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Homepage: „Das ist ein echtes Hoffnungszeichen“

Eine Studie zeigt, dass Islamfeindlichkeit unter Studierenden der Potsdamer Universität stärker vertreten ist als Antisemitismus. Die Werte liegen aber unter dem Bundesdurchschnitt

Stand:

Herr Glöckner, eine aktuelle Studie des MMZ kommt zu dem Ergebnis, dass eine kritische Einstellung zum Islam unter Potsdamer Studierenden stärker besteht als gegenüber dem Judentum. Ist das ein belastbares Stimmungsbild?

Zunächst muss darauf verwiesen werden, dass vergleichbare Werte in der Durchschnittsbevölkerung deutlich höher liegen als bei den Potsdamer Studierenden. Das haben jüngst Umfragen verschiedener Institute und Stiftungen in Deutschland deutlich gemacht (siehe Kasten). Insofern sind die Potsdamer Ergebnisse ein echtes Hoffnungszeichen: dafür, dass Vorurteile gegenüber anderen Religionsgemeinschaften auch in Bezug auf die muslimische Minderheit in Deutschland mit höherer Bildung eher abnehmen.

Der Aussage, der Islam ist eine politische Ideologie, stimmen aber 20 Prozent zu.

Offenbar sehen die Befragten hier eine ungesunde Vermischung von Religion und Politik im Vordergrund, die wir in manchen islamischen Ländern heute ja tatsächlich erleben. Der Iran ist dabei nur das offensichtlichste Beispiel. Fatal ist aber, wenn daraus ein Pauschalurteil abgeleitet wird, dass der Islam generell ideologische Züge tragen würde. Das Gleiche gilt dann auch in Bezug auf Toleranz. Islamisch geprägte Staaten, in denen andere religiöse Minderheiten offen oder verdeckt diskriminiert oder sogar verfolgt werden, verstärken den Eindruck, dass der Islam als Religion oder auch Kultur an sich intolerant sei. An dieser Stelle beginnt unserer Meinung nach das Vorurteil. Diskriminierung gibt es schließlich überall – wie sich beispielsweise auch hier in Deutschland in Meinungsumfragen, erstarkenden Pegida-Protesten oder Angriffen auf Asylbewerber zeigt.

Fehlt es bei immerhin fast einem Viertel der Studierenden an der Fähigkeit zur Differenzierung zwischen Islam und Islamismus beziehungsweise islamistischem Terror?

Ich denke, ein Teil der besagten rund 20 Prozent der Befragten würde Islam, Islamismus und islamistischen Terror auch dann nicht voneinander trennen, wenn er wissenschaftliche Bücher über Geschichte und Gegenwart des Islam gelesen hätte. Wir alle wissen, dass unser kollektives Bewusstsein heute sehr stark von den Medien geprägt wird, und im Agenda-Setting der Mainstream-Medien stehen heute in Bezug auf den Islam Terror und Gewalt sehr weit oben.

Die Entwicklung dürfte durch die Ereignisse in Frankreich noch verstärkt werden.

Die Anschläge von Paris sind eine schockierende menschliche Katastrophe, für die Opfer und ihre Verwandten und Freunde sowieso. Aber sie werfen eben auch die vielen Muslime und Muslima in Europa zurück, die sich schon lange als ein Teil der hiesigen Gesellschaft verstehen, die gut integriert sind und die den Islam als eine Religion der Erbauung und der zwischenmenschlichen Verständigung leben. Das kommt in den Medien oft zu kurz. Es ist davon auszugehen, dass angesichts der Angriffe mit islamistischem Hintergrund in Frankreich die Fragen unserer Studie zum Islam aktuell anders beantwortet würden.

Deuten die Ergebnisse auf eine latente Feindlichkeit gegenüber dem Islam hin?

