Landeshauptstadt: Der Gegen-Mann
Holger Zschoge vom Anti-G8-Bündnis war schon zu DDR-Zeiten oppositionell
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Ruft so ein Satz zu der von Sicherheitsexperten befürchteten Gewalt auf? "Jede Form von Widerstand, Öffentlichkeit und Diskussion über das Treffen der G8 als Symbole und Träger der kapitalistischen Weltordnung macht Sinn!" Holger Zschoge hat solche Zeilen formuliert. Er ist der Mann hinter dem Anti-G8-Protestbündnis, das für den 30. Mai in Potsdam zur Großdemonstration aufgerufen hat - gegen die Außenminister der sieben weltgrößten Industrienationen und Russlands. "Eine andere Weltordnung beginnt mit dem Widerstand gegen die Symbole und Träger der kapitalistischen Strukturen", heißt es in einer Erklärung des Protestbündnisses, für das Zschoge der Sprecher ist. Ein Vollzeit-Job in diesen Tagen.
Zumindest für den 44-Jährigen ist das Engagement in der Anti-G8-Bewegung nur logisch, wenn er auf sein bisheriges Leben blickt. Schon in der DDR war der Geografie- und Geschichtslehrer in der Opposition, in einer kleinen Gruppe namens "Lehrer für den aufrechten Gang". 1997 besuchte er die Anti-Atom-Proteste im Wendland. "Ein emotionales Grunderlebnis" war die Zeit für Zschoge. Er habe gelernt, dass etwas bewegt werden könne, wenn Menschen sich zusammen tun: "Dort wird Protest als etwas völlig Legitimes begriffen." Nun sei es ähnlich: Es müsse "gewaltfreier" Widerstand geleistet werden gegen eine Gesellschaftsform, die ihre Grundlagen zerstöre.
Gegenmodelle will er leben, sagt Zschoge. Nebenbei hält er die Finanzen des Inwole e.V. zusammen, dem Verein zur Förderung innovativer Wohn- und Lebensformen. Dessen Mitglieder haben seit 2005 ein eigenes Projekthaus in der Rudolf-Breitscheid-Straße 164 saniert, wollen noch einen Anbau dazusetzen. Zschoge schrieb die Förderanträge, unter anderem konnte er so eine teure ökologische Holzheizung finanzieren helfen. "Mit diesem Projekt-Zentrum wollen wir den Leuten unsere Ideen eines selbst bestimmten Lebens ganz praktisch zeigen", sagt Zschoge. Dabei sollen Wohnen, Arbeit, Kultur, Politik und soziale Projekte miteinander verbunden werden. Sichtbare Erfolge gibt es schon: Es ist das erste so genannte Haus der Eigenarbeit in der Region, seit Januar haben die Opferperspektive e.V. und der Flüchtlingsrat Brandenburg ihre Büros im Projekthaus bezogen - viele "neue Ideen" erhofft sich Zschoge von den zusätzlichen Mietern.
Als er noch nicht in Potsdam lebte, waren für Zschoge solche Erfolge nur Träume einer besseren Zukunft. Damals lebten er und viele der Inwole-Hausbewohner in der Uckermark, in Kleinstädten wie Schwedt - oder Angermünde. Dort war Zschoge bis Ende 1998 Leiter der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen, zudem leitendes Mitglied der antirassistischen Initiative Pfeffer und Salz e.V. - und machte sich Feinde. In der Nacht zum 31. Januar 1998 flogen drei schwere Feldsteine durch das Schlafzimmerfenster auf sein Bett. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen versuchten Mordes. "Die Täter wurden später im Sammelverfahren verurteilt, allerdings war wegen der Schwere ihrer Straftaten mein Fall gar nicht mehr dabei." In derselben Zeit ging das von Zschoge mit ins Leben gerufene Alternative Literaturcafé in Angermünde zu Grunde. Am Ende hätte es wegen der vielen Angriffe von Nazis wie eine Festung gewirkt: "Irgendwann haben wir es nicht mehr ausgehalten." Nach und nach hätten seine Freunde die Region verlassen. Als er wegzog, habe er einen goldenen Schalter geschenkt bekommen. "Der letzte macht eben das Licht aus", sagt er mit bitterer Stimme und redet über Lokalpolitiker von damals, die ihn als "Nestbeschmutzer" gesehen hätten. "Deren Ignoranz war fast schlimmer als die echten Nazis."
Doch diese Zeit liegt hinter ihm. Jetzt arbeitet Zschoge in einer freien Schule am Rand Berlins. Nebenbei das Babelsberger Hausprojekt, zurzeit die G8-Proteste. "Wir hoffen, die Menschen mit unseren Ideen und Alternativen zum Nachdenken zu bewegen, ob sie diese Weltordnung wirklich wollen", sagt er. Und betont, dass er die kapitalistische Logik von Profit und Kapitalverwertung für das Grundproblem dieser Welt hält, die G8 sowieso. In solchen Momenten klingt er ernst. Und er beginnt schnell zu reden, wenn er sich über die von ihm wahrgenommene Ungerechtigkeit in der Welt erregt - über die für ihn militaristische Außenpolitik der USA, ihren Krieg im Irak. Er zählt die Überschuldung Afrikas auf, Hungersnöte - aber auch die sozialen Härten, die er am Schlaatz erlebt, wo er noch wohnt. "Wie kann eine Gesellschaft zulassen, dass Kinder hier in ärmsten Verhältnissen aufwachsen und so später kaum eine Chance haben?!"
Kinder, darüber redet Holger Zschoge viel. Drei zieht er mit seiner Lebensgefährtin auf. Oft ist ein Lachen im Hintergrund zu hören, wenn man ihn anruft. Dann bittet er um Nachsicht oder versucht während des Telefonats auf die Kinder einzugehen: "Pass auf, komm hierher." Kinder sind ihm das Wichtigste, sagt er. Auch ihretwegen will er demonstrieren. "Sie sollen die Klimakatastrophe nicht erleben - auch deswegen werde ich mich auf die Straße setzen und gegen die G8 protestieren." Daran sei nichts terroristisch, entrüstet sich Zschoge über die mediale Diskussion um mögliche Gewalt der G8-Gegner: "Er ist unverhältnismäßig, wie die Bewegung wegen ein paar brennenden Autos kriminalisiert wird - obwohl die G8 täglich größere Gewalt weltweit durch ihre Macht produzieren."
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