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Retrospektive 50 Jahre Filmhochschule HFF: Studentenfilme von 1961-1990 im Rückblick bei den Sehsüchten
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Retrospektive 50 Jahre Filmhochschule HFF: Studentenfilme von 1961-1990 im Rückblick bei den Sehsüchten Von Dagmar Schnürer Was sich 1961 noch folgendermaßen anhörte: „Als du die Jacke im Westen gekauft hast, hast du uns alle beklaut und dich selbst auch“ konnte 1988 schließlich ganz anders klingen: „Hier im Osten, das geht nicht, dieser Zwang, das pack ich nicht.“ Zitate aus Studentenfilmen der Filmhochschule Babelsberg (HFF). Noch vor der Wende habe an der HFF das Tauwetter eingesetzt, erzählte Thomas Frick, ehemaliger Student. So durfte 1988 ein Dokumentarfilm über den Punker Michael entstehen und 1989 eine Dokumentation der Unruhen, die um den 7. Oktober (Vierzigjahrfeier der DDR) in Berlin ausbrachen. Dieses Jahr feiert die HFF ihr fünfzigjähriges Bestehen. Das ist der Anlass für die Retrospektive im Rahmen des Sehsüchte Festivals, die HFF-Studentenfilme aus den Jahren 1961-1993 zeigt. Zur ersten Staffel, „Wendepunkte und Ausblicke“, hatten sich knapp vierzig Leute im Thalia-Kino versammelt. Sorgte der Spielfilm „Sorgenkinder“ von 1961 (Regie: Helmut Nitschke) in seiner erzwungenen ideologischen Stromlinienförmigkeit, die Absurditäten produzierte, für permanente Lacher, so ließen die drei Dokumentarfilme aus den Jahren um die Wende die Zustände in der DDR auf beklemmende Weise lebendig werden. Nach der statischen distanzierten Kamera, dem Schwarz/Weiß und dem langsamen geordneten Erzählen von „Sorgenkinder“, knallte der Film über Punks in der DDR mit dröhnender Musik auf die Leinwand: „Aber wenn man so leben will wie ich?“ (Regie: Bernd Sahling, 1988). Bunte Bilder, Details, bewegte Kamera. Und sogar der Satz darf drin bleiben, den selbst der Punker Michael, dem das meiste egal ist, für gewagt hält: „Die geistige Unterjochung und so, das geht nicht – sag mal, könnt ihr das überhaupt drehen?“ Nur weniges ist Michael nicht egal: das Gefängnis, in das er nie wieder zurück will und die Ausreise, auf die er hofft. Im Westen könne er wenigstens sagen, was er wolle und in Ruhe krepieren, wenn er Lust dazu habe. Michaels Mutter erzählt, dass sie die Gleichgültigkeit ihres Sohnes verstehen könne. Das käme nicht nur aus ihm selbst, sondern auch aus dem, was er erlebt habe. Zuhause der Alkoholikervater und dann die DDR, wo „du getreten wirst, wenn du dich ein bisschen anders bewegst.“ Normalerweise reisen junge Leute, sie wollen sehen, wie es anderswo ist, aber Michael „lebt in einer Streichholzschachtel, das ist das Problem.“ Ein Jahr nach Beendigung des Filmes starb Michael an einer Überdosis, im Westen. Als im Juni 1990 die Mauer um Klein Glienicke, die Enklave vis-à-vis der HFF Villa, abgerissen wurde, drehte Beate Neumann einen Dokumentarfilm über die Frage, wie es war, von der Mauer eingeschlossen zu leben: „Im Schatten der Mauer“. Schatten gab es allerdings weniger, wie eine Anwohnerin erzählt. Nachts brauchte man kein Licht, um auf die Toilette zu gehen, der Scheinwerfer vom Wachturm strahlte aufs Haus. Die Nachbarn verfolgten alles recht wachsam und die Abschiedsfloskel „Ick hau dann mal ab“ wurde als Fluchtabsicht verstanden. Als alles vorbei war blieb die Zukunftsangst des 41-jährigen Grenzers. 22 Jahre Dienst, die Stasi hatte das Gehalt gezahlt, doch der Grenzer ist sich sicher, dass sein Gewissen unbelastet sein darf. Für Freunde und Bekannte ist er jedoch abgestempelt: „Traust du dich noch unters Volk?!“ Im seinem Dokumentarfilm „10 Tage im Oktober“ filmte Thomas Frick zusammen mit seiner damaligen Seminargruppe unter abenteuerlichen Bedingungen die Unruhen um die Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg. Er ließ Augenzeugen und Opfer der polizeilichen Gewalt erzählen. Er lauschte geduldig dem unglaublich verdrehten Amtsdeutsch, mit dem sich Oberstleutnant Kunst von der Berliner Volkspolizei durch seine Lügen wand. Der „aufgewiegelte Mob“ sei vom ZDF angeführt worden, sagte Kunst mehrmals. Als Kunst den fertigen und preisgekrönten Film nach der Wende bei den damaligen Studentenfilmtagen im Thalia-Kino sah, habe er nur noch gegrummelt, erinnerte sich Thomas Frick im Anschluss an die Filmvorführung. Mitten in den Schneidearbeiten habe der Mauerfall sie überrascht, erzählte er. „Es ist natürlich sehr demagogisch, wenn ich das heute betrachte. Die Guten singen Dona nobis und die Bösen prügeln.“ Doch Thomas Frick ist auch beeindruckt von diesem Werk, das er 1989 aus dem Bauch heraus produziert hatte. Und es zeigt durchaus auch die Nöte der mit Demonstrationen unerfahrenen und von Schauermärchen über gewalttätige Demonstranten scharfgemachte Volkspolizei. Der Film bleibt ein beeindruckendes packendes Zeitdokument.
Dagmar Schnürer
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