufüttern. Ein Jahr später drohte der Schornstein, auf dem sich der Horst befindet, einzustürzen, doch eine ansässige Familie spendete 5000 Euro, um den Schornstein um drei Meter abzutragen und zu befestigen.

Selbst wenn Wetter, Menschen und Gebäudestatik mitspielen, kann es sehr stressig im Horst sein: „Störche sind nicht partnertreu“, verrät Pohl. „Männchen nehmen sich das Weibchen, das als erstes da ist. Wenn ein zweites Weibchen kommt, kommt zu erbitterten Kämpfen.“ So etwa beim Horst in Grube, wo dies drei Jahre hintereinander passiert ist und eines der Weibchen sogar die bereits gelegten Eier der Nebenbuhlerin kaputtgehackt hat. Manchmal gibt es auch gar keine Jungtiere, so wie dieses Jahr beim Storchenpaar in Paaren: „Da sind Männchen und Weibchen irgendwie nicht miteinander warmgeworden“, sagt Pohl.

Beziehungsstress vermutet Pohl auch hinter dem Verhalten des „Problemstorchs“ Ronny (siehe Kasten): „Ich schätze, der hat schlicht kein Weibchen abbekommen und hat dann seinen Frust abgelassen.“ Typisch sei das aber nicht, so Pohl: „Das ist schon ein eher seltenes Verhalten bei Störchen.“

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