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Fälle Elias und Mohamed: 3. Prozesstag am Landgericht Potsdam: Eine Familie, die keine war

Der Prozess gegen den mutmaßlichen Kindermörder ging am Dienstag in Potsdam weiter. Zunächst sagten Zeugen aus dem Umfeld von Silvio S. aus - und gaben weitere Einblicke in seine schwierigen Familienverhältnisse. Die Aussage einer Vertrauten von Silvio S., Mutter zweier Mädchen, sorgte für Erstaunen im Gerichtssaal.

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Potsdam - Silvio S. hat gegenüber seiner Familie die Mord an Elias (4) und Mohamed (6) offenbar eingeräumt, allerdings ohne ins Detail zu gehen. Das ist am Dienstag, dem dritten Verhandlungstag vor dem Landgericht Potsdam im Mordprozess gegen S., bekannt geworden. Wie der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter erklärte, ließ die Staatsanwaltschaft Potsdam im vergangenen Jahr einen Brief des Angeklagten und mutmaßlichen Mörders von Elias und Mohamed beschlagnahmen. Silvio S. war Ende Oktober festgenommen worden. Auf Antrag von Staatsanwalt Peter Petersen, der die Anklage im Prozess vertritt, beschloss ein Ermittlungsrichter am Amtsgericht Potsdam am 8. Dezember 2015, dass eine Kopie des kurzen Briefes als Beweismittel sichergestellt werden soll. Der Ermittlungsrichter stufte die wenigen Zeilen als „geständnisgleiche Anmerkungen“ ein. Adressiert war das kurze Schreiben aus der Untersuchungshaft heraus an die Mutter von Silvio S.

Am Dienstag verlas Horstkötter den Brief. Demnach schrieb Silvio S.: „Hallo Familie, ich vermisse Euch sehr. Ich weiß, was ich Euch und auch anderen mit meinen Taten angetan habe. Ich würde mich aber über einen Besuch oder einen Brief sehr freuen. Euer Euch liebender Sohn, Bruder und Onkel.“

Gründe auch bei seiner Familie zu suchen

Auch am dritten Verhandlungstag ging es weiterhin vor allem um die Persönlichkeit des mutmaßlichen Kindermörders S., der auch an diesem Tag weiter schwieg. Bereits am Montag hatten Gartennachbarn, Jugendfreunde und sein ehemaliger Chef ausgesagt. Sie stellten Silvio S. als schüchternen, verschlossenen Außenseiter dar. Am Dienstag wurde deutlich, dass die Gründe für die mutmaßlich von ihm begangenen zwei Morde auch in seiner Familie zu suchen sind.

Der Freund der Schwester von Silvio S., ein 24-jähriger Schlosser, sagte, selbst bei ohnehin eher steifen Familienfeiern sei S. zurückhaltend gewesen. „Er lächelte meist und gab kurze, knappe Antworten“, sagte er. Wie ein „Mutti-Söhnchen“ sei S. ihm vorgekommen. Er habe keine eigenen Entscheidungen getroffen. Der Umgang mit Kindern der Schwester sei „irgendwie komisch“ gewesen.

"Er war ein Einzelgänger"

Mehr Zugang zu S. hatte ein ehemals langjähriger Freund der Schwester, Sebastian B. Er berichtete von einem lautstarken Streit mit dem Vater, S. sollte sein zugemülltes Zimmer aufräumen. Die Unordnung sei für einen jungen Mann auffällig gewesen, der Papierkorb mit benutzten Taschentüchern vollgestopft gewesen. Über Frauen habe man nicht gesprochen. „Er war ein Einzelgänger“, sagte der 36-Jährige. Gegenüber seiner gemeinsamen Tochter mit der Schwester von S., inzwischen zehn Jahre alt, habe sich S. normal verhalten, sie auch betreut und ihr Geschenke gemacht. Er könne gut mit Kindern umgehen, sie hätten keine Angst vor ihm gehabt: „Kinder lieben ihn.“

Der Spitzname von S. im Dorf sei, so der Zeuge, „Bärti“ oder auch „Schmökel“ gewesen. Woher letzterer Spitzname kam – Frank Schmökel machte in Brandenburg als Mörder und Vergewaltiger vor allem n den 1990-ern Schlagzeilen – konnte der Ex-Freund nicht sagen. Schmökel wurde im Dezember 2002 vom Landgericht Frankfurt (Oder) zu lebenslanger Haft mit Sicherheitsverwahrung verurteilt.

