
© Andreas Klaer
Homepage: „Die Vision passte auf ein Stück Papier“
Rolf Mitzner, der Gründungsrektor der Universität Potsdam, über seine Zeit an der Hochschulspitze, die Schwierigkeiten der ersten Uni-Jahre und ungeliebte „Altlasten“ in Golm und Griebnitzsee
Stand:
Herr Mitzner, am 15. Juli 1991 wurde die Universität Potsdam formell gegründet, Sie waren der Gründungsrektor. Wie erinnern Sie sich an den Tag?
Ein harmloser Tag. Ich bin ins Ministerium gegangen und habe eine Urkunde bekommen. Ganz unprätentiös. Meine Frau war die einzige, die unten im Foyer auf mich gewartet hat.
Später haben Sie gesagt, dass ihnen die Zusage für das Rektoramt leicht gefallen sei: Sie hätten ja 30 Jahre Zeit gehabt, zu überlegen, wie eine Uni aussehen soll. Was war Ihre Vision für die Uni Potsdam?
Meine Vision passte auf ein Stück Papier, ich hatte mir die Zahlen notiert: 250 Professoren, 16000 Studenten und etwa 1200 wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Angehörige. Das Wichtigste für mich war die Zusammenarbeit mit den außeruniversitären Instituten.
Sie meinen die Nachfolger der Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften der DDR.
Da gab es den Forschungsbereich „Physik der Erde“, aus dem unter anderem das Geoforschungszentrum hervorgegangen ist, die Polymerforschung in Teltow, die Astrophysik oder das Ernährungsinstitut. Zur Vision gehörte für mich auch der Standort Potsdam: Die Stadt liegt wunderbar, dicht bei Berlin, aber nicht in Berlin.
Die Uni Potsdam war bekanntlich keine Gründung auf der „grünen Wiese“. Mit der Pädagogischen Hochschule gab es eine Vorgängerstruktur. Wie groß war Ihr Gestaltungsspielraum überhaupt?
Verhältnismäßig groß, auch wenn die „Morgengaben“ Golm und Griebnitzsee nicht gerade das waren, was man sich gewünscht hat.
Es hat Sie geärgert, dass die frühere Juristische Hochschule der DDR-Staatssicherheit in Golm und die Akademie für Staat und Recht mit zur Uni gekommen sind?
Bei Golm konnte man nichts machen. Die Staatssicherheitseinrichtung wurde bereits unter der Übergangsregierung Lothar de Maizière aufgelöst, weit vor der Uni-Gründung. Das Gelände ist der Pädagogischen Hochschule zugeschlagen worden. Allerdings mit dem Pferdefuß: Wir mussten das technische Personal übernehmen - die Studenten und Professoren Gott sei Dank nicht. Aber auch ein Tontechniker kann Abhörspezialist sein.
Die Kollegen haben Ihnen Bauchschmerzen bereitet?
In ein, zwei Fällen, ja. Wenn ein Heizer Oberstleutnant ist, dann ist das verdächtig. Aber das hat sich eigentlich von allein erledigt. Eine Arabeske dieser Zeit: Ich war eine Woche lang der Vermieter für diese Professoren in Golm. Dann habe ich die Wohnsiedlung dem Finanzministerium angedreht. Genau wie die 20 Ferienobjekte, die die Stasi-Hochschule in der ganzen DDR hatte - von der Ostsee bis nach Thüringen. Nicht, dass wir keine Ferienobjekte haben wollten. Aber da hingen etwa 60 Personalstellen dran.
Wie sah es bei der Partei-Kaderschmiede in Griebnitzsee aus?
Dass die Akademie für Staat und Recht auch zur Uni sollte, stand erst vier Wochen vor der Gründung fest. Es war relativ klar, dass der größte Teil der Lehrkräfte gehen musste. Drei oder vier Professoren sind geblieben. Den anderen durfte ich die Entlassung unter wüsten Beschimpfungen - nicht meinerseits - überreichen.
Sie waren bereits seit dem Wendeherbst gewählter Rektor der Pädagogischen Hochschule, die später Landeshochschule wurde. Was waren die wichtigsten Schritte auf dem Weg zur Universität?
Erstens musste den Studenten ein anständiger Abschluss ermöglicht werden, damit sie überhaupt eine Chance hatten. Das war insofern kompliziert, als wir ergänzende Studien und Personal brauchten: Die fachliche Ausbildung und die Fachdidaktik an der Pädagogischen Hochschule war zwar sehr gut, aber die allgemeine Pädagogik und alles, was irgendwie ideologiebeeinflusst war, war natürlich unbrauchbar. Zweitens mussten belastete Wissenschaftler und Mitarbeiter entlassen werden. Und dann mussten auch die materiellen und personellen Ressourcen der Region für die Universität gesichert werden.
Was waren die größten Hürden?