Als wir unsere Umfrage konzipierten, gab es von Anfang an Konsens, dass wir Vorurteile abfragen, die unter Umständen abruf- und instrumentalisierbar sind. Davor sind auch Studierende nicht gefeit. Die erhobenen Werte deuten darauf hin, dass rund 20 Prozent der Befragten Angst vor dem Islam haben, oder ihn auch ablehnen. Eine latente Feindlichkeit ergibt sich daraus aber nicht, hierfür müsste eine größere Skala von antimuslimischen Stereotypen bei der Umfrage eingesetzt werden.

Spiegeln die Ergebnisse Haltungen der aktuellen Pegida-Bewegung wider?

Parallelen zu Pegida halte ich für abwegig. Dort äußert sich Montag für Montag eine diffuse Mischung aus kulturellem Hegemonialstreben, Verlustängsten und dezidiert negativen Einstellungen gegenüber Zuwanderern. Ich denke, für so etwas sind die Studierenden, jedenfalls in Potsdam, nur in Ausnahmefällen zu haben.

Die Interkulturalität der Potsdamer Studierenden hat sie überrascht.

Ja, die Aufgeschlossenheit der Befragten gegenüber anderen Religionen und Kulturen – in unserer Umfrage konkret gegenüber dem Judentum und dem Islam – hat uns schon sehr positiv überrascht. Eine klare Mehrheit lehnt negative Haltungen gegenüber beiden Religionen ab, und spricht sich umgekehrt für eine Gleichbehandlung der Religionen aus.

Woran wird das deutlich?

Wenn mehr als die Hälfte der Studierenden, etwa 55 Prozent, den Bau von Moscheen selbst dann befürworten würden, wenn eine Mehrheit der nichtmuslimischen Bevölkerung sich dagegen ausspräche, dann ist das ein klares Votum für den Schutz der Religionsfreiheit in unserem Land. Umgekehrt wird aber auch dafür plädiert, bei der Trennung von Religion und Staat keine Unterschiede zu machen. Fast 80 Prozent der Befragten stimmen völlig oder tendenziell zu, dass bei Fortbestand des Kopftuchverbotes für Muslima im öffentlichen Dienst auch christliche und jüdische Symbole in diesem Rahmen untersagt werden sollten.

Entsprechen die Ergebnisse dem regionalen Umfeld?

Eine Mehrheit der Befragten bezeichnete sich als säkular. Das passt einerseits zur brandenburgischen Gesellschaft, wäre aber vermutlich auch an anderen deutschen Unis kaum anders.

Das Thema Beschneidung wird bei beiden Religionen gleichsam stark abgelehnt. Ist das bei uns ein Tabuthema?

Knapp 40 Prozent der Befragten würden einem Verbot der rituellen Beschneidung sowohl bei jüdischen wie bei muslimischen Jungen vollkommen oder wenigstens tendenziell zustimmen. Vermutlich bilden diese recht hohen Werte einige aktuelle Kontroversen ab.

Inwiefern?

Die Ablehnung der rituellen Beschneidung bei Jungen, selbst dann, wenn sie während der ersten Tage nach der Geburt erfolgt, wird sehr unterschiedlich begründet, wie wir ja während der hitzigen Beschneidungs-Debatte im Sommer 2012 erleben konnten. Kritiker argumentieren unter anderem damit, dass die körperliche Unversehrtheit des Kindes nicht geschützt würde oder es in seiner individuellen Entwicklung schon determiniert würde, ehe es selbst zu Entscheidungen fähig ist. Befürworter halten dagegen, dass mit einem Verbot der rituellen Beschneidung, die vielen jüdischen und muslimischen Familien sehr wichtig ist, die Freiheit der Religionsausübung eingeschränkt würde. In dieser Schärfe stellt sich der Konflikt bei der christlichen Taufe nicht, daher wohl die deutlich geringeren Werte bei ihrer Ablehnung.

Zum Antisemitismus fällt auf, dass klassischen Vorurteilen nur geringfügig zugestimmt wird, hingegen schreiben 38 Prozent Israel einen Vernichtungsfeldzug gegen die Palästinenser zu. Wie ist das zu bewerten?

