Vogelbeobachtung in Potsdam und Brandenburg: „Die Störche waren zu spät hier“
Die Zugvögel machen sich auf den Weg Richtung Süden. Vogelkundler Manfred Pohl verrät im Interview, wo man sie in der Region am besten beobachten kann – und erklärt das „allerschlechteste Storchenjahr überhaupt“.
Stand:
Herr Pohl, in den ländlicheren Gebieten Potsdams sind demnächst wieder Schwärme von Zugvögeln zu sehen. Welche Zugvögel kann man hier überhaupt beobachten?
Das ist eine riesengroße Palette! Einmal sind es die Tiere, die uns im Frühjahr aus den afrikanischen Winterquartieren erreichen und nun wieder zurückfliegen. Darunter zum Beispiel jede Menge Sperlingsvögel wie die Lerchen, Schwalben, Pieper und Stelzen. Dann die Drosselvögel, darunter auch die Nachtigall, Kehlchen, Rotschwänze und Steinschmätzer. Außerdem Rohrsänger, Laubsänger, Schnäpper und Würger, Grasmücken ...
Grasmücken?
Ja, das ist eine Singvogelart, davon gibt es sogar fünf verschiedene in unseren Breiten. Außerdem gibt es die Vögel, die von den Tundragebieten in Sibirien oder aus Skandinavien durchziehen auf ihrem Weg in Richtung Süden: Die Nordischen Gänse, also Saatgänse und Blessgänse, oder die Limikolen – dazu gehören zum Beispiel die Schnepfen und Regenpfeifer.
Ganz schön schwierig, da den Überblick zu behalten!
Nicht alle Zugvögel ziehen gleichzeitig. Die Mauersegler zum Beispiel sind schon Anfang August wieder verschwunden, die Schwalben sind zum Teil noch da. Die machen sich erst im September, Anfang Oktober auf den Heimweg. Auch die Vögel aus dem Norden und Nordosten erwarten wir erst noch.
Wovon hängt die „Abflugzeit“ denn ab?
Das hat mit den Witterungsumständen zu tun. Irgendwann wird es kühler und windiger, dann gibt es für die Tiere nicht mehr das Nahrungsangebot – zum Beispiel die riesengroßen Mückenschwärme in den skandinavischen Landstrichen. Innerhalb kürzester Zeit sind die Vögel dann unterwegs mit ihren Jungen in wärmere Gegenden ans Mittelmeer, nach Afrika oder Indien. Bei uns landen sie zwischen, um sich Fettreserven für den langen Zug anzufressen. Aber noch haben wir zum Beispiel in Moskau milde Temperaturen – bei uns ist es kälter. Da haben die Vögel noch keine Eile.
Wo kann man das Schauspiel in Potsdam am besten beobachten?
In Potsdam selbst kann man Zugvögel nur überfliegend in den typischen Keilformationen sehen. Weitläufige Flachgewässer gibt es nicht – die Zugvögel brauchen ringsherum auch Felder mit Maisrückständen oder Raps, zum Fressen. Am Heiligen See oder am Jungfernsee ist das nicht zu finden.
Und wo sind gute Vogelbeobachtungsorte in der Region?
Mit unserer ornithologischen Fachgruppe vom Naturschutzbund sind wir zum Beispiel im Südwesten auf einer Route von Saarmund über Tremsdorf, dann zum Schiasser See und dem Grössinsee bis zum Blankensee. Dort am Steg kann man um die Mittagszeit Tausende von einfallenden Gänsen beobachten. Wunderschön sehen kann man die Zugvögel auch in den Ungeheuerweisen rund um den Blankensee herum oder in der Nuthe-Nieplitz-Niederung. Dann gibt es noch den Vogelbeobachtungsturm in Stangenhagen und auf den Körziner Wiesen. Ein Klassiker im Nordwesten ist natürlich der Gülper See nördlich von Rathenow – da kann man Gänse ohne Ende sehen. Im Spätherbst, wenn der Kranichzug beginnt, sind die Linumer Teiche ein wichtiger Beobachtungspunkt.
