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Landeshauptstadt: Den Weg aus der Gewalt zeigen
Potsdamer Verein Manne e.V. will gewalttätigen, rechtsextremen Jugendlichen Neustart ermöglichen
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Initiativen und Bildungsangebote gegen Rechtsextremismus und rechte Gewalt in Brandenburg gibt es einige. Hauptziel solcher Projekte, wie etwa der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR), ist zu verhindern, dass Jugendliche in die rechte Szene abrutschen. Aber was tun, wenn dies bereits geschehen ist?
„Mit der Zielgruppe selbst arbeitet noch kaum jemand“, sagt Eike Schwarz, Leiter des auf Jungenarbeit konzentrierten Vereins Manne e.V. aus Potsdam. Genau dies will der Verein zusammen mit Mitarbeitern aus der Lausitz jedoch tun: Das seit August 2011 laufende Projekt „Gratwanderung“, das von der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Bundesinnenministerium im Rahmen des Programms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ gefördert wird, will gewaltbereiten, straffällig gewordenen und rechtsextremen Jugendlichen einen Weg aus der Gewalt zeigen.
Ab dem Frühjahr sollen etwa 20 Jugendliche zwischen 15 und 22 Jahren in zwei Gruppen – in Dahme-Spreewald und in Weißwasser – etwa neun Monate lang gemeinsam ein Training durchlaufen, bei dem sie unter anderem körperliche Grenzen kennen- und den Umgang mit der eigenen Aggression erlernen sollen. Zum Training wird auch gehören, die Teilnehmer stärker in ihr soziales Umfeld einzubinden sowie neue Zukunftsperspektiven abseits rechter Gewalt zu finden, erklärt Schwarz. Wer nun an Boot-Camps oder das hessische Jugend-Trainingscamp des Boxers Lothar Kannenberg denkt, irrt jedoch: Die Pädagogen wollen mit den Jugendlichen in ihrer normalen Umgebung arbeiten, in der sie sich bewähren sollen. Vergleichbare Projekte gibt es in Deutschland kaum; mit Ausnahme des Aussteiger-Programms „Exit – Seitenwechsel“ der Amadeo Antonio Stiftung, das sich jedoch eher auf langjährige Mitglieder rechten Szene konzentriert. Vermittelt werden die Teilnehmer von „Gratwanderung“ unter anderem durch Jugendheime, Jugendgerichte oder besorgte Eltern.
Der 47-jährige Projektleiter Schwarz, Lehrer, langjähriger Jugendarbeiter und selbst Vater von vier Kindern, kam die Idee zu „Gratwanderung“ während seiner Arbeit mit Gewaltstraftätern in der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wriezen in Märkisch-Oderland: „Mir war aufgefallen, dass viele dieser Personen ähnliche Lebensläufe hatten.“ Dazu zählten Merkmale wie häusliche Gewalt, Ausschlusserfahrungen in der Schule, Abrutschen in die rechte Szene. „Viele dieser jungen Männer sind auf einer männlichen Identitätssuche“, sagt der Potsdamer, „die rechte Szene bietet ihnen entsprechende Bilder, Gemeinschaft und Führung an – die politischen Inhalte kommen erst später“. Doch die Wege rechtsextremistischer Kameradschaften und anderer gewaltbereiter Männerbünde führten „ins Nichts“, so Schwarz: „Das ist der Betrug, den die Rechten an diesen Jugendlichen begehen.“ „Gratwanderung“ greife dieses Problem auf und will daher versuchen, den Teilnehmern nicht nur die Abkehr von Gewalt zu predigen, sondern ihnen aufzuzeigen, dass man als Mann auch andere Wege als den in die Kriminalität gehen kann. Auf die Frage, was Schwarz und seine Mitarbeiter den Jugendlichen als erstes erzählen werden, antwortet er: „Wir werden gar nicht groß erzählen, denn Erzählungen haben die genug gehört.“
Schwarz ist sich bewusst, dass das Projekt mit „Männlichkeit“ und „Rechtsextremismus“ zwei sehr problematische gesellschaftliche Themen aufgreift. Aber Männlichkeit und männliche Identität sind für Manne e.V. nicht per se negativ, sondern sie seien entscheidende Faktoren für die Persönlichkeitsfindung vieler Jugendlicher. Und so sehr auch Schwarz Rechtsextremismus verurteilt, lautet seine Überzeugung: „Auf pädagogischer Ebene dürfen Jugendliche vom rechten Rand nicht ausgeschlossen werden.“
Zu den Inhalten des Projekts wird auch die mehrtägige Schlauchboot-Tour auf einem Fluss zählen, bei der die Jugendlichen zusammen schwierige Situationen meistern und Wertschätzung füreinander entwickeln sollen. „Das passiert in diesen rechten Truppen nicht“, betont Schwarz, „deren Zusammenhalt speist sich aus Angst gegen den Gegner, nicht aus gegenseitiger Anerkennung.“ Neben individueller Biografie-Arbeit mit den einzelnen Teilnehmern werde vor allem die körperliche Erfahrung im Vordergrund stehen. Im Aggressionstraining, etwa mit Schlagstöcken und einem Kunststoffblock, sollen die Jugendlichen ein Gefühl für das eigene Gewaltbedürfnis bekommen und damit umgehen lernen. „Sie sollen Wege finden, im Alltag aus diesem aggressiven Gefühl herauszukommen, ohne am Ende jemanden zu schädigen“, erläutert Schwarz. Ein weiterer zentraler Bestandteil des Projekts ist die Entwicklung lebenswerter Zukunftsbilder – „die sich mit dem Grundgesetz vertragen“, so Schwarz – zusammen mit Mitarbeitern von Manne e.V. sowie einem männlichen Expertenkreis aus der jeweiligen Region.
Schwarz ist sich klar, dass das Projekt „Gratwanderung“ ein Versuch ist. Ein Versuch jedoch, der, wenn er Erfolg hat, Modell-Charakter besitzen könnte, wie der Projektleiter meint. Der Name „Gratwanderung“ gilt somit nicht nur für den Inhalt, sondern auch für das Projekt selbst. Erik Wenk
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