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Das Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ startet am 25. April im Thalia / Schwerpunkt Russland
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Die Geschichte spielt irgendwo in Polen. Es könnte aber genauso gut in jedem anderen Land passieren: Ein Punk und ein Trainingshosentyp an einer Bushaltestelle. Beide stehen einfach so da, betrachten sich. Unauffällig und desinteressiert. Zumindest scheinbar. Denn, was soll ein Punk schon mit einem anfangen, der seine Haare stoppelkurz geschoren hat, der einen weiten Glanztrainingsanzug trägt und ein weißes Rippenhemd. Dem Trainingshosentyp geht es andersherum genauso. Wenn da nicht doch etwas wäre zwischen den beiden, wenn sie sich nicht doch auch sympathisch wären.
Schneller Schnitt und die Zuschauer im kleinen Kinosaal an der Filmhochschule in Babelsberg sehen die Jungs plötzlich im Polizeiverhör. Dann zu Hause mit den Eltern, dann von hinten, wie sie nebeneinander schlendern und über ihre Väter reden. Zwei zusammen, die eigentlich so gar nicht zusammen passen. In einem Ost-Umfeld, wie man es erwartet. Plattenbauten, Industriebrache.
„x2“ heißt der polnische Film mit den schnellen Schnitten und der ungeradlinigen Erzählweise, den das Team der Sehsüchte jüngst der Presse vorstellte – als einen von mehreren kurzen Appetitmachern, die Lust machen sollten auf das am 25. April startende Studentenfilmfestival. An sechs Tagen werden im Thaliakino in Babelsberg 159 Filme von Studenten und Amateuren aus 29 Nationen in den Wettbewerb gestellt. Die Mehrzahl davon wird weniger zum Lachen sein, soviel verrät die Programmgruppe. Komödien sind rar. Es werden Generationsgeschichten erzählt, Geschichten über das Zusammen von Menschen, über Flüchtende und Ost-West-Beziehungskisten. Für Kinder läuft die Reihe „Halbe Portion“ (28. April).
Um zehn Preise konkurrieren die Filmemacher, die insgesamt mit 25 000 Euro dotiert sind. Prämiert werden unter anderem der beste Spielfilm, die beste Dokumentation, der beste Animationsfilm und der Preis gegen Ausgrenzung. Unter den Juroren ist viel Filmprominenz: der „Goodbye Lenin!“-Schauspieler Florian Lukas, der „Schwarzfahrer“-Regisseur Pepe Danquart, RBB-Kinoexperte Knut Elstermann. Das Festival, das mit Unterbrechung seit 1972 als FDJ-Studentenfilmtage an der HFF gegründet wurde und mit der Superlative prahlen kann, größtes studentisches Filmfestival Europas zu sein, hat sich etabliert.
Der Schwerpunkt 2006 ist nach Osten ausgerichtet. Im Fokus stehen 25 Filme aus Russland, die aus 60 Einreichungen ausgewählt wurden. „Was wissen wir schon von den aktuellen Filmen, die im Osten produziert werden“, fragt Festivalleiterin Julia Jurtaeva. Sie sind wahrscheinlich ziemlich skurril, experimentell und ungewöhnlich – zumindest wenn der sechseinhalbminütige Appetitmacher „A Holiday?!“ exemplarisch für die russische Filmszene stehen soll. Da prasseln unter der Rubrik Dokumentarfilm in einer Art Zeitraffer eisige Bilder aus dem verschneiten Russland von der Leinwand: Jungs beim Schlittern über eine Eispiste, Eisfigurenmodellierer bei der Arbeit, dann Weihnachtslichter, Menschen, die mit vollen Tüten aus Kaufhäusern stürmen. Plötzlich wechselt die disharmonisch scharrende Musik mit sanften Klängen. Schlagartig läuft die Zeit viel langsamer. Man sieht von Schnee bedeckte Häuserblocks, Menschen, die in dicken Mänteln und Fellmützen durch die Straßen ziehen. Leben in einem kalten Land, das durch bunte, aufblitzende Eindrücke vermittelt wird, die aber nicht mehr als ein Durchhuschen sind. Es gibt keine Nähe, kein Einfühlen in die fremde Welt.
Es gibt keine eindeutige Richtung im russischen Film, glaubt man Julia Schwartz, die den Fokus Russland betreut. Ganz anders als „Holiday?!“ sei „A Fisherman“, ein ruhiger Film, der die Weite und Schönheit der Landschaften zeige, mit „atemberaubenden“ Bildern, die vom Einklang von Mensch und Natur erzählen, schwärmte Schwartz. Wieder ganz anders sei die nachdenkliche Dokumentation „Chernobyl 2“ über einen kranken Mann, den die Liebe am Leben hält.
Als deutscher Appetitmacher war „Sommerwald“ von Christoph Lehmann (Dortmund) zu sehen. Der Regisseur lässt ein Paar an einem Sonnentag auf einer Wiese turteln, und schickt es dann langsam in ein tödliches Desaster. Wenn er sich auch oft gesehener Klischeebilder bedient, gelingt ihm eine Spannung, die Spaß macht.
Osteuropa, Tatort- und Beziehungsgeschichten – die Preview verspricht, dass das HFF-Festival wieder viel Sehenswertes auf die Leinwand bringen wird: Filme, die zum Teil vielleicht nicht immer perfekt umgesetzt sind, die das aber mit außergewöhnlichen Ideen und reichlich Fantasie ausgleichen.
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