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Jenny Deetz (gr. Bild, mit ihrem Bruder Otto Weniger) lebte bis zu ihrem Tod in der Eichenallee 14. 

© Privat

Von Architekten, Gärtnern und einem Minister: Das ist die Geschichte der Bornstedter Eichenallee

Die Bewohner der Potsdamer Eichenallee haben ein Buch über ihre Straße geschrieben. Dabei geht der Blick nicht nur zurück in der Zeit. 

Potsdam - Jenny Deetz war eine Respektsperson, liebenswert und warmherzig. Allen Menschen, denen sie begegnete, war sie zugewandt, sie pflegte ein offenes Haus. Im Zweiten Weltkrieg verlor Deetz ihre vier Söhne. Zur Erinnerung ließ sie auf dem Bornstedter Friedhof einen Grabstein aufstellen. Auch ihr Name wurde 1974 dort eingraviert. In jenem Jahr starb sie in West-Berlin. Am Tag des Mauerbaus, am 13. August 1961, weilte Deetz dort zufällig bei Verwandten. Doch kehrte sie nicht mehr nach Potsdam zurück, erst ihre sterblichen Überreste.

Jenny Deetz war nur eine der markanten Persönlichkeiten, die in der Bornstedter Eichenallee wohnten und wohnen. Von ihren Schicksalen erzählt das soeben erschienene Buch „Geschichten aus der Eichenallee – von Menschen, Häusern und einem Schloss“. In einem Verlagsprogramm findet man es vergeblich, denn Einwohner der Straße, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Park Sanssouci liegt, fungierten als Herausgeber und besorgten mithilfe von Fachleuten die Drucklegung. Die Musikerin Uta Hilker hatte bereits vor Jahren die Idee, die Geschichte der Eichenallee aufzuschreiben. Im Haus Nummer 29 verbrachte sie ihre Kindheit und Jugend und gründete dort eine eigene Familie. Sie erinnert sich im Buch liebevoll an die Menschen, die in ihrer Nachbarschaft lebten und leben. Auch die Tochter des Landschaftsarchitekten Walter Funcke und dessen Frau Ursula, Barbara Immanns, die im Haus Nummer 30 wohnte, war Ideengeberin und Autorin.

Die Doppelhäuser im Landhausstil wurden von in den 30er-Jahren errichtet.
Die Doppelhäuser im Landhausstil wurden von in den 30er-Jahren errichtet.

© Privat

Erstmal nur 100 Exemplare

Helga Zeller hat die Idee nun Wirklichkeit werden lassen. Sie nahm Kontakt zu den Nachbarn auf, ermunterte sie, ihre Familiengeschichte schriftlich festzuhalten, damit sie nicht verloren gehe, sammelte und ordnete die Texte, schrieb an ehemalige Bewohner und deren Angehörige, die heute verstreut in ganz Deutschland und Übersee leben, recherchierte in Bibliotheken und Archiven. Die Auflage mit 100 Exemplaren ist gering. Helga Zeller bestätigte die Vermutung, dass man sich gefragt habe, ob sich außer den Bewohnern der Eichenallee andere interessierte Leser fänden. Doch nun denke man über eine Neuauflage nach, sagt Zeller.

In dieser Straße, die bis Anfang der 30er-Jahre Birnenallee hieß, haben Menschen gewohnt und gearbeitet, die in der Politik, Landschafts- und Gartengestaltung, in der Wissenschaft oder in der Kunst eine wichtige Stellung einnahmen. Der erinnernde Blick in die Zeitgeschichte macht das Buch so wertvoll. Edith Doernbrack ist mit ihren 90 Jahren heute die wohl älteste Bewohnerin der Eichenallee. Sie verfasste ein Porträt über die Straße – mit großer Einfühlsamkeit und feiner Poesie. Sie schreibt, dass man nicht genug über „die Edelsteine“ staunen könne, die man in der Straße findet: „Gärten und Menschen, architektonische Kunstwerke und Wald. Durch alles wirst du in den Bann gezogen.“

Evelyn Fleming, Edith Doernbrack und Christian Fleming (v.l.) gehören noch heute zu den Bewohnern der Straße. 
Evelyn Fleming, Edith Doernbrack und Christian Fleming (v.l.) gehören noch heute zu den Bewohnern der Straße. 

