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Gut vernetzt. Für die jungen Generation ist der Umgang mit digitalen Medien heute eine Selbstverständlichkeit.

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Homepage: Digitale Flussfahrt

Die „MS Wissenschaft“ des Bundesforschungsministeriums liegt derzeit in Potsdam vor Anker

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Ein leichtes Schwanken ist am Eingang zu spüren. Nicht weil die Havelwellen das Schiff so sehr schaukeln. Vielmehr sind es die Sinne, die etwas arg strapaziert werden. Der Weg in den Bauch der MS Wissenschaft führt durch einen dunkles Entree in dem Leuchtstoffröhren kreuz und quer hängen, Kabel von hier nach da laufen, Schilder im Dunkel baumeln. Bei Berührung der Lampen gehen Lichter an: „Digitale Native“ ist auf einer Tafel zu lesen, womit eine Person gemeint ist, die nach 1980 geboren wurde und damit im Umfeld der Neuen Medien aufgewachsen ist. „Digitale Kluft“ steht daneben: Das bezeichnet die Lücke zwischen Menschen mit und ohne Zugang zu digitaler Kommunikation.

Das schwimmende Forschungszentrum „MS Wissenschaft“ des Bundesforschungsministeriums hat gerade seine Flussfahrt durch Deutschland begonnen. Bis Mittwochabend liegt es noch in Potsdam vor Anker. Thema ist in diesem Jahr die digitale Gesellschaft. Die Ausstellung erschließt sich schnell. Nach wenigen  Minuten weiß man beispielsweise, was „Augmentend Reality“ ist – nämlich die Erweiterung der Wahrnehmung durch computergenerierte Inhalte. Darauf gehen also die merkwürdigen Verrenkungen zurück, die Menschen beispielsweise beim Wii-Spielen vor dem Bildschirm machen. Oder wir erfahren, welches das häufigste verwendete Passwort weltweit ist: 123456. Das ist so einfach, dass es auch das schlechteste aller Passwörter überhaupt ist.

Womit wir beim Faktor Sicherheit wären. Das ist natürlich nach dem NSA-Abhörskandal, den massenhaft geknackten E-Mail-Accounts und den ewig wiederkehrenden Sicherheitslücken in gängigen Computersystemen eine der primären Fragen zur digitalen Gesellschaft. Wer kennt nicht das klamme Gefühl beim Online-Banking, E-Mail-Schreiben oder Internetshoppen, die Ahnung davon, dass wir mit unseren sensiblen Daten nicht wirklich alleine sind. Es müssen nicht unbedingt Kriminelle oder Geheimdienstler sein, die einem dabei über die Schulter schauen. Zum Thema verletzte Privatsphäre haben die Forscher des Fraunhofer-Instituts für sichere Informationstechnologie in Darmstadt (SIT) ein hübsches System auf das Forschungsschiff gestellt: einen Web-Tracker-Test. Damit können häufig genutzte Netzadresse darauf getestet werden, wie viele Unternehmen – sogenannte Tracker – beim Surfen unbemerkt mit dabei sind. Das Ergebnis überrascht. Bei Google sind es gerade mal vier, bei einer großen Berliner Tageszeitung bereits 16 und bei einem wichtigen deutschen Nachrichtenmagazin ganze 28!

Mit diesen Trackern können Unternehmen ganz einfach die Bewegung von Menschen im Internet ausspähen. Das erlaubt detaillierte Einblicke in das Konsumverhalten, in politische Einstellungen, die finanzielle Situation oder auch den Gesundheitszustand des Nutzers. Einmal etwas über Rückenschmerzen gegoogelt und schon verfolgen einen Kleinanzeigen zuPillen, Salben und Rückengymnastik. Die Fraunhofer-Forscher kommen zu dem Schluss, dass es besonders gefährlich für die Privatsphäre wird, wenn der Tracker beispielsweise ein soziales Netzwerk betreibt und die echte Identität des Benutzers mit den gesammelten Informationen in Beziehung setzen kann.