Dass Israel einen Vernichtungsfeldzug gegen die Palästinenser führen würde, gehört zum klassischen Repertoire moderner Antisemiten. Der Terminus erinnert ganz eindeutig an die strategische Kriegsführung der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Sicher: Zwischen Israelis und Palästinensern wird ein politischer Konflikt mit großer Härte und Gewalt ausgetragen. Wer den Israelis dabei allerdings genozidale Absichten unterstellt, geht einem Vorurteil auf den Leim, das sich hervorragend als späte Schuldabwehr eignet, ganz nach dem Motto: Die israelische Armee heute verhält sich so wie einst die deutsche Wehrmacht.

Sie haben auch andere Vorurteile bestätigt gesehen.

Beunruhigend finde ich, dass mehr als 20 Prozent der Befragten den Jüdinnen und Juden außerhalb Israels eine geringere Loyalität ihren Heimatländern gegenüber bescheinigen würden. Dass Israelis und Juden völlig anderer Nationalität als ein und dieselbe Gruppe betrachtet werden, ist ein Problem, das leider auch in gebildeten Kreisen auftritt, und dagegen scheint bisher kein Kraut gewachsen.

Rund 15 Prozent stimmen der Aussage „Juden und Jüdinnen nutzen ihre Leiden im Zweiten Weltkrieg aus, um heute eigene Vorteile daraus zu ziehen“ zu.

Manche Forscher betrachten diese Ansicht – „Juden spielen Nutznießer früherer Leiden im Holocaust“ – als ein typisches Merkmal des sogenannten sekundären Antisemitismus. Das bedeutet: Ähnlich wie beim Gleichsetzungsversuch zwischen israelischer Armee und deutscher Wehrmacht, die auf eine historische Schuldentlastung abzielt, wird hier die Perspektive ebenfalls verschoben, im Sinne davon, dass es sicher schlimm damals war, aber jetzt die Opfer hoch pokern, sich bereichern und besondere Privilegien anstreben. In jedem Fall wird es mit so einer Sichtweise einfacher, die eigene, kollektive historische Verantwortung zu verdrängen.

Sind das Formen eines alltäglichen Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft?

In anderen Umfragen, die unter der Gesamtbevölkerung erhoben werden, bekommen Sie viel höhere Werte als diese 15 Prozent. Es ist bedauerlich, dass dieser Wert zustande kommt, aber es ist kein Antisemitismus aus der gesellschaftlichen Mitte. Dennoch sollte man beobachten, wie sich die Werte langfristig entwickeln.

Über 50 Prozent sagen, dass man sich besser gegenwärtigen Ereignissen widmen sollte als der Geschichte vor 60 Jahren. Das klingt bedenklich.

Auch hier würde ich differenzieren wollen. Man kann der Meinung sein, die Beschäftigung mit der nationalen Geschichte wird übertrieben, ohne für antisemitische Vorurteile anfällig zu sein. Eine Zustimmung zu dieser Aussage wird erst zum Problem, wenn der oder die gleiche Befragte auch dezidiert antijüdische Stereotypen bejaht.

An der Uni Osnabrück hat eine ähnliche Umfrage unlängst viel stärkere antijüdische und antiislamische Einstellungen bei Studierenden ergeben. Sind die Potsdamer Studierenden also weltoffener?

Die Studien sind wissenschaftlich nicht vergleichbar, weil wir beispielsweise ein deutlich anderes Frageset hatten. Aber wenn generell sehr unterschiedliche Tendenzen festgestellt werden, und das ist ja offensichtlich der Fall, dann ist das beste Mittel zur Klärung: weitere Studien! Wir empfehlen auch, unsere Umfrage an anderen deutschen Universitäten durchzuführen und im besten Falle auch an einigen anderen Unis im europäischen Ausland.

Das Interview führte Jan Kixmüller

Olaf Glöckner (49) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam. Die Arbeit an der Antisemitismus-Studie hat er mitgeleitet.

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