© Manfred Thomas

Das Haus ist eins der ältesten in der Straße

Erstaunliche Informationen hält das Buch parat. So erfährt der Leser, dass im einstigen Haus Nummer 1, erbaut Ende des 19. Jahrhunderts, eine Volksbibliothek eröffnet wurde. Käthe Pietschker, die Ehefrau des Pfarrers Carl Pietschker, hatte sich seinerzeit um soziale Belange der Bornstedter gekümmert. Dazu gehörte die kostenfreie Ausleihe von Büchern für jedermann. Dieses Gebäude gehört neben dem Haus des Obstzüchters Schleihahn zu den ältesten der Straße. 1934 erhielt es jedoch eine moderne Form. 

Schleihahns Grundstück (Nummer 26) wurde bis zuletzt von der Familie bewohnt. Nach dem Wegzug der Witwe Gertrud Schleihahn im Jahr 1977 kaufte das Künstlerehepaar Evelyn und Christian Fleming Haus und Garten. In ihrem Beitrag erzählt Evelyn Fleming anschaulich vom Erwerb des Hauses und von seiner Inbesitznahme. Seine originale Kubatur und äußere Form blieben erhalten, doch nach modernen Gesichtspunkten saniert. Vor allem der traumhaft schön gestaltete Garten entzückt die Besucher aus nah und fern. Während der Urania-Reihe „Offene Gärten“ ist er regelmäßig zu besichtigen. Darüber hätte sich auch der Landschaftsgestalter Hermann Göritz gefreut, denn er plädierte dafür, dass private Gartenbesitzer ihre grünen Areale für jedermann zugänglich machen. Das Buch veröffentlicht einen Göritz-Text, der über die Entstehung seines Gartens in der Eichenallee Auskunft gibt. Hermann Göritz machte sich auch einen Namen als Autor viel beachteter Bücher über Gehölze und Stauden.

Die Doppelhäuser im Landhausstil wurden von in den 30er-Jahren errichtet.
Die Doppelhäuser im Landhausstil wurden von in den 30er-Jahren errichtet.

© Privat

Brachial dagegen ist der Bereich Militaria. Dieses Thema pflegte der Militärschriftsteller Wilhelm Müller-Loebnitz, der im Haus Nummer 11 lebte. Der Historiker und Journalist Hans Pflug (Nummer 32) schrieb 1937 ein Buch über die Landschaften und Städte Deutschlands, das sehr populär wurde. Sein in Kanada lebender Sohn Andreas Pflug erinnert sich detailliert an die unbeschwerte Kindheit, doch auch an die schwere Zeit, die er als Jugendlicher am Ende des Weltkriegs erlebte. In der Eichenallee 35 wohnte von 1935 bis zu seinem Tode 1939 Wilhelm Groener, Reichswehrminister und Innenminister in der Weimarer Republik. Von 1948 bis 2001 war die Familie Voigt in diesem Haus heimisch. Herbert und Ellen Voigt betrieben zu DDR-Zeiten ein bekanntes Konfektions- und Wäschegeschäft in der Brandenburger Straße. Tochter Angela Philipp erzählt in ihrem Text mit emotionaler Verbundenheit von ihren vielfältigen Erlebnissen und Freundschaften in der Straße, in der sie ihre Kindheit und Jugend verlebte.

Auch heutige Ereignisse spielen eine Rolle

Die Doppelhäuser und ihre Gärten machen den besonderen Reiz der Eichenallee aus. Der aus einer hugenottischen Familie stammende Architekt Charles du Vinage, ein Mitarbeiter des Architektenbüros von Erich Mendelsohn, der in Potsdam den Einsteinturm auf dem Telegrafenberg schuf, entwarf die Gebäude im Landhausstil in den 30er-Jahren im Auftrag des Amsterdamer Geschäftsmanns Otto Weniger, der ein Bruder von Jenny Deetz war. Bevor Charles du Vinage selbst in der Eichenallee 12 lebte, hatte er eine Wohnung im Obergärtnerhaus Am Drachenberg 1, ein schmaler Weg, der von der Eichenallee zum Drachenhaus führt. Die Bewohner in den ehemaligen Sanssouci-Gärtnerhäusern Am Drachenberg standen und stehen immer in bester Verbindung zu ihren Nachbarn. Helga Zeller, Tochter des ehemaligen Direktors des Botanischen Instituts, Helmut Müller-Stoll, weiß über die bewegende Historie des Hauses anschaulich zu berichten. Aber nicht nur die Vergangenheit spielt in dem Buch eine Rolle. Kinder und Kindeskinder erzählen von den heutigen Begegnungen, den Sommerfesten oder dem Lebendigen Adventskalender.

Über allem thront das Belvedere auf dem Klausberg. Jede Generation hat ihre eigene Geschichte mit dem Verliebtsein in das letzte friderizianische Gebäude im Park Sanssouci. Im Eichenallee-Buch kann man sie lesen.

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