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Von Lene Zade: Eine Baumeisterin Israels

Mit einer Ausstellung würdigt das Moses Mendelssohn Zentrum das Wirken der Architektin Lotte Cohn

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1914 erhält „Herr Charlotte Cohn“ sein Zeugnis für die Diplom-Vorprüfung im Fach Architektur an der Technischen Hochschule Charlottenburg. Es sollte noch einige Jahre dauern, bis die universitäre Bürokratie sich darauf einstellte, dass auch Frauen studierten. Als letztes deutsches Land hatte Preußen 1909 Frauen erlaubt zu studieren. Lotte Cohn, die 1916 ihr Studium abschließt, ist die dritte Absolventin ihres Faches. Fünf Jahre später geht die 28-jährige Berlinerin nach Palästina, wo sie als erste graduierte Architektin des Landes bei dem angesehenen deutsch-jüdischen Architekten Richard Kauffmann als Assistentin zu arbeiten beginnt.

Ein halbes Jahrhundert prägt Lotte Cohn maßgeblich das architektonische Gesicht des späteren Staates Israel. So selbstverständlich ihre schnörkellosen, funktionalen Bauten zum Stadtbild von Tel Aviv und Jerusalem gehören, so schnell wurde die Baumeisterin der Moderne vergessen, denn Lotte Cohn, die 1983 starb, hat ihr bauliches Wirken kaum dokumentiert.

Die Potsdamer Architekturhistorikerin Ines Sonder vom Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) stieß in alten Architekturzeitschriften auf ihren Namen und begann, akribisch zu recherchieren. Inzwischen kann sie hundert Lotte-Cohn-Bauten nachweisen. Gut ein Drittel davon kann nun im Berliner Centrum Judaicum im Rahmen der Jüdischen Kulturtage betrachtet werden. Auf 24 knapp kommentierten Ausstellungstafeln, die durch einige anschauliche Dokumente in Vitrinen ergänzt sind, zeichnet sich die Entstehung der städtebaulichen Gegenwart aus der Kargheit des Landes ab. Die von ihr und ihren Kommilitonen heftig kritisierte verstaubte Universitätsausbildung ließ Lotte Cohn scheinbar übergangslos hinter sich. Gleich ihre ersten Entwürfe und Siedlungsplanungen weisen in die Zukunft, ihr 1926 entworfenes Kinderhaus wird ein Prototyp. Ihre Bauten erinnern in ihrer Funktionalität an das Bauhaus. Das wurde aber erst gegründet, als Lotte Cohn längst ihren Abschluss hatte, während in Weimar und Dessau eine Architekturphilosophie der Moderne entwickelt wurde, baute Lotte Cohn am anderen Ende Europas Kibbuzim, entwarf Mobiliar etwa für die National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem und eröffnete 1932 als erste Frau in Tel Aviv ein eigenes Architekturbüro.

Einige ihrer Bauten wurden berühmt durch ihre Bewohner, so zog Gershom Scholem 1936 in ein Cohn-Haus und lebte dort bis zu seinem Tod 1982. Die Pension „Kaete Dan“ (1932) wiederum war über lange Jahre eine renommierte Adresse für Feriengäste. Als nach Hitlers Machtübernahme in den 30er Jahren die fünfte Alija (Einwanderungswelle) einsetzt, entwirft Lotte Cohn Siedlungen für den sozialen Wohnungsbau und ab 1955 Elternheime für die Vereinigung der Einwanderer aus Mitteleuropa. Zu dem uvre der Architektin gehören auch einige Grabentwürfe. Unter anderem gestaltete Lotte Cohn 1958 das Grab von Richard Kauffmann, in dessen Büro ihre architektonische Karriere begonnen hatte.

Die Ausstellung zeigt eindrucksvoll, wie sich die politische Entwicklung Israels an den Häusern des Landes ablesen lässt – und welchen Beitrag eine junge Zionistin aus Deutschland dazu geleistet hat. Die Kuratorin Ines Sonder hat nicht nur einen Katalog mit einem Werkverzeichnis sämtlicher Bauten und Projekte Lotte Cohns vorgelegt, sondern auch eine Biografie der ersten Architektin Israels geschrieben, die noch in diesem Jahr erscheinen soll.

Die Ausstellung ist bis zum 18. Oktober im Centrum Judaicum Berlin, Oranienburger Straße 28-30 zu besichtigen. In englischer und hebräischer Sprache liegt der Katalog „Lotte Cohn – Pioneer Woman Architect in Israel“ mit über 350 Abbildungen vor. Für Oktober ist die Biografie „Lotte Cohn – Baumeisterin des Landes Israel“ von Ines Sonder im Jüdischen Verlag angekündigt.

Lene Zade

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