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Von Kay Grimmer: Das Zuggeräusch als Tanzrhythmus

Stummfilm-Pianist Carsten-Stephan Graf von Bothmer über die Kunst, eine Kinoorgel zu bedienen

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Ein dumpfer Glockenschlag ertönt – wie von einer Kirchturmuhr – auf der Leinwand im Filmmuseum flackert in schwarz-weißen Bildern der Anfang des Ufa-Klassikers „Metropolis“. Ein Stummfilm. Die Klänge kommen von der Welte-Kinoorgel, ihr entlockt die Töne Carsten-Stephan Graf von Bothmer.

Das Blaublut – ein Ausdruck auf den von Bothmer überhaupt nichts gibt – ist Stummfilm-Begleitungspianist, lebt von dieser Kunst. „Als ich angefangen habe, Stummfilme auf Orgel und Klavier zu begleiten, haben viele diese Idee für Schwachsinn gehalten“, gesteht der 37-Jährige, der einst Studienrat werden sollte. Doch der Erfolg der Stummfilm-Begleitung gibt seinem Wechsel in die Kunst recht. Das Konzert am Samstag im Filmmuseum war seine 100. Stummfilmbegleitung in diesem Jahr. Gut 9500 Besucher, vornehmlich im Berliner Kino Babylon, aber auch bei seinem Open-Air- Stummfilmkino nahe des Potsdamer Platzes oder eben im Filmmuseum hat von Bothmer 2008 begeistern können. Stummfilm boomt! Der ausgebildete Pianist – von Bothmer studierte an der Universität der Künste – kann es belegen: Gab es in Deutschland 2003 lediglich neun Vorführungen der frühen Filme im ganzen Jahr, waren es 2005 fast 200, bis heute sei die Anzahl der Vorführungen weiterhin gestiegen, berichtet er.

„Ich mache hauptsächlich Veranstaltungsreihen, bei denen ich versuche, das Spektrum des Stummfilms zu zeigen.“ So begleitet von Bothmer „Metropolis“, „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Sein größter Bluff“ und „Ich möchte kein Mann sein“ – damit zeigt er die Bandbreite von Science Fiction, Horror, Krimi und Komödie. „Wer eine ganze Reihe mitverfolgt, bekommt einen Überblick über die Stummfilmzeit“, glaubt von Bothmer, der auch neue Partituren für Stummfilmklassiker schreibt. „Für Ernst Lubitschs Madame Dubarry habe ich eine neue Begleitung geschrieben, das wurde eine 1000 Seiten- Partitur“, erzählt der Stummfilm-Cineast. Der Grund: Nicht nur die „normale Musik“ ist bei Stummfilmen wichtig, sondern auch gekonnt eingesetzte Geräusche, die Kinoorgeln erzeugen.“ Auf dem Welte-Instrument im Filmmuseum sind Autohupen, Vogelgezwitscher und Zuggeräusche zu finden. Doch Carsten-Stephan von Bothmer nutzt diese Effekte nicht sklavisch sondern kreativ. „Wenn ein Zug zu sehen ist, braucht der Zuschauer nicht das Geräusch. Er sieht ja den Zug.“ Viel wichtiger sei, die Bedeutung des Zugs herauszuarbeiten. „Ist es ein Zug, der in ein Unglück rast, ist es einer, der Liebende trennt oder sie zusammenführt – das will ich herausstreichen.“ Dafür nutzt der Kinoorgel-Spezialist das Zuggeräusch für andere Szenen: „Dieser stampfende Rhythmus eignet sich als Basis für Tanzszenen.“

Die von Bothmer’sche musikalische Neubearbeitung des Lubitsch-Klassikers wurde vom Staatsorchester Braunschweig eingespielt und auf Arte übertragen. Es wird nicht die einzige Neubearbeitung bleiben. „Es gibt bestimmt 5000 Stummfilme die noch gezeigt werden können.“ Genug zu tun für den Pianisten, die Schätze an den Zuschauer zu bringen.

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