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Homepage: Die Seuche im Reisegepäck
Durch die Globalisierung verbreiten sich Tierseuchen schneller, mahnt der Epidemiologe Conraths
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Entzündungen an Zahnfleisch und Lippen, Fieber, Apathie, Blutungen der Klauenlederhaut und eine geschwollene blaue Zunge: Als die Blauzungenkrankheit im Sommer 2006 zum ersten Mal an deutschen Schafen und Rindern festgestellt wurde, war das ein Schock für die Tiermediziner. Denn vorher war der Virus nur südlich der Sahara sowie in Mittel- und Südamerika aufgetreten.
„Die Krankheit ist ohne jede Vorankündigung bei uns angekommen“, erklärte Franz Josef Conraths, Leiter des Fritz-Loeffler-Instituts – des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit in Wusterhausen – in der Potsdamer Sonntagsvorlesung im Alten Rathaus am vergangenen Wochenende. Er sprach dort zum Thema „Klimawandel und Globalisierung: Steigendes Risiko für exotische Tierseuchen in Deutschland?“
Zwei Jahre brauchte die Pharmaindustrie, um Impfstoffe gegen die Blauzungenkrankheit – eine für den Menschen ungefährliche Tierseuche – herzustellen. Nach den etwa 1000 Fällen im Jahr 2006 stieg die Zahl der Erkrankungen deshalb im Jahr 2007 sprunghaft auf mehr als 20 000 Fälle, berichtete Conraths. Auch die eingerichteten Sperrgebiete konnten die Krankheit nicht aufhalten. Denn sie wird von ein bis drei Millimeter großen Minimücken, sogenannten Gnitzen, übertragen – und die werden mit dem Wind einfach verweht. „Gegen die Gnitzen etwas zu tun, ist so gut wie aussichtslos“, sagt Conraths.
Seit Mai 2008 wird nun geimpft: 1100 Fälle von Blauzungenkrankheit habe es bisher in diesem Jahr gegeben. Zeit zum Aufatmen ist allerdings noch lange nicht. Denn einerseits sind die wirtschaftlichen Folgen des Krankheits-Tourismus heute auch für brandenburgische Bauern spürbar. Das Exportgeschäft nach Russland sei eingebrochen, erklärt Conraths. „Selbst geimpfte Tiere wollen die Russen nicht.“ Andererseits ist den Forschern bis heute unklar, auf welchem Weg die Viren über die Sahara, das Mittelmeer und die Alpen nach Mitteleuropa kommen konnten. Hat ein Teilnehmer der Weltreiterspiele 2006 in Aachen die Seuche eingeschleppt? In der Rheinebene gab es jedenfalls die ersten Krankheitsfälle, erklärte Conraths. Denkbar sei jedoch auch die Einreise über einen „normalen“ Privatreisenden.
Denn die Globalisierung und die damit verbundenen Möglichkeiten des weltweiten Personen- und Warenverkehrs sind für den Epidemiologen die größte Gefahr für die Verbreitung exotischer Tierseuchen. Heute könne man innerhalb der Inkubationszeit solcher Seuchen zu praktisch jedem Ort der Welt und wieder zurück kommen – die Krankheit buchstäblich im Reisegepäck. So seien etwa am Frankfurter Flughafen vor drei Jahren – in der Zeit der Vogelgrippe – in nur sechs Monaten 21,5 Tonnen illegal eingeführter Lebensmittel beschlagnahmt worden, berichtete Conraths. In 80 Prozent der Koffer und Taschen seien Lebensmittel gefunden worden – im Extremfall sogar 60 Kilo pro Person. Neben der Vogelgrippe und der Blauzungenkrankheit erinnerte Conraths auch an die Verbreitung der Maul- und Klauenseuche, der Rinderpest und der Schweinepest. Der Klimawandel verstärke die Seuchengefahr zusätzlich, indem Insekten wie etwa die Tigermücke, die das Westnilfieber und das Dengue-Fieber überträgt, sich weiter ausbreiteten als bisher, so Conraths.
Um die Seuchengefahr einzudämmen, seien striktere Kontrollen notwendig, mahnte der Veterinärmediziner. Denn bisher verlasse sich die 1924 gegründete Weltorganisation für Tiergesundheit nur auf offizielle Berichte der Staaten. Diese seien jedoch „oft lückenhaft und unaktuell“, so Conraths. Vor dem Hintergrund eines drohenden Exportverbotes sei es für die Staaten günstiger, Seuchen nicht zuzugeben. Conraths fordert stattdessen, Wissenschaftler mehr in die Risikobewertung einzubeziehen. Auch die EU-Vorschriften zum Seuchenschutz aus dem Jahr 2004 seien unsystematisch und unzureichend, so die Einschätzung des Institutsleiters: „Es besteht dringender Handlungsbedarf.“ Jana Haase
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