ORTSTERMIN: Digitale Binsenweisheiten
Vor 30 Jahren waren Computer für die Grünen noch Teufelszeug: Als 1985 ein Parteimitglied einen PC mit ins Fraktionsbüro brachte, stieß er nur auf Ablehnung – das Gerät würde Arbeitsplätze zersetzen, so die Kritik der grünen Freundinnen und Freunde.Heute ist die Partei weiter: „Digitale Bürgerrechte in Zeiten von NSA, Google & Co“ lautete der Titel der Diskussionsrunde, zu der die Grünen am Dienstag ins Potsdamer Hasso Plattner Institut (HPI) geladen hatten.
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Vor 30 Jahren waren Computer für die Grünen noch Teufelszeug: Als 1985 ein Parteimitglied einen PC mit ins Fraktionsbüro brachte, stieß er nur auf Ablehnung – das Gerät würde Arbeitsplätze zersetzen, so die Kritik der grünen Freundinnen und Freunde.
Heute ist die Partei weiter: „Digitale Bürgerrechte in Zeiten von NSA, Google & Co“ lautete der Titel der Diskussionsrunde, zu der die Grünen am Dienstag ins Potsdamer Hasso Plattner Institut (HPI) geladen hatten. Hier, wo Deutschlands Top-Informatiker ausgebildet werden, sollte ein Gedankenaustausch zwischen der ehemaligen Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne), HPI-Leiter Christoph Meinel und Internet-Aktivist Markus Beckedahl stattfinden. Im Publikum: knapp 100 meist männliche Informatik-Studenten, viele mit Brillen und aufgeklappten Laptops.
„Die Grünen sind von allen Parteien die seltensten Gäste hier“, so Meinel zum Auftakt. „Ich freue mich, sie hier gewissermaßen als Eisbrecher begrüßen zu dürfen, Frau Künast.“ Zunächst gibt es jedoch einen kleinen Vortrag – „damit wir alle auf dem gleichen Stand sind“, so Annalena Baerbock, Potsdamer Bundestagsabgeordnete der Grünen und Sprecherin für Klimapolitik. Es folgt eine Powerpoint-Präsentation inklusive eines Erklärbär-Videos, das anhand der Figur „Transparenza“ zeigt, was passiert, wenn man zu viele Daten von sich preisgibt. Ordentlich listet Baerbock alle kritischen Punkte auf, die mit der Digitalisierung einhergehen: Monetarisierung von Daten, Bestimmung der Kreditwürdigkeit anhand des Facebook-Profils, fragwürdige Geheimdienst-Praktiken. „Daten sind die neue Währung: Wenn ein Internet-Dienst kein Geld kostet, bezahlen wir mit unseren persönlichen Daten“, so die Grünen-Politikerin.
Alles richtig, aber für das Publikum kaum mehr als sattsam bekannte Binsenweisheiten. Es stellt sich die Frage, wer hier wem etwas erzählen will. Die anwesenden HPI-Studenten könnten den Podiums-Teilnehmern vermutlich mehr über digitale Bürgerrechte beibringen als umgekehrt. Eher hat es den Anschein, als wollten die Grünen der digitalen Jugend beweisen, dass sie up to date sind.
Künast jedenfalls lässt keinen Zweifel daran, dass sie ihr „1984“ gelesen hat: „Wenn wir die Bürgerrechte im Internet nicht genauso hochhalten wie in der analogen Welt, können wir uns gleich einsargen lassen. Sonst sind wir irgendwann an einem Punkt, wogegen George Orwell gar nichts ist.“ Beckedahl, stilecht mit schwarzem Pulli, Jeans und Mate-Flasche auf dem Beistelltisch, kann solchen Reden natürlich nur zustimmen: „Die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste ist kaum mehr als eine Demokratie-Simulation.“ Doch statt BND und Verfassungsschutz zu zügeln, bekämen diese sogar mehr Geld als vorher, so Beckedahl: „Die Geheimdienste haben die Snowden-Enthüllungen quasi als Machbarkeitsstudie verstanden, die zeigt, was für Technik sie auch noch brauchen, um nicht hinterherzuhinken.“
Im Grunde sind sich alle einig: Die Privatsphäre muss geschützt, der Datenschutz gestärkt, die Geheimdienste kontrolliert werden. Zum Schluss gibt es aber doch etwas Dissens: Angesprochen auf NSA-Enthüller Edward Snowden antwortet Meinel, er sehe Personen, die Daten an die Öffentlichkeit leaken würden, zwiespältig: „Wären dies alles private Versicherungsdaten gewesen, würden wir alle aufschreien. Ich will so etwas nicht heroisieren, denn es kann dadurch zu Nachahmern kommen, die dann private Daten verkaufen.“ Sowohl Künast als auch Beckedahl zeigten sich irritiert, dass der Informatik-Professor Snowden in die Nähe krimineller Daten-Diebe rückte: „Wir reden ja hier von einem Whistleblower“, korrigiert Künast und Beckedahl tadelt: „Das ist nicht das Gleiche! Snowden hat Zivilcourage bewiesen und unkontrollierte Geheimdienste und Regierungen aufgedeckt, die kalkulierten Verfassungsbruch begehen! Und direkt geleakt hat er die Daten ja auch nicht.“
Er habe das nicht gleichsetzen wollen, ruderte Meinel zurück: „Man muss aber bei der Beurteilung des Ganzen schauen.“ Möglicherweise haben die Grünen dem HPI-Chef an diesem Abend doch etwas voraus.
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