Landeshauptstadt: Den Schreibtisch im Bundestag
Die 16-jährige Christin Skala aus Marquardt ist die erste Auszubildende eines Bundestagsabgeordneten
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Die 16-jährige Christin Skala aus Marquardt ist die erste Auszubildende eines Bundestagsabgeordneten Von Marion Hartig Der Bundeskanzler ist ihr noch nicht begegnet. Aber Horst Seehofer von der CSU, Christin Skala kennt ihn aus dem Fernsehen. Erst gestern hat er sich in der Kantine im Paul-Löbe-Haus ein Eis gekauft. Aufregend, sagt Christin, genauso wie die Touristen, die sich im Reichstag, von außen die Nase an der Glaswand zum Plenarsaal platt drücken. Sie steht dann ganz lässig auf der Innenseite. Mit ihrer Azubi-Karte kann sie ungehindert durch die Gebäude des Bundestages spazieren. Dorthin, wo ein gewöhnlicher Tourist keinen Zugang hat. Christin ist sechzehn Jahre alt, sie kommt aus Marquardt. Seit dem 1. September ist sie Auszubildende in einem Berliner Abgeordnetenbüro – und zwar die erste, die es jemals gab. Ihr Chef, Christian Freiherr von Stetten aus Baden Württemberg (CDU), musste für sie eine Ausnahmegenehmigung beim Ältestenrat des Deutschen Bundestages einreichen. Erst dann konnte er die Stelle zur Kauffrau für Bürokommunikation über die Arbeitsagentur Berlin-Mitte ausschreiben. Denn bisher wurde im Bundestag nur im Verwaltungsbereich ausgebildet. Inzwischen aber hat sich das Von-Stetten-Modell herumgesprochen. Auch die Potsdamer Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche (CDU) bildet in ihrem Büro aus, andere Politiker planen nachzuziehen. Christin sitzt an ihrem Schreibtisch im sechsten Stock des Paul-Löbe-Hauses. Wenn sie sich leicht nach vorne beugt, kann sie auf den Park vor dem Reichstag sehen. Heute ist nichts los, nur Gras und blauer Himmel. Aber manchmal ist das anders, Touristenschwärme, aufmarschierende Feuerwehrmänner hat sie schon erlebt. Das Paul-Löbe-Haus findet sie ziemlich kahl und kalt. „Zuviel Beton“, sagt sie. In den ersten Tagen hatte sie Angst, mit den gläsernen Fahrstühlen zu fahren, inzwischen hat sich daran gewöhnt. In den ähnlich aussehenden Gängen kann sie sich immer besser orientieren und findet auch den Weg durch den Tunnel zum Reichstag ohne Probleme. Zum Glück ist es im Bundestag weniger formell als sie erwartet hat, sagt sie. Der Umgangston ist locker, sie kann Scherze machen, braucht sich nicht zu verstellen. Auch in ihrer Kleidung fühlt sie sich wohl. Heute trägt sie einen knielangen Leinenrock, dazu flache Schuhe. In ihren Pumps hat sie sich gestern Blasen gelaufen. Bisher war die Arbeit nicht besonders anstrengend. Sie hat gelernt, mit dem Rechner umzugehen und aus dem Internet einen Pressespiegel zusammenzustellen. Viermal am Tag geht sie zur Poststelle. Wenn sie Zeit hat, liest sie in den kleinen Informationsheften über den Bundestag, die ihr Chef ihr in die Hand gedrückt hat. 280 Bewerber haben sich bei von Stetten für die Ausbildung gemeldet. 24 Jugendliche hat er zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Für Christin hat er sich dann entschieden, weil ihm ihre quirlige, neugierige Art gefällt, weil ihr Zeugnis ganz gut ist und nicht zuletzt, weil sie sich für Politik interessiert, das bewies sie mit zwei Praktika bei der Landeszentrale für politische Bildung in Potsdam. Für den Vertrag musste sie ihr polizeiliches Führungszeugnis mitbringen. Es ist ohne Eintrag, damit erfüllt sie die Sicherheitsbestimmungen des Bundestages. Zu Hause in Marquardt wurde erst einmal gefeiert, als Christin die Zusage für die Stelle bekam. Ihre Eltern und ihr Bruder sind stolz, erzählt sie. Auf der Straße wird sie von Leuten angesprochen, die mit ihr auf die Voltaire-Schule in Potsdam gingen. Sie haben von ihr in der Zeitung gelesen, sie im Fernsehen gesehen und wollen mit ihr über Politik reden. Christin findet das seltsam, zu Schulzeiten haben sie sich kaum für sie interessiert. Selbst Fremde sprechen sie an. Vor ein paar Wochen war sie mit ihrer Mutter im Ketziner Strandbad. „Sind Sie das?“, hat eine Frau neben ihr gefragt und auf das Foto in einer Zeitung gezeigt. Bei den ersten Interviews – die Presse, das Radio und sogar das Fernsehen waren da – war sie noch sehr aufgeregt, mittlerweile erzählt sie ganz locker. Sie genießt es sogar, sich ein Stück weit zu inszenieren. „Sieht das gut aus“, fragt sie, als sie vor der Kamera auf der Reichstagskuppel steht und die Arme weit über die Brüstung legt. Nur vor den Jugendlichen, die aus dem Fahrstuhl steigen, ist ihr die Foto–Session etwas peinlich. Christin als Model? Das kann sie sich gut vorstellen. Vielleicht nach der Ausbildung. Wenn sie entdeckt wird, ist sie dabei. Bevor sie in den Bundestag kam, sahen ihre Berufswünsche noch anders aus. Sie hat darüber nachgedacht, Streetworker oder Sängerin zu werden. In die Politik gehen, wollte sie allerdings noch nie. Bundestag ist spannend, es passiert viel. Sie kann sich ihren Arbeitsplatz jeden Tag im Fernsehen anschauen, bekommt viel mit von dem, was in der Welt passiert. Aber das reicht ihr. In die Tiefen der Politik will sie in absehbarer Zeit nicht einsteigen. Und das wird in ihrem Job auch gar nicht verlangt. Auch wenn sie sich vom Besucherzimmer aus Sitzungen im Plenarsaal anhört und Zeitung lesen muss – eigentlich gehört das nur zum Umfeld ihres Jobs. Im engeren Sinne geht es für sie darum, dass sie sich am Ende ihrer Ausbildung mit Bürotechnik auskennt, dass sie gut organisieren und ein Sekretariat führen kann. Nichts anderes ist in der Abschlussprüfung in drei Jahren gefragt. Bis dahin aber ist noch viel Zeit. Vielleicht ist Christin dann schon nach Berlin gezogen und pendelt nicht mehr jeden Tag mit dem überfüllten Zug in die Bundeshauptstadt. Vielleicht ist ihr bis dahin auch der Bundeskanzler begegnet.
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