Landeshauptstadt: Eine Fläche und ein Punkt pflegen Beziehungen
Dass Chinas Regierungschef Wen Jiabao Potsdam besucht, hat historischen Hintergrund – doch Brandenburg und China verbindet mehr
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Dass Chinas Regierungschef Wen Jiabao Potsdam besucht, hat historischen Hintergrund – doch Brandenburg und China verbindet mehr Von Sabine Schicketanz Chinesische Innenpolitik wird mit erhobenem Zeigefinger gemacht. Gleich mehrmals bedient sich Wen Jiabao, Regierungschef von 1,3 Milliarden Chinesen, dieser Geste, um seine ohnehin eindringlich klingenden Worte zu unterstreichen. Was Wen den Fernsehteams aus seinem Heimatland, die sich vor dem Schloss Cecilienhof aufgebaut haben, im Parteitagsstil verkündet, übersetzt eine zierliche Dolmetscherin mit adäquat zarter Stimme ins Deutsche. „Der gemeinsame Wunsch aller Chinesen, dass Taiwan wieder mit dem Festland vereinigt wird, wird mit Sicherheit in Erfüllung gehen. Das ist eine historische Notwendigkeit, die niemand verhindern kann.“ Ministerpräsident Matthias Platzeck und Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns, von zahllosen chinesischen Journalistinnen dicht an ihren Staatsgast gedrückt, verziehen während Wens Rede keine Miene. Schließlich, sagt Platzeck später, sei Cecilienhof dafür „natürlich wie geschaffen“. Im Rahmen des Potsdamer Abkommens einigten sich hier Großbritannien, die USA und China, das asiatische Land nach dem Zweiten Weltkrieg als „ein China“ zu vereinigen – wohl nicht ausdrücklich, aber doch inklusive Taiwan. So ist es quasi ebenso eine historische Notwendigkeit, dass Wen Jiabao bei seinem viertägigen Deutschland-Besuch an diesem Montag einen Abstecher zur Stätte des Potsdamer Abkommens macht. Eine pure Polit-Kulisse für den Chinesen bleibt Potsdam dennoch nicht. Es möge sich zwar „eigentümlich“ anhören, sagt Ministerpräsident Platzeck, aber Wen habe die Beziehungen zwischen Brandenburg und China ausgesprochen hervorgehoben – die Beziehungen zwischen „einer Fläche und einem Punkt auf der Landkarte“. Der fast schmächtig wirkende 61-Jährige, der „Chef eines Landes mit dem 500-fachen unserer Bevölkerung ist“, habe jede Facette der Zusammenarbeit gekannt – und derer gibt es angesichts des Größenunterschiedes überraschend viele: Verkehrstechnik, Landwirtschaft, Wasserbau, Biotechnologie, zählt Platzeck auf. Außerdem studierten 700 junge Chinesen an Brandenburger Hochschulen. „Und der Regierungschef hat mich eingeladen, zu Beginn des nächsten Jahres China zu besuchen um diese Wirtschaftsfelder weiter zu beackern.“ Nach der Schilderung des Ministerpräsidenten hat Wen die Einladung durchaus ernst gemeint. Denn dass der Chinese von Beruf Ingenieur ist, sei deutlich zu merken, hat Platzeck beobachtet: „Er war sehr akkurat und sehr direkt, da war nicht viel mit diplomatischen Formeln oder Floskeln.“ Allerdings auch nichts mit einem Vier-Augen-Gespräch der Staatsmänner. Das Protokoll der Brandenburger Staatskanzlei hatte schon vor Einfahrt des Konvois in den Neuen Garten, von oben überwacht durch einen Militärhubschrauber, einigermaßen ehrfurchtsvoll vor der „riesigen Delegation“, mit der Wen durch Europa reist, gesprochen – und damit nicht untertrieben. Auf Schritt und Tritt ist der Regierungschef umringt von Ministern, Unternehmern, Bodyguards. Nur in den Salon Frédéric des Schlosshotels, in dem Wen mit Spezialtinte und für Europäer seltsam anmutender Handhaltung kunstvolle Schriftzeichen in das Goldene Buch des Landes malt, passt das „Gefolge“ nicht herein. Wieder vereint hasten die Chinesen anschließend durch die Ausstellung zur Potsdamer Konferenz, fachkundig geführt von Schlösserchef Hartmut Dorgerloh. Der hat die Chance genutzt und Wen mitgeteilt, dass die Schlösserstiftung gern mehr chinesische Touristen begrüßen würde – denn jüngst wurden die Aus- und Einreisebedingungen gelockert. Nächste Woche, sagt Dorgerloh, wollen die europäischen Schlösserchefs sich zusammensetzen und ein Marketingkonzept für den chinesischen Markt entwickeln. Keine Konzepte mehr für ihre Zusammenarbeit brauchen dagegen die chinesischen Militärs und ihre Potsdamer Polizeikollegen. „Den Herrn Tang kenne ich schon“, sagt Günter Schmidt, Chef der Wache Nord. Da ist es ihm nicht entgangen, dass der Verteidigungsattaché befördert wurde. Generalmajor ist er jetzt, was Schmidt mit einem Schulterklopfen würdigt. Und während die Staatsmänner Politik machen, unterhält Herr Tang die Journalisten. Yin Chu ist sein Vorname, erzählt er, was so viel heißt wie „früher Morgen“. Zu dieser Uhrzeit sei er nämlich geboren. Charmante Völkerverständigung eines Generalmajors. Ganz ohne erhobenen Zeigefinger.
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