Die Erneuerung oder Bestätigung des Personals war zeitraubend. Das hat gleich 1989, Anfang 1990 angefangen. Da haben wir in jeder Fachrichtung Kommissionen gebildet und die Professoren nach politischen, aber auch fachlichen Gesichtspunkten beurteilt. Schwer in Gang gekommen ist die Stasi-Überprüfung, auf die wir schon früh gedrungen hatten. Es hat drei Jahre gedauert, bis die Prüfung kam - und sie war dann auch nicht so schrecklich ergiebig.
Wie sah das Ergebnis aus?
Es gab etwa 20 belastete Mitarbeiter. Die mussten gehen - bis auf seltene Fälle. Ich erinnere mich an einen Mitarbeiter: Er hatte zwar eine Verpflichtungserklärung bei der Stasi unterschrieben, einen Monat später hatte die Stasi aber festgestellt, dass er sich zu dämlich anstellte.
Noch im Oktober 1993 beschrieb die FAZ die Uni Potsdam als „Hohe Schule der Partei-Senioren“.
Zu Unrecht. Ich war so weit weg von der Partei, wie man nur sein konnte.
Traf das auch auf die anderen Mitarbeiter zu?
Eigentlich ja. An der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät, von der alle Veränderungen ausgegangen waren, waren 70 Prozent nicht in der Partei gewesen. Ideologisch belastete Kollegen aus anderen Fächern sind entlassen worden: In Geschichte oder Marxismus-Leninismus mussten praktisch alle gehen.
In Brandenburg ist der Umgang mit Funktionsträgern des DDR-Regimes nach der Wende derzeit wieder heißes Thema. Sollte sich die Enquete-Kommission auch mit der Hochschullandschaft befassen?
Ich hätte nichts dagegen. Es gibt meines Erachtens aber auch keinen Bedarf.
In der Anfangszeit der Universität kamen viele Forscher aus den alten Bundesländern nach Potsdam. Zwischen den Kollegen aus Ost und West muss es geknirscht haben?
Nein. Das Verhältnis ist eigentlich von beiden Seiten als entspannt gesehen worden. Es gab nie irgendwelche Anfeindungen - ich kenne nur einen Fall, in dem wir einem neuen Mitarbeiter aus dem Westen während der Probezeit gekündigt haben, auch, weil sein Verhältnis zu den Ost-Mitarbeitern gar nicht ging. Mich hat eher erstaunt, wie viele Westkontakte es noch gab. Da tauchte jemand auf, der in Potsdam studiert hatte und jetzt einen Lehrstuhl in Münster hatte. Oder ein Wissenschaftler aus Erlangen, den wir auf einer Konferenz kennen gelernt hatten. So konnten wir die Lücken im Lehrbetrieb gut schließen.
Bei einem Forschungs-Ranking des „Focus“ unter 62 deutschen Universitäten 1993 landete Potsdam aber auf dem letzten Platz.
Das war kein Wunder. Die Qualität der Forschung ist im Wesentlichen eine Frage des Geldes - damals hatten wir noch kein hohes Drittmittelaufkommen. Außerdem lief die Zusammenarbeit mit den außeruniversitären Forschungsinstituten noch nicht so gut.
Was hätte im Rückblick auf 20 Jahre Universität Potsdam besser laufen können, was war gut?
Das meiste war schon gut. Wichtig ist immer das Geld. Es geht ja nicht darum, dass man mehr vor sich hinforscht. Aber die Beziehungen zwischen den Instituten und der Universität sind heute nicht optimal, weil sie nicht auf gleichem Niveau forschen können. Auch die Anbindung zwischen den einzelnen Universitätsteilen ist nur ausreichend.
Sie meinen die Bahnverbindung von Golm nach Griebnitzsee?
Ja. Es gab eine Zeit, in der wir als Uni darüber nachgedacht haben, selbst einen Shuttle einzurichten. Aber das wäre zu teuer gewesen.
Bereiten Ihnen die momentan in Brandenburg geplanten Millionen-Kürzungen im Wissenschaftsbereich Sorgen?
Ja. Ich bin sicher, dass trotz aller Demografie die Zahl der Studenten noch weiter steigen wird - aber der Sparzwang wirkt sich vor allem auf die Lehre aus. Denn was man sofort machen kann, ist, freigewordene Lehrstühle nicht nachzubesetzen, studentische Hilfskräfte nicht mehr zu bezahlen und Lehraufträge nicht zu verlängern. Alles andere steht in den Sternen. Wenn Sie heute einen Studiengang einstellen, dann wirkt sich das finanziell vielleicht in zehn Jahren aus.
Die Universität Potsdam steht vor der Wahl zum vierten Präsidenten. Was würden Sie der neuen Hochschulleitung mit auf den Weg geben?
Sie soll erst einmal das vollenden, was Sabine Kunst angestoßen hat: Die Zusammenarbeit im Forschungsverbund „Pearls“. Das muss mehr als nur ein Name werden.
Haben Sie jemals bereut, sich für das Rektorat entschieden zu haben?
Nein. Wissen Sie, es wird häufig so getan, als ob ich die Universität gegründet habe. Aber das haben damals wir alle gemacht.
Das Gespräch führte Jana Haase
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