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West-Schriftsteller im Osten: Die DDR als literarischer Stoff

Warum viele Schriftsteller aus dem Westen in die DDR gegangen sind. Eine Tagung der Universität Potsdam hat nach Motiven, Umständen und biografischen Konsequenzen gefragt.

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Die Zahl verblüfft: Über eine halbe Million Menschen sind in der Zeit von 1949 bis 1989 aus der BRD in die DDR übergesiedelt. Dass es bis zum Mauerbau eine starke Auswanderung von Ost nach West gab, ist bekannt. Doch dass es auch auf entgegengesetztem Wege zahlreiche Umzüge gab, wurde bislang kaum thematisiert. Das Institut für Germanistik der Universität Potsdam hat das Phänomen nun anhand der Wanderungsbewegungen von Schriftstellern beleuchtet. Motive, Umstände, biografische Konsequenzen, Selbstdeutungen und literarische Folgen der Übersiedlung westdeutscher Intellektueller in die DDR waren Thema einer Tagung am vergangenen Wochenende, die aus Anlass der Emeritierung des Professors für Neuere Deutsche Literatur, Helmut Peitsch, stattfand.

Was hatte Autoren und Intellektuelle wie Anna Seghers, Bertolt Brecht oder Wolf Biermann bewogen, sich für ein Leben in der DDR zu entscheiden? Die Gründe waren sehr individuell, sie reichten von politischer Überzeugung über der Suche nach einer gesicherten Existenz bis hin zu kreativer Abenteuerlust. Wolf Biermann beispielsweise entschied sich 1953 für die DDR, weil man sich dort entschiedener mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt habe. Auch Anna Seghers hatte politische Gründe. Sie war bereits 1947 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, während sie noch in Westberlin lebte. 1950 zog sie nach Ostberlin und wurde zum Mitglied des Weltfriedensrates und zum Gründungsmitglied der Deutschen Akademie der Künste berufen. Ihr ging es um die konkrete Utopie, um das nötige Mögliche, wie die Literaturwissenschaftlerin Margrid Bircken von der Uni Potsdam sagte. Früh hatte sich die bereits 1928 in die KPD eingetretene Autorin nach ihrer Rückkehr aus dem mexikanischen Exil in Richtung der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) orientiert – auch um dort den Geist des Faschismus aus den Köpfen der jungen Menschen herauszubefördern. Zwar war sie nicht immer mit der Parteilinie einverstanden, versuchte im Fall Walter Jankas zu intervenieren, stimmte gegen den Ausschluss von Heiner Müller aus dem Schriftstellerverband. Doch sie blieb der DDR treu.

Berühmtestes Beispiel eines Dichters, der aus dem Westen kam und die DDR mit aufbaute, ist wohl der aus München stammende Johannes R. Becher. Bereits im August 1945 zählt er zu den Gründern des „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“. Bertolt Brecht konnte nach dem Krieg erst gar nicht nach Westdeutschland gehen, wegen unamerikanischer Umtriebe ließen ihn die Amerikaner nicht einreisen. So landete er 1948 in der SBZ. Auch er blieb, trotz kritischer Haltung nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953, bis zu seinem Tode.

Für andere entpuppte sich die Übersiedlung allerdings auch als Irrtum. Viele kehrten in die BRD zurück, so lange die Mauer noch offen war. Darunter bekannte Namen wie Ralph Giordano, der 1955 nach nur neun Monaten ernüchtert den Rückzug antrat, oder Heinar Kipphardt, der 1950 von Krefeld nach Ostberlin kam und 1959 ob des verschärften SED-Kurses gegen kritische Intellektuelle nach Düsseldorf zurückkehrte. Auch Ernst Bloch, der bereits 1948 in den Osten gekommen war, verließ die DDR im Jahr des Mauerbaus wieder.

Bei der West-Ost-Bewegung gab es allerdings nicht nur Schwarz und Weiß. Es gab auch Figuren, die nicht ganz in die jeweiligen Schubladen passten. Der Fall des Joachim Seyppel etwa ist alles andere als eindeutig. Über fünf Jahre äußerste der Autor seine Absicht zur Übersiedlung und erklärte dies in zahllosen Schriftstücken gegenüber der DDR-Obrigkeit. Als er dann 1973 wirklich umzog, schrumpfte seine Rolle im Wesentlichen nur noch auf einen kurzen Auftritt zusammen. „Nicht er kontrollierte die Verhältnisse, sondern sie ihn“, so der Germanist Roland Berbig von der Humboldt-Uni.

Seyppels Verhältnis zu den DDR-Machthabern war durch seine Kritik an sozialen Missständen im Lande schon bald getrübt worden. An dem Medium der Eingabe hatte er offensichtlich einen Narren gefressen. Er trieb es so weit, dass er – solange es keine Teebeutel gab – ganz ernsthaft den Gebrauch von Tee-Eiern in den HO-Gaststätten forderte. Auch protestierte er gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns und engagierte sich für die Dissidenten. Im Juli 1979 reiste Seyppel, kurz nachdem er Staatsbürger der DDR geworden war, wieder in die BRD aus. 1982 wurde er aus der DDR ausgebürgert.

Falls das ganze Spektakel von Seyppel nur ein literarisches Experiment gewesen sein sollte, so sei dies misslungen, meint der Germanist Berbig. Allerdings müsse man auch andere Hintergründe sehen. Nämlich dass Seyppel eine Ehekrise im Westen und eine verlockende Geliebte im Osten gehabt habe. Oft waren es eben auch ganz persönliche Gründe, die hinter dem West-Ost-Wechsel standen. Zumal in den ersten Jahren nach dem Krieg die Grenzen noch fließend waren.

Der Historiker Bernd Stöver der Uni Potsdam hat das Phänomen genauer analysiert. Sein Fazit: von den in der Mehrzahl jungen, zumeist männlichen 550 000 Übersiedlern seien die wenigsten politisch motiviert gewesen. Das entscheidende Motiv habe in den meisten Fällen im privat-familiären Bereich gelegen. Und so erstaunlich es klingt, gingen viele auch aus ökonomischen Gründen in den Osten. Sie suchten eine gesicherte Existenz, ein normales ungestörtes Leben. Was allerdings für viele wiederum ein Irrglaube war, denn wirklich ungestört ließ es sich im Osten nicht immer leben. Ein Drittel der Einwanderer kehrte dann auch in den Westen zurück – solange die Grenze noch offen war.

Wie individuell die Beweggründe der West-Ost-Autoren waren, lässt sich eindrücklich auch an Adolf Endler erkennen, der als „Tarzan am Prenzlauer Berg“ in die Analen der Literaturgeschichte eingegangen ist. Obwohl er trotz der Nähe zur KPD einen passenden politischen Hintergrund hatte, war Endler 1955 nicht in die DDR geflüchtet, sondern nach eigenen Worten eher hängengeblieben. Was sicherlich auch mit einem Studienplatz und einem auskömmlichen Stipendium am Literaturinstitut in Leipzig zu tun hatte. Für sein Bleiben hatte Endler aber auch künstlerische Gründe. Was er denn im Westen solle, fragte er. Für seine Arbeit als Schriftsteller habe die DDR das ideale Material geboten. „Dieser Zerfall, dieses Kaputtgehen und zugleich dieses Verlogene und Pathetische, das musste einen satirisch gestimmten Melancholiker wie mich reizen“, sagte Endler nach der Wende. Am Ende habe er zur DDR nur noch ein Verhältnis wie zu einem absurden, verrückten und komischen Stoff gehabt.

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