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Landeshauptstadt: Die Zeit drängt

Die Stadt muss bald wieder den Eichenprozessionsspinner bekämpfen, doch Bund und Land streiten über das richtige Gift

Von
  • Matthias Matern
  • Katharina Wiechers

Stand:

Rund 20 000 Eichen stehen an Potsdams Straßen, auf Grünflächen, Spielplätzen oder Friedhöfen. Ganze 5 000, also jeder vierte Baum, waren im vergangenen Jahr von den gefährlichen Raupen des Eichenprozessionsspinners befallen. Hinzu kommen noch mehr als 8 000 Eichen in den Parks rund um die Schlösser. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass das Absaugen der Tiere an jedem einzelnen Baum zu aufwendig ist und einem Kampf gegen Windmühlen gleicht. Deshalb will die Stadt nun das umstrittene Insektizid Dipel ES einsetzen, doch offenbar verhindert ein Streit zwischen Bund und Land, dass dies in die Wege geleitet werden kann.

So gibt es nach Aussage von Potsdams CDU-Chefin Katherina Reiche, die gleichzeitig Staatssekretärin im CDU-geführten Bundesumweltministerium ist, eine neue Notfallverordnung, die am 14. März von mehreren zuständigen Bundesbehörden erlassen worden ist. Diese erlaubt es laut Reiche künftig auch waldreiche Flächen wie den Park Sanssouci oder den Park Babelsberg bei Befall durch die Raupen des Nachtfalters mit Dipel ES aus der Luft zu besprühen. Das Konzept soll am heutigen Mittwoch in Berlin vorgestellt werden. Brandenburgs Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger (SPD) wirft dem Bund indes vor, dass eine wirksame Bekämpfung nicht genehmigt werde. Von einer Notfallverordnung wollte er am Dienstag nichts gehört haben.

Doch die Zeit drängt. Denn schon Ende April oder Anfang Mai schlüpfen die Schmetterlingsraupen und krabbeln in die Kronen der Eichen. Dort fressen sie ganze Bestände kahl. Gefürchtet sind die Raupen aber vor allem wegen ihrer giftigen Brennhaare, die bei Menschen auch im vertrockneten Zustand noch toxische Haut- und Schleimhautreizungen bis hin zu schweren Asthmaanfällen hervorrufen.

Die Potsdamer Stadtverwaltung würde Dipel ES gerne einsetzen und es von unten – also nicht per Hubschrauber – auf die betroffenen Bäume sprühen, wie ein Sprecher sagte. „Aber wir wissen nicht, was wir dürfen.“ Die Stadt warte auf die Genehmigung vom Land, und diese wiederum auf jene vom Bund. Der Zeitdruck sei groß, betonte der Sprecher. Schließlich müsse die Besprühung erst ordentlich ausgeschrieben werden, bevor begonnen werden könne.

Auch die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG), die für die Bäume im Park Sanssouci, im Neuen Garten oder im Park Babelsberg zuständig ist, hofft auf eine neue Lösung. Die Bekämpfung müsse optimiert werden, sagte SPSG-Sprecher Ulrich Henze. Ob auch eine Besprühung von oben per Hubschrauber in Frage komme, sei noch nicht entschieden. „Das Vorgehen muss mit Bedacht gewählt werden, damit niemand gefährdet wird“, erklärte Henze. Gleichzeitig sei die Stiftung daran interessiert, die Parks nicht sperren zu müssen. „Wir prüfen sämtliche Optionen“, betonte Henze.

Nur 1320 befallene Eichen auf dem Gebiet der Schlösserstiftung konnten 2012 durch Absaugen von den Raupen befreit werden, wie aus einem Dokument der Schlösserstiftung hervorgeht. Im Vergleich zur Ausbreitung eine erschreckend geringe Zahl. Im Park Babelsberg waren 60 Prozent der 2448 Eichen befallen, in Park Sanssouci 70 Prozent der 5381 Bäume. Am schlimmsten war die Situation im Neuen Garten und auf dem Pfingstberg: Dort waren 2012 alle der 1993 Eichen befallen. Doch wegen der hohen Kosten und des großen Aufwands wurden nur die Bäume an den viel begangenen Wegen und Veranstaltungsflächen abgesaugt. 150 000 Euro gab die Stiftung allein dafür aus.

Wenn sich Bund und Land einigen, wäre noch in diesem Jahr auch in Potsdam ein Besprühen mit Dipel ES aus der Luft denkbar, zumindest in den Parks. Bislang war dies nur in Wäldern fernab der Städte möglich. Es gibt Bedenken, weil Dipel ES auch bei Menschen zu Hautreizungen führen kann (siehe Kasten). Doch offenbar sind die Fronten verhärtet. Während Vogelsänger eine Umwidmung von Flächen für unmöglich hält, fordert CDU-Politikerin Reiche ihn zum Handeln auf. Als positives Beispiel nannte sie Berlin. Dort gebe es bereits ein Konzept, das ihr Parteifreund, Gesundheitssenator Mario Czaja, heute vorstellen wird. Er setze bei der Bekämpfung auf das weitaus natürlichere Margosa.

HINTERGRUND

DIpel ES

Das Gift des Bacillus thuringiensis wirkt im Darm der Insektenlarven und wird über die Nahrung aufgenommen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) rät bei der Anwendung des Bakteriums das Tragen von Schutzkleidung, da Dipel ES bei Hautkontakt als reizend gilt. Das Mittel wird allerdings auch als giftig für andere Insekten eingestuft.

Dimilin

Dabei handelt es sich um einen Häutungshemmer, der auch über die Nahrung aufgenommen wird. Er verhindert, dass sich die Raupen weiterentwickeln. Das Mittel ist laut BVL auch für Fische giftig. Laut Landesumweltministerium bildet Dimilin krebserregende Stoffe aus. Das Betreten behandelter Flächen ist laut BVL frühestens nach 24 Stunden ratsam und auch dann nur in Schutzausrüstung.

Margosa

Der Wirkstoff Azadirachtin ist ein natürlicher Extrakt aus dem in den Tropen heimischen Niembaum. Wie Dipel ES und Dimilin wird auch Azadirachtin beim Fressen aufgenommen. Margosa führt laut des Instituts für Schädlingskunde bei den Raupen zu einem Fraßstop. Nach rund einer Woche sterben die Tiere ab. Für den Menschen ist Azadirachtin weitgehend ungefährlich. mat

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