Homepage: Der Traum vom Süden
Stadtplaner haben sich an der FH mit anderen Disziplinen über „Potsdamer Baukultur im Spiegel der Italienrezeption“ ausgetauscht „Fast scheint es, als hätte Friedrich die Stadt genetisch geimpft“ Annegret Burg, FH-Professorin
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Von einem inneren Seelenzustand, einer Ergriffenheit des flüchtigen Augenblickes war die Rede, einer schwer stillbaren Sehnsucht nach dem Land, in dem – wie Goethe schrieb – „die Zitronen blühn“. Dass die deutsche Italiensehnsucht gerade in Potsdam vielerorts Stein geworden ist, ist nicht neu. Die These aber, dass ohne die in Italien gewonnenen Kenntnisse deutscher Bildungsreisender im 18. und 19. Jahrhundert, ohne die dortige Schulung des Sehens und Fühlens Potsdam als Kulturbegriff gar nicht denkbar wäre, eröffnet eine neue Dimension. „Verstand und Gefühl, Geist und Natur, Pragmatismus und Ideal: Sie verbanden sich zu jenem Schritt für Schritt verfeinerten Zusammenspiel von Landschaft, Stadt und Architektur“, sagte Annegret Burg zur Eröffnung der Tagung „Potsdamer Baukultur im Spiegel der Italienrezeption“ an der Fachhochschule Potsdam. Burg ist Professorin für Architektur- und Stadtbaugeschichte an der FH, den Austausch mit Italien treibt sie seit längerem voran.
Wer die Augen öffnet, kann die italienischen Bezüge in der Potsdamer Baugeschichte nur schwerlich übersehen. Wie Perlen an einer Schnur reihen sich beispielsweise zwischen Nauener Tor und dem Pfingstberg italisierende Villen auf. Und wer in die Malerei blickt, wird in Bildern von Carl Graeb oder August Wilhelm Julius Ahlborn entdecken, dass im 19. Jahrhundert der Blick vom Belvedere zur Kuppel des Neuen Palais’ verdächtig dem Bild ähnelte, dass sich den deutschen Italienreisenden des 18. und 19. Jahrhunderts von der Campagna Romana hinweg auf die ewige Stadt Rom eröffnete. „Der Blick von der Campagna scheint sich mit dem auf Potsdam zu verflechten“, sagt Annegret Burg.
Augenfälliges Zeichen dieser Wahlverwandschaft schließlich die Nikolaikirche mit ihrer Kuppel in Anlehnung an den Petersdom. Potsdam werde hier zum preußischen Rom. „Eine eigenständige Interpretation“, so Annegret Burg. Sie erinnerte auch an Stendhal, der sich in Potsdam nach Italien versetzt fühlte. Die Havellandschaft empfand er als reizend, weich und schwermütig im Kontrast zur eher spröden Streusandbüchse der umgebenden Mark Brandenburg.
Die Annäherung Potsdams an die italienischen Vorbilder reichte im 18. und 19. Jahrhundert weiter, als das heutige Stadtbild uns mitzuteilen vermag. Viele der Gebäude sind durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs verschwunden. So etwa auch drei der vier Gebäude, die als „Acht Ecken“ an der Straßenkreuzung Friedrich-Ebert-Straße/Schwertfegergasse eine achteckige Piazza bildeten, ähnlich der Piazza Quattro Fontane in Rom. Oder das Säulenhaus am ehemaligen Wilhelmplatz (heute Platz der Einheit), das eine Replik des in die Säulen eines antiken Tempels hineingebauten Zollgebäudes „Dogana di Terra“ in Rom war.
Die deutsch-italienische Tagung der Fachhochschule Potsdam am vergangenen Wochenende war nicht nur gelebter Ausdruck langjährigen Austauschs zwischen der FH und italienischen Hochschulen – inklusive Live-Schaltung nach Mailand –, sondern auch Zeichen für die Möglichkeit des Miteinanders von Geistes- wie Sozialwissenschaften und Architektur. So konnten sich etwa Historiker mit Architekten oder Stadtplanern austauschen. Und zwar über ein Thema, das gerade im Jubiläumsjahr Friedrich des Großen und der kommenden großen Schinkel-Ausstellung im September in Berlin aktueller kaum sein konnte.
