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Enteignung jüdischer Bürger in Potsdam: Bis zum letzten Hemd

Eine Ausstellung zeigt die systematische Enteignung jüdischer Bürger unter den Nazis.

Stand:

Etwa 60 000 Einzelfallakten zu Vorgängen der Enteignung und Deportation jüdischer Bürger unter den Nationalsozialisten besitzt das Brandenburgische Landeshauptarchiv in Potsdam. Akten, die bereits aufgrund ihrer bloßen Existenz, dem sogenannten „Erfassen von Vorgängen“, die Entmenschlichung symbolisieren, wie Oberbürgermeister Jann Jakobs bei einer sehr besonderen Ausstellungseröffnung sagte. Am gestrigen Montag wurde im Foyer des Stadthauses die Wanderausstellung „Aktenkundig-Jude! Nationalsozialistische Judenverfolgung in Brandenburg. Vertreibung – Ermordung – Erinnerung“ eröffnet. Bis zum 15. November sind nun die Schautafeln mit einem Bruchteil des Materials des Archivs zu sehen.

Zur Eröffnung kamen nicht nur Vertreter der jüdischen Gemeinden und Verwaltungsmitarbeiter, auch viele Schüler des Helmholtz-Gymnasiums und der Voltaire-Gesamtschule waren anwesend, war es doch die Stolperstein-Forschung, die das Projekt der Ausstellung einst angestoßen hatte. Die Potsdamer Schüler hatten intensiv im Archiv zu den Lebensläufen Potsdamer jüdischer Bürger, die während der Zeit des Nationalsozialismus umgekommen waren, geforscht, zuletzt zum Ehepaar Back und zu Paul Wallich, und auch diese Ergebnisse sind auf den Schautafeln zu sehen.

Hauptsächlich aber sind Dokumente der systematischen Verwaltungsarbeit, der Ausbeutung und Schikane, Vernichtung von wirtschaftlicher und tatsächlicher Existenz der jüdischen Bürger zu sehen, perfide Methoden unter dem Signum einer staatlichen Behörde, gestützt und gedeckt von den Mitarbeitern einer Kommunalverwaltung, so Jann Jakobs in seiner Ansprache. Die Ausstellung sei im Rathaus ganz richtig. Und Finanzminister Helmuth Markov mahnte: „Wir müssen uns damit auseinandersetzen, damit solche rassistischen Denkstrukturen nie wieder Fuß fassen“.

Es war nach der Machtergreifung der Nazis der Oberfinanzpräsident von Berlin-Brandenburg, der die Verwaltung des „reichsfeindlichen Vermögens“ der jüdischen Bürger anordnete: 7600 Juden lebten damals außerhalb Berlins in Brandenburg. Mitte der 30er-Jahre waren es bereits nur noch halb so viele, wer konnte, ging ins Exil. Ab 1941 wurden die, die noch da waren, deportiert.

Die sogenannte „Vermögensverwaltung“ bedeutete im Grunde nichts anderes als systematische Enteignung. Jeder jüdische Bürger musste akribisch seinen Hausstand, sein gesamtes bares und unbares Eigentum bis zum letzten Hemd und Teelöffel auflisten. Vieles wurde weit unter Wert versteigert und verkauft. Die Menschen selbst wurden schließlich auf ihren letzten Transport geschickt – in Vernichtungslager.

Nach der Wende wurden die Akten, Listen, Formblätter, sämtlicher Schriftverkehr bis hinein in die Nachkriegszeit und DDR-Zeit, während der allerdings kaum Aufklärung stattfand, neu registriert. Sie werden jetzt für Forschungszwecke und zur Klärung von Vermögensfragen genutzt. 

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