Zeuge: "Der Vater sagte, so findest du nie eine Freundin"

Mehrfach wischte sich S. während der Verhandlung Tränen aus den Augen, etwa als Knut M. den Zeugenstand verließ. M. war ein Jahr lang mit der Schwester von S. liiert und vier Wochen mit ihr verheiratet. Der 46-Jährige schilderte S. als verängstigt – wegen seines Vaters. Er berichtet von einer beklemmenden Stimmung in der Familie, von einer Vatertyrannei. „In Anwesenheit seines Vaters war er verängstigt, vom Vater her gab es nur Angefauche. Er hat ihn angebrüllt und getriezt. Es ging nur um sein Aussehen, um seinen Schlabberlook, seine fettigen Haare. Der Vater sagte, so findest du nie eine Freundin. Er hat nur gemeckert“, sagte M.

Wie es in der Familie S. zuging, schilderte auch Hannelore B. Sie zog 1981 mit ihrer Familie nach Kaltenborn, heute arbeitet sie als Saisonkraft in der Kartoffelernte. Silvio S. habe in ihrer Familie viel geholfen, habe das Bad gefliest oder den Boden der Hundehütte. Und er habe mit ihren Kindern gespielt, mit ihnen sei S. „sehr bombig“ ausgekommen. Bis 2006 hätten sie Kontakt zu Silvio S. gehabt, dann sei dieser abgebrochen. Bis dahin sei er oft bei ihnen vorbeigekommen, berichtete die Erntehelferin. „Er hätte sich aussprechen können“ – hat er nach ihrer Aussage aber nicht. „Probleme hat er nie großartig erzählt. Nur, dass er nicht viel Geld zur Verfügung hat und Kostgeld abgegeben muss“, er habe sich dennoch Verpflegung kaufen müssen, sagte die 59-Jährige. „Mir war das zu hoch, es sind doch immerhin die Eltern. Ich fand das nicht schön“, sagte sie. Sie hätte ihm gesagt, er solle sich eine Freundin suchen. Er habe erwidert: „Was soll ich damit, mein Geld kriege ich auch alleine alle.“ S. sei selbst wenn er geweint habe sehr verschlossen gewesen. „Da saß ihm was in der Seele fest. Man konnte aber nichts aus ihm herauskriegen“, sagte die Zeugin. Der Angeklagte habe mit dem Vater ständig Probleme gehabt. „Der war nicht gut zu ihm“, sagte Hannelore B.

Nachbar: Familie auffällig gefühlsarm

Auch ein Nachbar schilderte die Familie S. als eine, die eigentlich keine war. Jens L., 45, Maurer, seit 2002 in Kaltenborn, sagte, nach seinem Eindruck habe S. ein gutes Verhältnis zu seiner Mutter gehabt. Auch L. berichtete von Streit in der Familie und sagte: „Das war kein richtiges Verhältnis. Ich hatte das Gefühl, der Vater interessiert sich gar nicht für seinen Sohn.“ Auch jetzt, nachdem Silvio S. angeklagt ist, Elias und Mohamed umgebracht zu haben, nehme er die Familie als auffällig gefühlsarm wahr, sagte der Maurer. „Sie benehmen sich, als sei nichts passiert. Das kann ich nicht verstehen“, sagte L.