Die architektonischen Reminiszenzen an Italien sind in Potsdam allgegenwärtig. Doch auch die Brüche sind es, die heute interessieren: Einerseits die streng angelegte preußische Garnisonstadt als Ausdruck des Militarismus, andererseits die Leichtigkeit, Harmonie und Verspieltheit der italienischen Anklänge. Das Zusammenspiel dieser Gegensätze ist es, das das Erscheinungsbild Potsdams bis heute prägt. „Der gesamte preußische Klassizismus erhielt durch das Stillen einer um sich greifenden Italiensehnsucht und nicht zuletzt durch Schinkel eine ganz spezifische Heiterkeit, die sich an vielen Bauten heute noch ablesen lässt“, so die Einschätzung von Martina Abri, die an der FH Professorin für Denkmalpflege ist.
Die Brüche stellen für Annegret Burg einen wesentlichen Gesichtspunkt für die Entwicklung Potsdams dar. Preußen habe immer aus einem Defizit heraus gehandelt: „Preußen dass plötzlich ein Königtum wird, sich in Konkurrenz zu Europa sieht, einen Nachholbedarf hat.“ Dies verband sich mit den preußischen Tugenden: protestantisch, selbstversagend, nüchtern, rational und staatstreu. Der Sprung in die italienische Gedankenwelt sei dann eine große Befreiung gewesen, auch vom höfischen Protokoll. Das Lustvolle, das Dolce Vita und der Ideenschatz der Antike bildeten die Antipoden zum Preußischen. Schinkel habe Goethe zitiert: „Wenn auch ein Tag uns klar vernünftig lacht, in Traumgespinst verwickelt uns die Nacht.“ Aus dem Dualismus zwischen Rationalem und Sinnlichem sei in Preußen sehr viel Positives entstanden, so Burg.
Die Italienliebe reicht zurück bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts, als der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm erste Architekten und Künstler zum Studium nach Italien entsandte. Später wurde Friedrich der Große eine treibende Kraft. Obschon er selbst nie nach Italien gereist war, holte er den Traum vom Süden über den Grafen Algharotti nach Preußen. Potsdam erhielt bereits damals eine kleine Sammlung italienischer Fassaden, die vor Bürgerhäuser gesetzt wurden – Annegret Burg spricht von einer Enzyklopädie für Potsdam, die italienische Kultur in die Stadt hineintragen habe. „Das war ein absolutes Unikum, das gab es sonst nirgends.“ Ziel war, die Garnisonstadt in eine italienische Renaissancestadt zu verwandeln. „Fast scheint es, als hätte Friedrich die Stadt genetisch geimpft“, so Stadtbauexpertin Burg. Das habe einen direkten Wert für die Zukunft gehabt. Die Nachahmung Italiens ließ sich fortan kaum noch aufhalten: „In allen denkbaren architektonischen Spielarten, von der Kopie bis zur Neuerfindung“. Erst die Zerstörungen und politischen Umbrüche des Zweiten Weltkrieges bereiteten der Verwandlung einen jähen Abbruch.
Nach den Kriegszerstörungen und den gewandelten ästhetischen Bezügen des 20. Jahrhunderts ziehe heute der klassische Baugedanke erneut durch die Architektur Potsdams, stellte Potsdams Urania-Chefin Karin Flegel fest, die an der FH Honorarprofessorin am Fachbereich Architektur und Städtebau ist. So wurde der im Krieg verlorene Monopteros des Militärwaisenhauses wiederhergestellt, alte Fassaden werden rekonstruiert, Neubauten erhalten Stilelemente von Renaissance-Palästen und Privatbauten neue Belvederes. Der italienische Faden wurde dabei auch direkt wieder aufgenommen, so schuf der italienische Architekt Augusto Romano Burelli neue Türme in der Stadt, etwa an der Versöhnungs- und Heiliggeistkirche – wenn dies auch sehr freie moderne Interpretationen sind.
Für Annegret Burg steht die Diskussion um die Frage Kopie oder Imitation, Nachahmung oder detailgetreue Rekonstruktion im Vordergrund der weiteren Entwicklung. Sie verweist auf die italienische „composizione architettonica“: auf einen Kanon von Elementen und geschichtlichen Zitaten zurückblickend wird dabei etwas Neues geschaffen, ohne den Faden zur Vergangenheit zu verlieren. „Geschichte als Fundament europäischer Kultur ist die Lehrmeisterin der Zukunft, auch in der Potsdamer Architektur“, lautet das Fazit der Stadtbauexpertin. „Ernsthaft beschritten wird dies ein langer und steiniger Weg – vielleicht der wiedergefundene Weg in ein uraltes Land: erneuerte Metapher die beflügeln kann“.
Begleitend zur Tagung ist noch bis 27. Januar im FH-Hauptgebäude, Kiepenheuerallee 5, die Ausstellung „E.I.A.E. – Wanderung“ des namhaften Mailänder Fotografen Giovanni Chiaramonte zu sehen.
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