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Landeshauptstadt: Ein Pils für Bello

Zufriedene Kneipiers, wenig Ärger und mehr Sportzocker – wie die Euro 2008 Potsdams Stadtleben verändert

Stand:

Wenn Deutschland morgen gegen Portugal gewinnt, dürfte sich Dirk Harder nicht nur wegen des Sieges freuen. Denn für seinen chronisch klammen Lindenpark ist jedes Spiel der deutschen Nationalmannschaft Bargeld. Hinter dem soziokulturellen Zentrum in der Stahnsdorfer Straße hat Harder zwei Leinwände, Regenzelte, Tische, Bänke und einen Bierwagen aufgestellt – 500 Gäste schauten hier dem lahmen Kick der Deutschen gegen Österreich am Montag zu. Bei anderen Spielen waren es nur um die 100 Leute, erzählt der Lindenpark-Chef: „Manchmal mehr, manchmal weniger.“ Das Geschäft rechne sich trotzdem. „Wir hoffen, dass Deutschland sich durchstolpert – allein für uns“, sagt Harder.

Längst ist Fußball in Potsdam zum Wirtschaftsfaktor geworden. Davon profitiert auch Sebastian Greifenberg von der „Sandbar“ an der Neustädter Havelbucht: Wenn die deutsche Elf zum Spiel aufläuft, verdient er in gut zwei Stunden soviel wie sonst an einem ganzen Tag „mit gutem Wetter“, erzählt der Kneipier. Etwa anderthalb Fässer Bier und 80 Bratwürste gehen dabei in der ehemaligen „Seerose“ über den Tresen. Am Montagabend kamen 300 Gäste. Bereits eine halbe Stunde vor Spielbeginn war auf den Liegestühlen, Bänken und Korbsesseln kein Platz mehr. Doch schon kurz nach Schlusspfiff leerte sich die Bar – wenig Partylaune. Nur auf der Breiten Straße fuhren Fans in beflaggten Autos, hupend, bis spät in die Nacht.

Die Europameisterschaft 2008: Zwar freuen sich die Potsdamer. Aber die ganz große Begeisterung, wie noch zur Weltmeisterschaft vor zwei Jahren, ist bisher ausgeblieben. So gibt es auch nur eine Public Viewing-Area – mit Sondergenehmigung im Kutschstall am Neuen Markt. Auch das Kino UCI in den Bahnhofspassagen überträgt die Spiele kostenlos – vollbesetzt sei der 344-Plätze-Saal allerdings nur bei den Deutschlandspielen gewesen, sagt Theaterleiter René Pilz: „Bei anderen Spielen war es relativ dürftig.“ Das Angebot rechne sich für das Kino trotzdem: Dank des Bieres, das sich die Fans in der Halbzeit gönnen. Viele registrieren die fehlende EM-Euphorie. Auch Ömer Erol. Er hat einen Fernseher vor seinen XXL-Döner-Imbiss in der Brandenburger Straße gestellt, Gäste sitzen davor, trinken Bier. „Warum feiert hier keiner richtig", wunderte sich der Imbiss-Inhaber angesichts des eher lauen Deutschlandsjubels am Montag.

Auch Ordnungsamt und Polizei hatten bisher kaum etwas zu tun. Nirgends gab es Beschwerden wegen Lärmbelästigung, sagt eine Verwaltungs-Sprecherin. Die Polizei registriert nicht mehr Straftaten, etwa unter Alkoholeinfluss. „Wir sind auf mögliche Vorfälle vorbereitet, insbesondere an Spieltagen, an denen die deutsche Nationalmannschaft im Einsatz ist“, so Polizeisprecherin Angelika Christen. In der Nacht von Montag zu Dienstag zum Beispiel: 23.30 Uhr bemerkte ein Anwohner am Schilfhof zehn betrunken gröhlende Fans mit Deutschlandfahnen, die die Schilder einer Apotheke demolierten. Gegen einen 17-Jährigen wird nun wegen Sachbeschädigung ermittelt.

Alkoholfrei und trotzdem ein Verkaufsschlager war das „Schwanzwedler Hundebier“, wie eine Verkäuferin des Tierfutter-Marktes „Fressnapf“ in der Zeppelinstraße versichert. Die in Kronkorkenflaschen abgefüllte Rinderbrühe, die dort in der vergangenen Woche im Angebot war – die Flasche zu 1,99 Euro –, sei nach wenigen Tagen ausverkauft gewesen. Noch schneller waren nur Pfotenbänder und Halstuch in den Nationalfarben weg.

Und auch an anderen Stellen greifen die Potsdamer für die EM-Ausstattung gern in die Tasche. So verkaufen sich etwa die Fußball-Bären der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) „wirklich sehr gut“, wie Susanne von Hein, Galerieleiterin der KPM-Filiale in der Brandenburger Straße, sagt. Seit Beginn der EM habe sie 25 kickende Porzellanbären verkauft – bei Stückpreisen von bis zu 192 Euro. Am beliebtesten sei der Bär mit Matterhorn und Schweizer Fahne auf dem Bauch – ungeachtet des frühen Ausstiegs der Mannschaft beim Turnier.

So etwas wundert höchstens die Sportzocker unter den Potsdamern. Aber davon gibt es jetzt mehr als sonst, sagt Monika Genrich von Lotto Brandenburg GmbH: Die Zahl der Spielaufträge sei von 560 in einer normalen Bundesliga-Woche auf 651 gewachsen. Für die EM riskieren die Potsdamer offenbar auch höhere Einsätze: Die Wett-Umsätze seien um 44 Prozent gestiegen. Der Blick auf die Quoten gibt jedoch wenig Aufschluss über den Ausgang der morgigen Partie im Basler St. Jakob Park. Ob Deutschland oder Portugal der Sprung ins Halbfinale gelingt – gestern waren die Gewinnquoten noch exakt gleich hoch.

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