Das Thema Sicherheit hat auch das Potsdamer Hasso Plattner Institut (HPI) aufgegriffen. Professor Felix Naumann, Leiter des HPI-Fachgebiets Informationssysteme, nahm auf dem Schiff am Dienstag an der Podiumsdiskussion „Auf Schritt und Klick“ teil. Naumann will Internetnutzer dafür sensibilisieren, dass die technischen Möglichkeiten für Text- und Datenanalyse bereits weiter fortgeschritten sind, als viele das annehmen. Schon die Informationen aus einem Internet-Konto allein könnten manchmal mehr über eine Person verraten, als Laien vermuten. Zwar würden Verbraucher auch von dieser Technik profitieren, etwa bei der Spamerkennung oder gezielten Kaufberatung. „Jedoch muss das Augenmerk auch auf die Missbrauchsmöglichkeiten gelenkt werden“, so Naumann.

Wir sind also offenbar schon viel naher am Gläsernen Menschen dran, als wir denken. Da gibt es auf dem Schiff zum Beispiel auch ein System zur Gesichtserkennung. Man stellt sich davor und der Rechner analysiert Geschlecht und Alter. Ein kurzer Blick in die Kamera: 63 Jahre. Das ist dann doch etwas hoch gegriffen. Durch näheres Herangehen lässt sich das Alter immerhin knapp an den tatsächlichen Wert herunterregeln, allerdings nur ohne Brille. Beruhigend, das solche Systeme noch nicht voll ausgereift sind. Was allerdings nur eine Frage der Zeit ist.

An anderer Stelle erfährt man auf dem Schiff, dass die rund 40 Mails, die heutzutage im Durchschnitt von Büroangestellten täglich bearbeitet werden, am Ende der Woche gute zehn Stunden Arbeitszeit ausmachen. Oder dass 2,8 Milliarden Menschen weltweit Zugang zum Internet haben, also sechs von zehn Menschen ohne Netzzugang sind. Und wer schon immer mal hören wollte, wie es klingt, wenn zwei Neutronensterne miteinander verschmelzen, wird bei dem Exponat der Potsdamer Gravitationsphysiker fündig: Die haben aus dem Rauschen des Weltalls das entsprechende Gravitationswellensignal herausgefiltert: „Buuuuuuiiiiiiiieeeeeepp! Zugegeben, da hätte man etwas mehr erwartet.

Amüsant dann schließlich die Neuigkeiten vom „Internet der Dinge“. Was da heute alles via Smartphone erledigt werden kann. Die Hauspflanzen können einem mitteilen, wenn sie Durst haben, für Hunde und Katzen gibt es eine digitale Diät: je nach Bedarf bekommt Wuffi oder Mieze mehr oder weniger Futter zugeteilt. Der Höhepunkt der schönen neuen Welt ist dann die telepathische Nachhilfe für getrennte Liebespaare. Berührt man ein speziell entwickeltes digitales Armband, erhält der oder die Liebste in der Ferne positive Vibrationen auf die Haut.

Wem das alles zu digital wird, der kann sich auf dem Wissenschaftsdampfer auch mit dem guten alten Schlauchtelefon verständigen. Die anwesenden Schüler hat das allerdings nur kurz interessiert. Sie versammelten sich schnell ganz hinten im Schiff am digitalen Tischkicker. Wie von Geisterhand wird hier die gegnerische Mannschaft vom Rechner gesteuert. Schöne neue Welt.

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Das Hasso Plattner Institut Potsdam (HPI) ist mit an Bord, wenn das Ausstellungsschiff „MS Wissenschaft“ in den nächsten Wochen die Öffentlichkeit für das Wissenschaftsjahr der digitalen Gesellschaft interessieren soll. Wenn das Schiff vom 13. Mai bis 2. Juli die Städte Potsdam, Magdeburg, Dessau, Nienburg, Papenburg, Münster, Oberhausen, Duisburg und Bonn anläuft, bietet das HPI dort Innovationsworkshops für Jugendliche. Dabei sollen Schüler der Klassen 7 bis 9 mit der Methode des Design Thinking, die am Institut gelehrt wird, kreative Ideen für die digitale Kommunikation der Zukunft entwickeln. Gefragt sind ihre Visionen für die SMS des Jahres 2064. Die „MS Wissenschaft“ liegt heute noch am Yachthafen Potsdam, Kastanienallee, Höhe „Zeppelin-Apotheke“, geöffnet ist von

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