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Landeshauptstadt: Eine für Linke akzeptable Person

Prof. Hermann Goltz mahnt „ausbalanciertes Bild“ von Johannes Lepsius an

Stand:

Die Linksfraktion im Deutschen Bundestag entwerfe „ein einseitiges und wissenschaftlich nicht haltbares Bild“ des Potsdamer Theologen und Humanisten Johannes Lepsius (1858-1926). Wie der Lepsius-Experte und Leiter des Lepsius-Archivs in Halle, Prof. Hermann Goltz, den PNN gestern sagte, enthalte die Kleine Anfrage der Linkspartei im Bundestags „echte Fehler“. Die Abgeordneten Ulla Jelpke und Lukrezia Jochimsen hatten Lepsius in ihrer Anfrage nicht nur einen „stimmgewaltigen Anwalt der Armenier“ genannt, sondern auch als „rechtsgerichteten Antidemokrat, Antisemit und Befürworter eines Großdeutschen Kaiserreichs“ bezeichnet (PNN berichteten).

Johannes Lepsius machte mit seinem „Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei“ von 1916 den Völkermord der jungtürkischen Nationalisten von 1915 bis 1917 europaweit bekannt. Als sein Hauptverdienst gilt die Gründung des Armenischen Hilfswerkes, das „tausenden Armeniern das Leben rettete“, wie Prof. Goltz erklärte. Darauf sei die Linksfraktion in ihrer Kleinen Anfrage nicht eingegangen, was aber zu einem „ausbalancierten Bild“ von Lepsius untrennbar dazugehöre.

Prof. Goltz weist die Darstellung zurück, wonach Lepsius seine Dokumentation von 1919 „Deutschland und Armenien 1914 - 1918“ gefälscht habe. „Es hat keinen systematischen Versuch gegeben, die deutsche Mitschuld am Völkermord an den Armeniern zu verschleiern.“ Gleichwohl bewertet die Bundesregierung diese Publikation als „manipuliert“. Wie es dazu kommen konnte, werde auch Gegenstand der künftigen Forschung im Lepsius-Haus in der Großen Weinmeisterstraße in Potsdam sein, kündigte Prof. Goltz an. Das einstige Wohnhaus des Theologen soll zu einer Forschungs- und Gedenkstätte zu Leben und Werk von Lepsius und des Völkermordes an den Armeniern ausgebaut werden.

Prof. Goltz erinnerte daran, dass die Londoner „Times“ seinerzeit eine deutsche Fassung der in der Kritik stehenden Dokumentation von 1919 rezensierte und feststellte, „dass daraus eine Mitverantwortung Deutschlands am Völkermord deutlich hervor geht“. Daraufhin habe Deutschland auf eine Publikation der Dokumentation in englischer und französischer Sprache verzichtet.

Unverzichtbar sei auch eine Würdigung der berühmten 1916 in Potsdam herausgegebenen Schrift „Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei“, die Lepsius an der deutschen Militärzensur vorbei publizierte. Auch darauf ging die Linksfraktion nicht ein, sie „bezieht sich nur auf umstrittene Sachen und lässt die sicheren weg“, sagte Prof. Goltz. Einzelne Zitate etwa aus Briefen von Lepsius würden benutzt, um das ganze Lebenswerk und die gesamte Persönlichkeit von Lepsius einzuordnen. Mit dieser Methode könnte man behaupten, dass Lepsius ein Marxist gewesen sei. So schrieb Lepsius in einem Brief: „Marx war ein prachtvoller Bursche.“ Prof. Goltz: „Lepsius ist kein Marxist und kein Kommunist gewesen.“ Wohl aber „eine für die damalige Linke akzeptable Person“. Es stecke Prof. Goltz zufolge eine gewisse geschichtliche Ironie dahinter, wenn die Linksfraktion in ihrer Kleinen Anfrage schreibt, Karl Liebknecht habe sich „ebenso“ wie Lepsius darum bemüht, den Völkermord an den Armeniern öffentlich zu machen. Richtig sei vielmehr, dass sich Liebknecht in seinem „Kleinen Anfrage-Feldzug“ von 1916 an die Reichsregierung direkt auf den bereits kursierenden Armenier-Bericht von Lepsius berief. „Liebknecht hat seine Anfragen auf Grundlage der Aufklärungsarbeit von Lepsius gestellt“, so Prof. Goltz: „Es gab eine Arbeitsgemeinschaft des Theologen Lepsius mit dem Kommunisten Liebknecht“. Es sei unhaltbar, einen Graben auszuheben zwischen Lepsius und der Linken, so der Forscher. Lepsius sei eine „integrative Gestalt“. Freilich auch „Kind seiner Zeit“ habe Lepsius „an bestimmten Punkten die Maßstäbe seiner Zeit überwunden“.

Ein „mittelalterliches Verständnis von Theologie“ wirft Prof. Goltz der Linken vor, wenn sie seine Geeignetheit für die Erforschung des Theologen Lepsius in Zweifel ziehe, weil er selbst Theologe ist. Theologie an einer Universität sei heute ein wissenschaftlich-kritisch ausgelegtes Fach, so der Professor an der Universität Halle- Wittenberg. Lepsius, promovierter Philosoph und Theologe, schrieb zu seinem Verständnis von Theologie: „Die Philosophie ist für mich die theoretische Kritik der Wirklichkeit, die Theologie die praktische Kritik der Wirklichkeit“ – der Kritik am Osmanischen Reich, ergänzte Prof. Goltz.

Nicht zuletzt und vehement argumentiert Prof. Goltz gegen den Vorwurf, Lepsius sei Antisemit gewesen: Eng habe Lepsius mit dem Juden Henry Morgenthau senior, Botschafter in Konstantinopel, zusammen gearbeitet. In seinen Memoiren schrieb dieser: „Von den Deutschen kenne ich nur einen, den ich akzeptieren kann und das ist Johannes Lepsius“. Ferner war Lepsius gemeinsam mit dem Juden Albert Einstein in der Zeit des Ersten Weltkrieges Mitglied in der „Vereinigung Gleichgesinnter“, die sich für einen Verständigungsfrieden einsetzten. Auch sei die jüdische Malerin Sabine Graef (1864-1942) Frau seines Lieblingsbruders gewesen. Zudem hatte der Jude Werner Weisbach in die Lepsius-Familie eingeheiratet und schätzte Johannes Lepsius sehr, erklärt Prof. Goltz, der daher fragt: „Wäre das alles so, wenn Lepsius ein notorischer Antisemit gewesen ist?“

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