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Links und rechts der Langen Brücke: Das rote Wunder

Sabine Schicketanz über Potsdams neues Wahrzeichen – und Mahnmal

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Manche mögen es der Euphorie des Moments zuschreiben, wenn das gestern eingeweihte Hans Otto Theater zum neuen Wahrzeichen Potsdams ausgerufen wird. Doch jene, die solche Erwartungen äußern – darunter auch Ministerpräsident Matthias Platzeck – werden wohl Recht behalten. Nicht nur ist es ein wahres Jahrhundertereignis, wenn eine Stadt, noch dazu in einem verarmten Land wie Brandenburg, ein neues Theater bauen und eröffnen darf. Nicht nur ist die Architektur des Baus so außergewöhnlich gut gelungen, dass sie bundesweit zu mehrheitlich begeisterten Schlagzeilen geführt hat. Nein, das Potenzial der roten Havelblüte, zum Wahrzeichen der Landeshauptstadt zu werden, liegt auch in der Jahrzehnte langen Wartezeit der Potsdamer auf ein neues Haus für das Schauspiel. Provisorien säumten den Weg, auch ein spektakulärer Abriss des Betonklotzes auf dem Alten Markt, der ein ungewolltes Erbe der DDR war. Dazu Pleiten einer Landesentwicklungsgesellschaft, die den Theaterneubau wieder stoppten. All das lässt Architekt Gottfried Böhms Bau zu einer sehnlichst erwarteten und doch fast verloren geglaubten Errungenschaft werden – für eine große Mehrheit der Potsdamer, wie schon zu den gestrigen Feierlichkeiten deutlich wurde: Hunderte kamen, um das rote Wunder zu bestaunen.

Vielleicht auch, weil das endlich feste Haus für das Theater endlich wieder ein Gemeinschaftsgefühl in der Stadt erzeugt. Dazu trägt bei, dass die Politiker in Potsdam und dem Land den Mut und Willen hatten, dem „Berliner Vorort“ sein eigenes Schauspielhaus zu bauen – ungeachtet der Kulturfülle in der Bundeshauptstadt. Doch es ist ebenso die lange umstrittene Lage des Baus, die die Menschen nun anzieht: Unvergleichlich schön eingebettet in das Weltkulturerbe und doch offen für alle Bürger – ein großer Wert, auch angesichts so vieler Streitigkeiten um die vielen Ufer der Stadt.

Die größte Überzeugungskraft allerdings geht von einem Bekenntnis aus, dass die Politik mit diesem Neubau endlich einmal abgibt: „Kultur ist kein Luxus. Kultur ist ein Grundrecht jeder demokratischen Gesellschaft“, so hat es gestern ebenfalls der Ministerpräsident gesagt. Oft wird dieses Grundrecht mit Füßen getreten, die Potsdamer Philharmonie hat Platzeck als Potsdams Oberbürgermeister selbst abgewickelt. Staatliche Gelder für die Kultur reichen schon lange nicht mehr, zahlen soll am besten allein das zahlungskräftige Publikum. Zu welcher Armut in der Gesellschaft es führt, wenn Kultur nicht mehr für jeden Bürger zugänglich sind, ist bereits tausendfach deutlich geworden: Es ist Bildung für die Seele, die überall dort vermittelt wird, wo Kultur ihren Platz hat.

So ist der Potsdamer Theaterneubau nicht nur als rotes Wunder zu begreifen, als neues Wahrzeichen der Stadt – sondern auch als Mahnmal: Für den Wert der Kultur. Der größer ist, als sich in Geld aufwiegen ließe.

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