Streik in Potsdam und Potsdam-Mittelmark: Der Tag, an dem Potsdam stillstand
Zwölf Stunden Warnstreik im öffentlichen Nahverkehr - eine Bilanz: Mehr als 80 000 Fahrgäste waren betroffen, 54 Busse und 53 Trams standen still. Die Gewerkschaft Verdi verteidigt ihren Warnstreik.
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Potsdam - Ungewöhnlich ruhig war es am gestrigen Dienstag vor dem Potsdamer Hauptbahnhof: Dort wo sonst Dutzende Bus- und Tramlinien abfahren, herrschte am Vormittag Leere. Nur eine Handvoll Wartender stand an einer Bushaltestelle – vergeblich. Denn wegen des Warnstreiks der Gewerkschaft Verdi waren von 3.30 bis 15 Uhr kaum Busse und Trams unterwegs.
Die 54 Busse und 53 Straßenbahnzüge des Potsdamer Verkehrsbetriebs (ViP) hätten während des Ausstands auf dem Betriebshof in der Babelsberger Fritz-Zubeil-Straße gestanden, sagte Unternehmenssprecher Stefan Klotz. Nach dem Streikende werde es an die zwei bis drei Stunden dauern, bis alles wieder nach Fahrplan laufe. Betroffen war auch die Fähre zwischen Hermannswerder und dem Kiewitt. Die Situation sei schwierig gewesen, sagte Klotz. Lediglich die wenigen Busse privater Busunternehmen, die der ViP chartert, fuhren planmäßig – speziell im Potsdamer Norden.
Verständnis und Frustration nah beieinander
Doch die meisten der sonst 80.000 täglichen Fahrgäste des ViP mussten sich Alternativen suchen. Weil die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi den Warnstreik erst am Vorabend angekündigt hatte, erreichte die Information nicht jeden. „Ich komme von der Nachtschicht. Wie komme ich jetzt nach Hause?“, fragte ein Potsdamer vor dem Hauptbahnhof. Verständnis für die Streikenden habe er ja, er hätte nur gern Bescheid gewusst, sagte der Mann – frustrierend sei das schon.
Der Bahnkundenverband DBV kritisiert deshalb die Gewerkschaft: „Völlig indiskutabel ist aus unserer Sicht, einen Streik diesen Ausmaßes mit einer Vorlaufzeit von nicht einmal acht Stunden zu verkünden“, hieß es in einer Mitteilung. Denn in dieser kurzen Zeit werde nur eine Minderheit von der Aktion erfahren haben, um sich über eventuelle Alternativen Gedanken zu machen. „Es darf nicht sein, dass jene Menschen, die dem öffentlichen Nahverkehr täglich seine Existenzberechtigung geben, faktisch zu Geiseln gemacht werden“, sagte Karsten Müller, Chef des DBV-Verbandes Potsdam-Mittelmark.
Verdi verteidigt den Streik
Wütende Reaktionen gab es auf der Facebookseite der PNN: Vielfach war von Verständnislosigkeit über das Vorgehen der Gewerkschaft die Rede. Der Streik treffe die Schwächsten. Eine Nutzerin schrieb, die Streikenden bekämen den Hals nicht voll. Ein anderer Nutzer behauptete sogar ernsthaft, in der DDR hätte es so was nicht gegeben.
Dagegen verteidigte die Gewerkschaft Verdi den Streik. Ihr Verhandlungsführer Marco Pavlik betonte, der Streik richte sich gegen die Arbeitgeber und nicht gegen die Fahrgäste. Die Argumentation von Verdi: Würden die Warnstreiks aber eher angekündigt, könnten Arbeitgeber ihre Busflotte vom Betriebshof herunterfahren, um den Streik zu unterlaufen.
1800 Brutto verdienen die Bus- und Straßenbahnenfahrer
Pavlik erklärte weiter, viele Bus- und Straßenbahnfahrer verdienten lediglich 1808 Euro brutto plus Zuschläge für Wochenend- und Feiertagsdienste. „Unsere Hauptforderung ist, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten alle Entgelte um 120 Euro brutto zu erhöhen. Das ist angemessen.“ Die Löhne im brandenburgischen Nahverkehr lägen im bundesweiten Vergleich im unteren Mittelfeld und müssten steigen. „Die Fahrer haben Schichtlängen von bis zu 13 Stunden am Tag.“
Trotz des Streiks entspannt war die Lage beim Potsdamer Finanzamt, dessen Standort am Stadtrand in der Steinstraße normalerweise von der Buslinie 694 angefahren wird. „Unsere Mitarbeiter haben gleitende Arbeitszeiten“, so Finanzamtschef Dietmar Ohliger. „Finanzbeamte sind flexibler als man denkt.“ Für die Bürger sei die Behörde über das Internet und per E-Mail und Telefon erreichbar. „Man muss ja nicht unbedingt selbst herkommen“, so Ohliger. Auch in der Zentrale der kommunalen Immobilienholding Pro Potsdam in der Pappelallee stiegen die Mitarbeiter aufs Fahrrad um oder bildeten Fahrgemeinschaften, wie Sprecherin Jessica Beulshausen sagte. Außerdem gebe es flexible Arbeitszeiten.
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