Landeshauptstadt: Der Geist vom Jungfernsee
Potsdam ist der richtige Ort für ein politisches Magazin, meint Cicero-Chefredakteur Wolfram Weimer
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Potsdam ist der richtige Ort für ein politisches Magazin, meint Cicero-Chefredakteur Wolfram Weimer Von Marion Hartig Mit dem Motorrad kam Christoph Stölzl, der Ex-Kultursenator aus Berlin, über die Glienicker Brücke zur Redaktion von Cicero, in die Backsteinvilla am Jungfernsee. Er traf sich mit Chefredakteur Wolfram Weimer und seiner Autoren-Mannschaft zum politischen Salon und diskutierte mit ihnen über Deutschland und die Welt. Dabei herausgekommen ist ein Porträt mit dem Titel „Darum google ich mich selber“, das in der ersten Ausgabe des Magazins für politische Kultur Ende März 2004 erschien. Fünf Monate später sitzt Weimer entspannt auf einem schwarzen Ledersessel in seinem Büro. Die Erfolgsstory, die er erzählt, passt zu dem sonnigen Sommerwetter: Das sechste Monatsheft ist erschienen. Die Auflage liegt, trotz der stolzen sieben Euro pro Heft, stabil bei mehr als 100 000. Es mangelt nicht, wie bei anderen Printmedien, an Anzeigenkunden, die Online-Redaktion wurde ausgebaut, drei neue Redakteure eingestellt. Täglich trifft ein Berg Leserpost ein. Auch die Liste der Prominenten, die sich auf den Weg zum Jungfernsee machten, ist länger geworden. Der Kanzler kam, sein Vize Joschka Fischer, Angela Merkel, Martin Walser. Das hat für Cicero enorme Bedeutung. Denn der Montags-Salon ist eines der Herzstücke des Magazins. Es setzt auf das Gespräch, will auf hohem Niveau politische Debatten anstoßen und Bühne für kritisches Nachdenken über die Gesellschaft sein, erklärt der Chefredakteur. So wie Tucholskys „Weltbühne“ aus den 20er Jahren oder die amerikanischen Magazine „Atlantic Monthly“ und „The New Yorker“. Darum hat das Magazin seinen Namen bewusst gewählt. Denn der römische Politiker, Redner und Philosoph Marcus Tullius Cicero (106 v. Chr bis 43 v. Chr.) gilt als Urvater der politischen Debatte. Für ein Magazin mit einem solchen Ansatz sei Potsdam genau der richtige Ort, meint Weimer. Potsdam gehöre eigentlich zu Berlin und ein politisches Magazin sollte seinen Sitz in Regierungsnähe haben. Wobei zwanzig Minuten bis zum Kanzleramt wohl ein gesunder Abstand sind, betont Weimer. Er genießt die provinzielle Ruhe, das Spazierengehen mit seinen Gästen am Jungfernsee. Auch historisch betrachtet passt für ihn Cicero sehr gut in die Stadt. Tucholsky arbeitete hier an der Weltbühne, seit den preußischen Königen begegneten sich in Potsdam Macht und Geist, Friedrich der Große traf hier Voltaire. Die Autoren des Magazins lesen sich wie ein „Who is who“ des Zeitgeschehens. Maxim Biller schreibt über Juden in der ehrenwerten Gesellschaft, Oskar Lafontaine stellt sein Manifest für Deutschland vor, Fritz J. Raddatz trägt das Essay „Es gilt das gebrochene Wort“ bei. Aber auch Namen aus der Region tauchen auf. Der Potsdamer Regisseur Volker Schlöndorff, der Schriftsteller und Präsident der Berliner Akademie der Künste Adolf Muschg, der Künstler Rainer Ehrt aus Kleinmachnow gestaltete die Titelseite der August-Ausgabe. Doch von Lokalpatriotismus will der Chefredakteur nicht sprechen. Das wäre für ein Magazin, das bundesweit, in Österreich und der Schweiz gelesen werden will, unverzeihlich. Im Auftrag des Schweizer Ringier Verlag hat Weimer das Konzept für Cicero entwickelt. So etwas macht man nur einmal im Leben, ist er sich sicher. Dabei ist er gerade knapp 40. Er hat drei Söhne, lebt mit seiner Familie in Potsdam. Der gebürtige Hesse hatte zuvor zehn Jahre für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet, war Chefredakteur der „Welt“ und der „Morgenpost“ . Vor einem Jahr, als er mit der Planung für Cicero begann, hat er weniger ruhig auf seinem Bürosessel gesessen. Weimer vergleicht das Suchen nach guten Autoren mit einem Staffellauf. Zunächst einmal hat er gewonnen. Autoren und Künstler schicken mittlerweile von sich aus Texte und Bilder zur Veröffentlichung. Nicht alles ist bei Cicero geblieben, wie es am Anfang war. Das Publikum ist breiter, als zunächst angenommen. Entsprechend wird das Blatt heute populärer aufgemacht. Das Layout ist direkter, die Buchstaben der Überschriften sind dicker und damit griffiger geworden. Es gibt mehr Farbfotos, die Motive sind auffälliger als in den ersten Heften. Cicero ist auf dem Weg vom Nischenblatt zur Illustrierten. Inhaltlich aber hat das Magazin dadurch nicht verloren, sagt Weimer. Nur der Akzent habe sich verschoben, von mehr akademischen zu journalistischen, leichter lesbaren Texten. Der Auflage zumindest hat der Relaunch nicht geschadet. Der politische Diskurs dürfte so auf einer breiteren Ebene stattfinden. Zu hoffen bleibt – nicht auf Kosten des Geistes.
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