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Homepage: Die verbotenen Baracken

Campus am Griebnitzsee: Forschungsprojekt soll die Geschichte des Uni-Standorts aufarbeiten

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Campus am Griebnitzsee: Forschungsprojekt soll die Geschichte des Uni-Standorts aufarbeiten Von Juliane Wedemeyer Wo heute die Mülltonnen der Babelsberger Studentenwohnheime stehen, wurde Christel Wittenberg geboren – 1936 im Eisenbahnerhäuschen direkt neben dem Gelände des Deutschen Roten Kreuzes am Griebnitzsee. Drei Jahre später entstand hier am DRK-Hauptlager der Sitz des Präsidiums – auf Wunsch von Adolf Hitler. Gebaut haben das Präsidialgebäude der DRK Kriegsgefangene aus Frankreich und den Niederlanden. Nachbarskind Christel spielte damals zwischen ihren Baracken. Mit den Kriegsgefangenen hat sich die Tochter des Eisenbahners und einer DRK-Angestellten gut verstanden: „Manchmal haben sie mir Schokolade zugesteckt!“ Zum Lager der Kriegsgefangenen habe das Mädchen freien Zugang gehabt, aber eines sei immer verboten gewesen: „In die Außenstelle des Konzentrationslagers Sachsenhausen durften wir nicht.“ Durch den Zaun habe sie „die Blauweißgestreiften“ gesehen und sich gewundert. Erst später sei ihr klar geworden, dass es sich um KZ-Häftlinge gehandelt haben muss. Während des Zweiten Weltkriegs, von 1944 bis 1945, haben sie für die Tiefbaufirma „Polensky und Zöllner“ auf dem Areal der heutigen Universität einen mehrstöckigen Bunker gebaut – zum Schutz der DRK-Mitarbeiter und der Bevölkerung aus der Umgebung. Heute erinnert eine Gedenktafel vor der Universitätsbibliothek an die rund 100 Inhaftierten des „Außenkommandos Griebnitzsee“. Ein Gemeinschaftsprojekt vom Verein „Freundinnen des Deutschen Sachsenhausenkomitees“ (FdDSk), des Linksbündnisses „Madstop“ und des Studierendenausschuss (AStA) der Universität Potsdam. Noch ist die Tafel eher ein schlichtes Hinweisschild – ein mittlerweile ziemlich ramponiertes. Das Regenwasser hat die weiß lackierten Pappe von den Holzständern gelöst und an der oberen Kante fehlt ein Stück. Im April dieses Jahres hatten Potsdamer Studenten die Tafel zur Erinnerung an die KZ-Häftlinge des Außenkommandos Griebnitzsee aufgestellt. Dabei war ihnen die Ecke abgebrochen. Als „provisorische Erinnerungsaufforderung“, hatte die Hochschulleitung im April die Tafel genehmigt. Auf Dauer sollte den Opfern der Babelsberger Außenstelle des KZ Sachsenhausen „ein angemessenes und würdiges Gedächtnis bereitet werden“, so Hochschulsprecherin Barbara Eckardt. Zuvor will die Universität aber die Geschichte des Campus am Griebnitzsee erforschen. Ab September leitet Professor Jürgen Angelow ein Geschichtsprojekt, das die Vergangenheit aller Uni-Standorte aufarbeiten soll. Neben dem Standort am Neuen Palais und in Golm will Angelow auch die Historie des Babelsberger Campus beleuchten – die Zeit des Nationalsozialismus und der DDR-Diktatur, als hier die Akademie für Staats- und Rechtswissen eingezogen war. Von Interesse ist die Baugeschichte, die Infrastruktur und wie das gesellschaftliche Umfeld organisiert war. Gab es beispielsweise während des Nationalsozialismus einen Mitarbeiter-Kindergarten? Angelow interessiert sich auch für „die Lebenswirklichkeit der Menschen“. Er will herausfinden, welchen Anspruch die Menschen damals an die Gesellschaft und ihr Leben hatten und wie dieser sich zur Realität stellte. Nun sollen Studenten Zeitzeugen befragen. Die Ergebnisse der Interviews werden dann mit den Fakten aus den Archiven verglichen. Angelows Projekt ist nicht das erste, das sich mit der Vergangenheit des Babelsberger Hochschulgeländes beschäftigt. Schon 1996 hatte die studentische Projektgruppe „Präsidialgebäude des DRK 1938 bis 1945“ unter der Leitung von Markus Wicke eine Chronik zur Bau- und Nutzungsgeschichte erstellt. Aus dieser Arbeit geht bereits hervor, dass auf dem heutigen Hochschulgelände Kriegsgefangene beschäftigt wurden. Dass sich hier eine KZ–Außenstelle befand, wusste Wicke allerdings nicht. Erst die Potsdamer Historikerin Almuth Püschel fand 1998 bei Recherchen zu ihrem Buch „Zwangsarbeit in Potsdam“ heraus, dass es das Außenkommando gegeben haben muss. Durch Zufall war sie auf einen Lieferschein über Kohlen für das Außenkommando gestoßen. Beim DRK erfuhr man erst diesen April aus der Presse vom „Außenkommando Griebnitzsee“, so Sprecher Frederik Barkenhammer. Sofort habe sein Kollege beim AStA angerufen, weil man die Gedenktafel sehr begrüße. Für das geplante Forschungsprojekt der Universität will das DRK seine „Archive öffnen“. Christel Wittenberg musste 1965 nach dem Mauerbau ihr Elternhaus in der Nachbarschaft zum ehemaligen DRK-Gelände verlassen: „Hier durfte niemand hin, hier war überall Grenzgebiet zu Westberlin.“ Die Eisenbahnertochter wohnt seitdem in Drewitz. Den Ort ihrer Kindheit hat sie erst nach der Wende wiedergesehen. Ihr Geburtshaus war in der Zwischenzeit abgerissen worden.

Juliane Wedemeyer

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