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Homepage: Ein Quantensprung

Am 11. März jährt sich die Unterzeichnung des preußischen Emanzipationsedikts zum 200. Mal

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Im allgemeinen Jubel des Friedrich-Jahres ist ein anderer wichtiger Jahrestag für Preußen bislang untergegangen. Am 11. März jährt sich die Unterzeichnung des preußischen Emanzipationsediktes zum 200. Mal. König Friedrich Wilhelm III. hatte damit verfügt, dass die in Preußen lebenden Juden zu Staatsbürgern wurden. Nach der eher diskriminierenden Behandlung der Juden durch Friedrich II., dessen Toleranzbegriff mehr im zweckmäßigen Erdulden als in der gesellschaftlichen Integration beheimatet war, war das Edikt von 1812 ein Quantensprung. Dem Edikt war eine jahrelange Diskussion um die Gleichstellung der Juden vorausgegangen, erste Reformbemühungen waren nach dem Tode Friedrich II. aufgekeimt.

Zwar war wirkliche Emanzipation auch durch das Edikt von 1812 noch nicht erreicht, das dauerte dann noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Irene A. Diekmann, die stellvertretende Direktorin des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ), sieht aber das Emanzipationsedikt als eine „Scheidegrenze“ für die Gleichberechtigung der Juden in Preußen. Die Juden sollten fortan nicht mehr als Fremde angesehen werden. „Das war eine umgreifende Änderung“, so Diekmann. Zusammen mit der Historikerin Bettina L. Götze hat sie nun ein Buch verfasst, das diesen Scheideweg anhand der jüdischen Familie Lesser aus Rathenow genauer betrachtet. Ab 11. März ist die gleichnamige Ausstellung „Vom Schutzjuden Levin zum Staatsbürger Lesser“ im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zu sehen.

Bereits 1808 waren die Juden durch die Städteordnung in die Kommunalverwaltung einbezogen worden. Als „Schutzjuden“ erhielten sie das aktive und passive Wahlrecht zu Ehrenämtern, konnten also Stadtrat oder Stadtverordneter werden. Voraussetzung dafür war allerdings, so wie bei christlichen Bürgern auch, dass sie Grundbesitz vorweisen konnten bzw. selbständig ein Gewerbe ausübten. „Schutzjuden“ standen gegen Bezahlung von Gebühren unter dem Schutz des Staates. In der Realität bedeutete dies, dass die wohlhabenderen Schutzjuden jedes Jahr teuer dafür bezahlen mussten, dass sie vor Verfolgung sicher waren. Sie zahlten für das bloße Aufenthaltsrecht. Im 16. Jahrhundert waren Juden auch aus dem protestantischen Brandenburg vertrieben worden, erst später durften sich einige wenige dort wieder ansiedeln. Der Großteil lebte verarmt und lediglich „geduldet“ in „Judengassen“.

Mit dem Edikt von 1812 erhielten dann die meisten der rund 30 000 damals in Preußen lebenden Juden den Status des Staatsbürgers. Damit wurden sie zu „Einländern“, wie es damals hieß. Hintergrund war, dass zur Überwindung der preußischen Staatskrise und den Wiederaufbau des Landes nach der verheerenden Niederlage im Kampf gegen Napoleon „alle Kräfte“ mobilisiert werden sollten. Durch das Edikt erhielten die Juden die gleichen bürgerlichen Rechte und Pflichten wie die anderen Staatsbürger, so wurde ihnen der Erwerb von Grundbesitz gestattet und der Zugang zu akademischen Lehr- und Schulämtern ebenso wie zu Gemeindeämtern ermöglicht. Zudem wurde die freie Ausübung der jüdischen Religion und des kulturellen Brauchtums nun garantiert.

Die beiden Historikerinnen verfolgen diese Entwicklung anhand der Familiengeschichte der Lessers. „Nichts ist für die Vermittlung besser als konkrete, biografische Spuren“, meint die Potsdamer Historikerin Diekmann. 1812 wird aus dem Rathenower Schutzjuden Jacob Levin der Staatsbürger Jacob Lesser. Das Buch nähert sich der Familie anhand von drei Protagonisten der Familie: Ludwig Lesser (1802-1867), dem Sohn von Jacob, der sich in Berlin unter dem Pseudonym L. Liber als Schriftsteller einen Namen machte. Dessen Sohn Richard Lesser (1839-1914), der Verleger wurde, was eine direkte Folge des Edikts von 1812 war, konnten doch nun die Juden auch andere Berufe ergreifen. Sie waren nicht mehr nur auf den Handelsbereich beschränkt. Und schließlich folgte der zweite Ludwig Lesser (1869-1957), der Sohn von Richard. Ludwig Lesser brachte es bis zum Präsident der Deutschen Gartenbaugesellschaft, bevor er vor den Nazis nach Schweden fliehen musste. Die Autorinnen zeigen, wie sich die Lebenswege der drei Lessers in die große Linie der deutsch-jüdischen Beziehungsgeschichte einfügen. Deutlich wird dabei vor allem auch, wie sie selbst Gestalter und Träger der Veränderungen wurden.

Warum die wirkliche Emanzipation nach dem Edikt von 1812 noch weitere hundert Jahre brauchte, erklärt sich unter anderem auch aus den Einschränkungen. So wurden etwa die Paragraphen 9 und 16 des Edikts eingeschränkt. Darin ging es um die Zulassung zu höheren Staatsämtern sowie zur Offizierslaufbahn. Dies wurde erst durch Verordnungen in der Folgezeit näher bestimmt: Juden erhielten vorerst keinen Zugang zu Offiziersrängen, Justiz- und Verwaltungsämtern, unterlagen aber der Wehrpflicht. Das Edikt war nach 1815 auch nicht in allen Teilen Preußens gültig.

Erst 1871 erlangte mit Gründung des Deutschen Reiches die Gleichstellung der Juden überall Gesetzeskraft. Und auch danach gab es heftigem Protest dagegen, in Berlin wurde einme Petition gegen die rechtliche und soziale Gleichstellung von Juden unterzeichnet. Dennoch bedeutete das Emanzipationsedikt von 1812 aus der Sicht der Historiker einen großen Schritt für Preußen, die rechtliche Lage der Juden war damit deutlich besser geworden als in den meisten südlichen und östlichen Nachbarregionen.

Den starken Patriotismus, den die preußischen Juden in der Folgezeit an den Tag legten, erklärt Diekmann damit, dass sie sich nun der Aufnahme in die Gesellschaft auch würdig zeigen wollten. Dass sie dennoch von der nicht-jüdische Bevölkerung offensichtlich nicht akzeptiert wurden, zeigte sich dann im Nationalsozialismus und dem Holocaust. Eine Ablehnung, die nicht einmal durch das Kriegsende wirklich gestoppt wurde. So berichten die beiden Autorinnen, dass Ludwig Lesser nach dem Krieg nicht wieder in die Gesellschaft für Gartenbau aufgenommen wurde. Lesser war gleich nach 1933 entlassen worden, und dann nach Schweden emigriert, wo er auch nach 1945 blieb. Immerhin erinnern an Ludwig Lesser heute in Potsdam eine nach ihm benannte Straße, in Berlin ein Ludwig-Lesser-Park und in Bad-Saarow eine Ludwig-Lesser-Promenade.

Irene A. Diekmann, / Bettina L. Götze: „Vom Schutzjuden Levin zum Staatsbürger Lesser – Das preußische Emanzipationsedikt von 1812“, 168 Seiten, ISBN: 978-3-942476-28-7

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