Vertraute oder Freunde hatte Silvio S. nur wenige. Eine von ihnen war Manuela B., 38, Hausfrau, die am Dienstag aussagte. Sie wohnte seit 1997 im selben Haus wie Familie S. Über Silvio S. sagte sie: „Er hat es nicht leicht gehabt zu Hause. Ich habe oben drüber gewohnt. Wenn der Vater nach Hause gekommen ist, dann war immer Bambule unten.“ Seine Mutter aber habe Silvio S. gemocht, „sie war sein Liebstes“. Häufig sei der heute 33-Jährige bei ihr gewesen. Wenn sie ihn gefragt habe, was zu Hause los sei, habe er geweint. Das habe ihm gut getan und seine Seele befreit. „Er wollte immer nicht nach Hause. Er ist bis in die frühen Morgenstunden geblieben.“

Ihre Tochter habe erzählt, dass sie sich auch geküsst hätten

S. habe auch ein gutes Verhältnis zu ihren Töchtern gehabt. An einer Stelle jedoch sorgte die Aussage der 38-Jährigen für Erstaunen im Gerichtssaal. Es ging darum, dass S. mit ihrer damals etwa neun Jahre alten Tochter „geschäkert“ habe – so die Aussage von B. bereits bei der Polizei. Sie habe selbst gesehen, dass beide auf der Bank saßen und Händchen gehalten haben. Ihre Tochter habe erzählt, dass sie sich auch geküsst hätten. Manuela B. aber gab nicht viel darauf. Ihre Tochter habe „immer mal wieder was erzählt. Ich habe vermutet, dass es nicht stimmt“. Staatsanwalt Petersen fragte Manuela B.: „Wenn Erwachsene mit Kindern Händchen halten oder küssen, ist das nicht etwas ungewöhnlich, zumal wenn keine verwandtschaftlichen Verhältnisse bestehen?“ B. antwortete kleinlaut: „Ja“.

Am Donnerstag kamen auch – von den PNN im Vorfeld publik gemachte – belastende Beweise gegen Silvio S. zur Sprache. Es geht um eine Trauerkarte. S. hat sie am 19. Juli, nachdem er Elias am Abend des 8. Juli im Potsdamer Stadtteil Schlaatz entführt hatte, an die Mutter des Jungen geschickt, allerdings ihren Familiennamen nur abgekürzt. Die Post schickte das Briefkuvert deshalb als unzustellbar an den Absender. Doch als solchen hatte S. die Anschrift eines Bestattungsunternehmens in Brandenburg/Havel angegeben.

Deren Inhaber, Bestattermeister Andreas D., 46, berichtete vor Gericht von der Trauerkarte, die im Briefkasten lag. Es war der 4. August 2015. Die Verbindung zum Fall Elias war offenkundig, D. ging zur Polizei. Verstörend ist, was Silvio S. auf die Trauerkarte schrieb. Auf der einen Seite stand: „In tiefer Trauer.“ Auf der anderen: „Um den verstorbenen Elias. In der Nacht vom 11. auf den 12. Juli zwischen 22 und 6. Todesursache Ersticken. Sorry.“

Bemerkenswert ist daran vor allem, dass die Anklage davon ausgeht, dass S. schon am 8. Juli noch in Potsdam – kurz nach der Entführung und nachdem er daran gescheitert war, Elias in seinem Auto sexuell zu missbrauchen – den Jungen ermordet haben soll. Wie berichtet hat die Trauerkarte die Polizei im Sommer 2015 nicht viel weiter gebracht. Nach den kriminaltechnischen Untersuchungen der Karte auf Schrift und DNA-Spuren gab es in den Datenbanken der Polizei keinen Treffer. Erst im Nachhinein konnte S. nachgewiesen werden, dass er die Karte geschrieben hat.

Mutter und Schwester von Mohamed sollen aussagen

Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt. Am Montag werden die Mutter und die Schwester des vierjährigen Mohamed als Zeugen gehört, ebenso ein Begleiter der Familie und eine Mitarbeiterin des Berliner Lageso. Dort soll S. den Jungen nach eigenem Geständnis entführt, später in seiner Wohnung sexuell missbraucht und am nächsten Morgen erdrosselt haben. Am Dienstag will das Gericht die drei Polizeibeamten vernehmen, die Ende Oktober als erste im Wohnort von S. in Kaltenborn waren, nachdem die Mutter von S. die Polizei verständigt hat.

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