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Landeshauptstadt: Billig in Kauf genommen

Wie Hedwig Bollhagen zu ihren Werkstätten kam: Gutachten zu Arisierungs-Vorwürfen in Potsdam vorgelegt

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Die berühmte Keramikerin Hedwig Bollhagen war „keine Förderin oder Anhängerin des Nationalsozialismus“. Sie hat aber wohl „von den Zeitumständen profitiert“, erklärte Prof. Martin Sabrow. Es gebe „Argumente für eine Regimepartnerschaft“ Hedwig Bollhagens. Dieser „Widersprüchlichkeit ist nicht zu entkommen“, erklärte der Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) gestern bei der Präsentation eines von der Stadt Potsdam beim ZZF beauftragten Gutachtens „zu den ,Arisierungs“- Vorwürfen gegen Hedwig Bollhagen“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG). Das Gutachten wurde von Dr. Simone Ladwig-Winters vom Forschungsbüro Politik und Geschichte Berlin erstellt.

Hintergrund der aktuellen Bollhagen- Debatte ist die Absicht der Stadt Potsdam im Haus „Im Güldenen Arm“, Hermann- Elflein-Straße 3, ein Hedwig Bollhagen- Museum einzurichten. Nach kritischen Medienberichten über die Umstände des Erwerbs der Keramik-Werkstätten in Marwitz bei Velten hatte Potsdams Baubeigeordnete Elke von Kuick-Frenz (SPD) durch ein Interview in der rbb-Sendung „Kontraste“ mit den Worten von HBPG- Direktor Gert Streidt „die Medien vermuten lassen“, dass die Zeit 1933/34 im Museum „nicht thematisiert werden soll.“ Die PNN berichteten in diesem Zusammenhang erstmals über Funde im Brandenburgischen Landeshauptarchiv, die einen Großauftrag des Reichsführers SS an Hedwig Bollhagen aus dem Jahr 1943 belegen.

Am 26. April 1934 kauften die 26-jährige Hedwig Bollhagen und ihr Geschäftspartner, der hohe NSDAP-Funktionär Heinrich Schild, die Werkstätten in Marwitz von der jüdischen Keramikerin Margarete Heymann-Loebenstein. Aus den Haël-Werkstätten wurden die HB-Werkstätten. „Der Tatbestand der Arisierung ist nicht zu bestreiten“, so der Wirtschaftshistoriker Prof. Dieter Ziegler (Bochum) in der gestrigen Diskussion im HBPG. Dem Gutachten zufolge war der Kauf formalrechtlich nicht zu beanstanden. Margarete Heymann-Loebenstein erhielt 45 000 Reichsmark für die Haël-Werkstätten; Simone Ladwig-Winters berechnete jedoch einen Substanzwert des Unternehmens von mindestens 112 000 Reichsmark. Die jüdische Eigentümerin war durch die allgemeinen politischen Verhältnisse nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten einem starken Druck ausgesetzt. Unter dem lokalen Bedingungen im Umkreis von Velten „hatte sie keine Chance, ihre unternehmerische Tätigkeit ungestört fortzusetzen, sondern war gezwungen, ihren Betrieb aufzugeben“, so Simone Ladwig-Winters. Und weiter: Sie „musste fürchten, demnächst verhaftet zu werden oder gezielten Aktionen der Mitarbeiter oder betriebsfremder Personen ausgesetzt zu sein. Unter diesen Bedingungen war sie in ihren Entscheidungen nicht mehr frei.“ Margarete Heymann-Loebensteins Entschluss sei den politischen Gegebenheiten geschuldet, die für sie eine Verfolgungssituation darstellte. „Hedwig Bollhagen muss um die näheren Umstände der Diskriminierung, Diffamierung und Verfolgung von Margarete Heymann-Loebenstein gewusst haben“, schreibt die Gutachterin. Gefährlich für die Jüdin waren Denunziationen ehemaliger Mitarbeiter, die sie „staatsfeindlicher Gesinnung“ bezichtigten. Das ungleichrangige Vertragspartner am Tisch saßen, wird auch an der Person Heinrich Schilds deutlich: Schild war Generalsekretär des Reichsverbandes des deutschen Handwerks und formulierte in dieser Funktion die Gleichschaltungsprinzipien für das deutsche Handwerks. Für lokale Parteigrößen und Polizisten sei die Position Schilds „eindrucksvoll“ gewesen. Er habe aus der Situation „den maximalen Vorteil gezogen“, so die Gutachterin. Über die genaue Art der Beziehung zwischen Hedwig Bollhagen und Schild geht sie nicht ein.

Gegen die Schlussfolgerungen des Gutachtens sprach der Rechtsanwalt und Verwandte Hedwig Bollhagens, der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU): Er rechtfertigte den niedrigen Kaufpreis, denn die Haël-Werkstätten hätten ohnehin – auch im Zuge der Weltwirtschaftskrise – „vor dem Abgrund“ gestanden. Es hätten Hypotheken auf den Grundstücken gelegen und es habe hohe Lieferanten-Verbindlichkeiten gegeben. Den hohen Bestand an Haël-Ware bezeichnete er als „Ladenhüter“. Dem widersprach Simone Ladwig- Winters vehement: Sie möchte bezweifeln, dass Hedwig Bollhagen mit Ladenhütern 1934 zur Grassi-Messe nach Leipzig gefahren ist. HB war laut Katalog auch mit Haël-Waren auf der Messe.

Ein Fazit zog ZZF-Direktor Prof. Sabrow: „Das blaue Geschirr Hedwig Bollhagens trägt keine braunen Streifen, aber auch keinen Glasurglanz von Widerständigkeit.“ Es gehe um die „Abnormität des Normalen“ in jener Zeit, als es – wissenschaftlich belegt durch Götz Alys „Volksraubstaat“ – „keine Deutschen gab, die nicht Nutznießer des Systems waren“.

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