Welche Tageszeit empfiehlt sich für den Vogel-Ausflug?
Am Blankensee machen die Vögel zur Spätvormittagszeit zum Wassern, also zum Trinken, halt. Gegen halb elf, elf Uhr fallen sie dort in riesengroßen Trupps ein. Wenn man es zeitlich einrichten kann, sollten man lieber in der Woche zum Beobachten kommen. Denn am Wochenende sind sehr viele Leute unterwegs.
Wie verhalte ich mich als Vogelbeobachter richtig?
Man stellt sich im Prinzip einfach bloß hin, verhält sich ruhig und kann dann die spektakulären Anflüge beobachten.
Was ist daran so spektakulär?
Wenn die Gänseschwärme beim Einfliegen nach rechts und links schaukeln. Das gibt dann Fluggeräusche, das klingt wie Peitschenhiebe – sehr beeindruckend! Es kann aber auch sein, dass ein Seeadler auftaucht, um das Gebiet abzusuchen. Die Gänse stellen immer eine Abordnung, die hat die Aufgabe, Gefahren abzuwenden. Sobald eine Gans den Seeadler sieht, steigen 700, 800 Gänse gleichzeitig nach oben und streichen ab. Wir haben neulich am Strengensee einen verzweifelten Kampf zwischen einem Seeadler und einer Gans beobachten können. Als Vogelfreund freut man sich auch über besonders seltene Vögel: zum Beispiel die Rohrdommel. Die sieht man nur ein-, zweimal im Jahr. Im Volksmund heißt sie auch Mohrochse.
Einer der bekanntesten Zugvögel ist ja der Storch. Wie steht es um die Potsdamer Störche?
Wir hatten jetzt das allerschlechteste Storchenjahr überhaupt.
Inwiefern?
Wir hatten an den 13 Horsten im Potsdamer Stadtgebiet sonst um die 20 Jungen. In diesem Jahr waren es nur sechs Jungen.
Woran lag das?
Das liegt einfach daran, dass die Störche es nicht geschafft hatten, bis Ende März, Anfang April hier zu sein. Nur in Grube war das Paar am 16. und 18. März da. Alle Vögel, die sich mehr Zeit genommen haben, waren zu spät für die Familienplanung – sie mussten zum ersten September aufbrechen mit der Thermik Richtung Südafrika.
Aber wieso waren die Störche erst so spät hier?
Wenn Sie sich erinnern – es gab bis Ende April ständig nördliche Winde. Da die Störche Segler sind, konnten sie nicht die Kraft aufbringen, um rechtzeitig hier zu sein. In Drewitz zum Beispiel hatte das Weibchen erst zum 30. April hergefunden. Das Paar hat dann noch angefangen mit der Brut. Aber dann gab es diese lange Hitzeperiode, bei der die Nahrung fehlte – es gab keine Regenwürmer. Dann wiederum anderthalb Tage Dauerregen, sodass Wasser in den Nestern steht. Dann können Junge regelrecht ersaufen, wenn die Eltern sie hudern, also wärmen, wollen. Wenn die Störche irgendwann merken, dass sie die Aufzucht ihrer Jungen nicht mehr schaffen werden bis zum Abflug in den Süden, schmeißen sie die Jungstörche aus dem Nest. In diesem Jahr haben uns nur sechs flügge Junge verlassen. Das ist auch ein Ausdruck, eine Folge des Klimawandels.
Sie sind für den Naturschutzbund der Betreuer der Weißstörche, die als bedrohte Großvogelart gelten. Können Sie bei Entwicklungen wie in diesem Jahr eingreifen?
Nein. Wir notieren nur genau, wann die Störche kommen und wann sie wieder abfliegen, wann sie mit der Reproduktion beginnen oder eben wann Junge schlüpfen.
Das Gespräch führte Jana Haase
ZUR PERSON: Manfred Pohl, 62 Jahre, leitet seit 2005 die Fachgruppe Ornithologie beim Kreisverband des Nabu. Der Ingenieur für Transporttriebtechnik ist seit 2003 Betreuer des Weißstorchs.
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