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Zusammenkommen. Flüchtlingskinder haben einen weiten, oft mit Traumata belasteten Weg hinter sich, bis sie in Potsdam ankommen. Hier kann ihnen geholfen werden.

© dpa/Ralf Hirschberger

Flüchtlinge in Potsdam: Die Flucht, ein Trauma

Auch in Potsdam leben viele Flüchtlinge, die auf lebensgefährlichem Weg nach Europa gelangt sind. Wie ihnen geholfen wird – und was die erneuten Tragödien im Mittelmeer für sie bedeuten.

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Was muss ein Mensch erlebt haben, um allein ein Boot übervoll von Menschen zu besteigen, sich in große Gefahr zu bringen – nur in der Hoffnung, nach Stunden ans rettende Ufer Europas zu gelangen? Bei Adil B. war es der Einschlag einer Granate vor dem Friseurgeschäft seines Bruders in Damaskus. Sein Bruder, der Friseur, war sofort tot. Für den jetzt 18-jährigen Adil B. hieß es, Syrien zu verlassen. Heute lebt Adil B. in Potsdam, in einem Flüchtlingsheim. Wer ihn dort trifft, sieht ihm nicht an, was er erlebt hat.

Nach Europa gekommen ist B. über das Wasser, über das Mittelmeer. Über jene Route, auf der täglich viele Menschen ihr Leben verlieren. Mit mehr als 300 Flüchtlingen, so schildert es der junge Syrer, stand er zwölf Stunden dicht gedrängt auf einem kleinen Kutter, auf dem Weg von Libyen nach Italien. Er überlebte, gelangte von Italien nach Brandenburg, nach Potsdam.

Doch was bleibt von einer solchen Flucht, welche Spuren hinterlassen Krieg und Situationen großer Lebensgefahr?

Allein die Erfahrung von Adil B. könne ein Trauma auslösen, sagt der Psychiater Claus Hemmrich. Er kümmert sich als Leiter des sozialpsychiatrischen Dienstes in Potsdam auch um die Folgen von Kriegserlebnissen und anderen Ereignissen bei Flüchtlingen. Viele von ihnen hätten Angststörungen oder sogenannte posttraumatische Belastungsstörungen, sagt Hemmrich. Auch Depressionen sowie psychosomatische Folgen könnten auftreten, so der Psychiater.

Psychische Belastungen entstünden, wenn es eine massive Todesbedrohung gebe, etwa durch eine lange Haftstrafe in einem unterentwickelten Land, Vergewaltigungen, Folter oder ähnliches. „Auch die Enge auf einem Flüchtlingsboot im Mittelmeer kann so etwas auslösen“, erklärt Hemmrich. „Etwa wenn junge Menschen erleben müssen, wie ihre Mutter über Bord geht und ertrinkt, oder der Kutter kentert.“ Immer wieder komme es vor, dass die so traumatisierten Menschen kein Wasser mehr sehen könnten oder Angst vor Gewittern hätten.

Psychologische Gespräche sind nicht immer einfach

Nicht alle Flüchtlinge in Potsdam und Brandenburg werden grundsätzlich psychologisch betreut, sagt Hemmrich. Dies sei leider auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht vorgesehen. „Es wäre toll, wenn wir zwei, drei Sätze mit jedem sprechen könnten“, meint er. Dann wisse man, ob man tätig werden müsse.

Derzeit ist es laut Hemmrich so, dass der sozialpsychiatrische Dienst nur hinzugezogen wird, wenn die Träger der Flüchtlingseinrichtungen dies wünschen. Der Dienst sei hier vor allem für eine Beurteilung wichtig. Je nach Ergebnis wird eine psychiatrische oder psychologische Behandlung vorgeschlagen und nach den Regelungen im Asylbewerberleistungsgesetz finanziert. Dabei seien die Gespräche, die er und sein Team mit den Asylsuchenden führen, oft nicht einfach. „Die Menschen haben keine guten Erfahrungen mit Behörden gemacht und sind misstrauisch.“ Dies brauche also Zeit.

Jeder geht anders mit Traumata um

Grundsätzlich teilte Hemmrich seine Klienten, die geflüchteten Menschen, in drei Kategorien ein. Da sind die „Harten“, die alles verdrängen und sich sagen: Das wird schon. Andere wollen nicht mehr daran erinnert werden. Und die dritte Gruppe versuche, das Trauma zu heilen.

Die meisten würden nach Europa kommen, weil es ihnen ums „nackte Überleben“ gehe, sagt Hemmrich: „Die Leute sind nicht blöd. Sie sind informiert und trotzdem riskieren sie ihr Leben auf diesen Schiffen im Mittelmeer.“ Da relativiere sich doch auch die Diskussion über Wirtschaftsflüchtlinge sehr schnell.

Die jetzigen Berichte über die neuerlichen Tragödien im Mittelmeer mit mehr als 1000 Toten in wenigen Tagen belasten laut Hemmrich die Flüchtlinge, die es geschafft haben. Es gebe Abwehrmechanismen. „Der hat es nicht richtig gemacht. Der hat es verdient oder so“, sagt Hemmrich. Andere fragten sich auch, warum ausgerechnet sie überlebt hätten.

Ein Willkommensfest in Potsdam ist geplant

Hilfe, so scheint es, brauchen viele von ihnen – auch in Potsdam. Zahlreiche Initiativen engagieren sich bereits, dauerhaft und langfristig. In der Potsdamer Innenstadt soll am 22. Mai auf dem Kutschstall-Hof ein Willkommensfest für Flüchtlinge gefeiert werden. Dazu sollen rund 90 Asylsuchende eingeladen werden, die derzeit in drei Unterkünften in der Innenstadt untergebracht sind. Initiator ist die CCDM Potsdam GmbH, auch die F.C.Flick-Stiftung unterstützt die Initiative.

Ein Ziel des Festes: Paten zu finden, die dauerhaft Flüchtlinge ehrenamtlich ganz konkret unterstützen – mit einem Praktikum, einer Betreuung. Und die ihnen auch auf diesem Weg helfen, Erlebtes zu bewältigen. (mit SCH)

Stefan Engelbrecht

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