Landeshauptstadt: Die Hoffnung war stärker
In der Friedrichskirche erinnerten Zeitzeugen an die Friedliche Revolution 1989. Für Kontroversen sorgte die politische Gegenwart
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Babelsberg – Kerzenlicht schimmerte über den dunklen Weberplatz, als sich die Türen der Babelsberger Friedrichskirche am Abend öffneten. In kleinen Gruppen standen die Menschen vor dem Gotteshaus und unterhielten sich über das Gehörte. Eben war in der Kirche die Podiumsdiskussion „Aus der Kirche auf die Straße – 25 Jahre Friedliche Revolution in Potsdam“ zu Ende gegangen. Damit sollte ein Blick zurück geworfen werden, auf das, was sich im Herbst 1989 dort ereignete, als die Protestbewegung gegen das SED-Regime Potsdam erreichte. „Wenn das alles nicht passiert wäre, hätte ich meinen Mann wohl gar nicht kennengelernt“, sagte eine Potsdamerin. Das ganze Leben wäre anders verlaufen.
Die 900 Plätze in der Kirche aus dem 18. Jahrhundert waren am Samstagabend gut zur Hälfte gefüllt. Das Keimzeit Akustik Quintett eröffnete den Abend musikalisch: „Irre ins Irrenhaus, die Schlauen ins Parlament. Selber schuld daran, wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt.“ Zu der alle fünf Jahre stattfindenden Veranstaltung hatten Kirchgemeinde, Land, Stadt und erstmals auch die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur eingeladen.
25 Jahre zuvor waren noch sehr viel mehr Menschen zum Weberplatz geströmt. Am 4. Oktober 1989 stellte sich zum ersten Mal das verbotene Neue Forum in der Bezirksstadt Potsdam vor. Mit etwa 300 Besuchern hatten die Veranstalter damals gerechnet, zehnmal mehr kamen tatsächlich – so viele, dass es Polizei und Staatssicherheit vorzogen, nicht einzugreifen. Dreimal musste die Veranstaltung an jenem Abend wiederholt werden, damit auch alle Interessierten den Weg in die Kirche fanden.
Spannung lag damals in der Luft: Wenige Tage zuvor war der erste Zug mit Flüchtlingen aus der Prager Botschaft nach Westen gerollt. Bei seiner Durchfahrt durch Dresden prallten Demonstranten und Regime gewaltsam aufeinander. Das 40. Gründungsjubiläum der DDR stand unmittelbar bevor. Die SED-Herrscher hatten die gewaltsame Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking wenige Monate zuvor ausdrücklich gelobt – die „chinesische Lösung“. „Über uns schwebte ein Damoklesschwert“, erinnerte sich die Landesbeauftragte Ulrike Poppe jetzt in ihrer Begrüßungsansprache: „Am 4. Oktober konnte noch keiner wissen, wie es weitergeht.“
„Diktatur lebt von der Angst“, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Viele Menschen hätten in jenen Tagen ihre Angst überwunden, weil es auch Hoffnung gegeben habe. Woidke erinnerte an die Grenzöffnung in Ungarn und die erste nichtkommunistische Regierung in Polen. Die Losung „Wir bleiben hier“ sei die größte Drohung an das SED-Regime gewesen. Die zunehmende Kritik an der DDR-Führung habe sich ihren Weg „aus dem geschützten Raum der Evangelischen Kirche in die Öffentlichkeit“ gebahnt. Dass das Regime am Ende friedlich zu Fall gebracht wurde, sei für ihn immer noch „ein riesengroßes Wunder“, so Woidke.
Auf dem Podium erinnerten sich am Samstag Protagonisten aus jenen Tagen: Stefan Flade, damals Pfarrer der Friedrichskirche, Jeanne Grabner, damals aktiv im Lateinamerika-Arbeitskreis „terra unida“, Reinhard Meinel als einer der Erstunterzeichner des Aufrufs des Neuen Forums und Jes Möller, damals Oppositioneller und heute Präsident des Landesverfassungsgerichts. „In den Widerstand geriet man ja schnell. Man musste ja nur leben“, erinnert sich die damals 21-jährige Jeanne Grabner. Den Gründungsaufruf des Neuen Forums habe man damals auch an Nachrichtenagenturen geschickt, so Meinel. „Aber ADN hat ihn nicht veröffentlicht.“ Der Kernsatz – „Wir fordern einen demokratischen Dialog“ – habe sich trotzdem schnell verbreitet.
Potsdam sei ein Motor der Friedlichen Revolution gewesen, so Jes Möller. Er erinnerte an die Dokumentation der Fälschung der Kommunalwahl im Mai 1989. Am 7. Oktober 1989 zogen dann Tausende Potsdamer in einem Protestmarsch gegen das Regime durch die Brandenburger Straße, die damals Klement-Gottwald-Straße hieß. „Das gab es nicht an vielen Orten“, so Möller. „Wir waren ja nicht hinter dem Berg“, sagte auch Flade. Man habe nur vorsichtiger als in Berlin sein müssen, weil die Aufmerksamkeit der Westmedien fehlte.
Emotionen weckte am Samstag die Erinnerung an den im Jahr 2002 verstorbenen Rudolf Tschäpe – mit Meinel einer der Erstunterzeichner des Aufrufs des Neuen Forums. „Ich weiß nicht, ob ich mich ohne ihn so viel getraut hätte“, sagte Meinel sichtlich bewegt. Er sei sehr traurig, dass Tschäpe heute nicht mehr da ist.
Doch beim Blick zurück verharrte die Veranstaltung am Samstag nicht. Meinel kritisierte die erneute Regierungsbeteilung der Linken im Land Brandenburg. „Das ist die SED“, sagte er an Ministerpräsident Woidke gewandt, neben dem auch Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) in der ersten Reihe Platz genommen hatte. Das Ergebnis der Landtagswahl sei für ihn eigentlich ein Zeichen gewesen, „dass der Spuk vorbei“ sei, so Meinel. Leider habe sich die SPD nun doch wieder für Rot-Rot entschieden. Aber in einer Demokratie gebe es ja wieder Wahlen, so Meinel. Dafür erntete Meinel an diesem Abend den längsten und lautesten Applaus.
Flade weitete den Blick über Deutschland hinaus: Es sei fatal, deutsche Soldaten in die Ostukraine zu schicken, so Flade. Er wünsche sich mehr Zurückhaltung und Sensibilität in der Außenpolitik. Meinel richtete das Augenmerk auch auf die Demonstranten in Hongkong, die demokratische Rechte einfordern – er sei mit dem Herzen bei ihnen: „Menschenrechte und Freiheit sind immer wichtiger als Reichtum und Stabilität.“
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