
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Erinnerungen zwischen Pullis und Glückskatzen
Der Potsdamer Quoc Tuan Nguyen aus Vietnam war einer von 93 500 Vertragsarbeitern in der DDR. Im Stadthaus erinnert jetzt eine Ausstellung an diese Menschen
Stand:
Das Datum weiß er auswendig und kann es sofort fehlerfrei aufsagen. Am 14. August 1988 kam Quoc Tuan Nguyen in Potsdam an. 32 Jahre war er alt und sah in seinem Heimatland keine Zukunft für sich. Nguyen war einer von fast 60 000 vietnamesischen Vertragsarbeitern, die 1989 in der DDR lebten.
„Der Plan war, fünf Jahre zu bleiben“, sagt er. Nguyen sitzt auf einem einfachen Küchenstuhl im hinteren Bereich des Ladens, den er und seine Frau seit sieben Jahren führen. „Es geht so, ein bisschen langsam, aber es reicht“, antwortet er auf die Frage nach dem Umsatz. Die Geschwister-Scholl-Straße in Potsdam- West ist eine Nachbarschaft, in der solche Einzelhandelsexoten noch Chancen haben. „Es gibt Kunden, die schauen täglich rein, auch wenn sie nichts kaufen“, sagt Nguyens Frau Kim Ngan Phung. Vor allem kommen ältere Nachbarn, auch mal Touristen, sogar welche aus Vietnam. Man schwatzt hier gern.
Ausländerfeindlichkeit habe er nie erlebt, sagt Nguyen, weder zu DDR-Zeiten noch jetzt. Er könne natürlich nur für sich sprechen. Jedenfalls sei Potsdam schon lange ihr Zuhause. Vielleicht bedeutet ihnen Vietnam noch ein Stück Heimat, sagt Nguyen nach kurzem Zögern.
In Potsdam war Nguyen im BMK Ost beschäftigt, im Bau- und Montagekombinat. „Wir haben allerlei Fußbodenarbeiten gemacht.“ Gelernt hat er Automechaniker, davor war er während des Krieges in der Armee gewesen. Auch seine Frau war in der Armee, „das war so, alle mussten das“, sagt er. Weil das Land nach dem Krieg kaputt war, wollte er erst mal raus. Zurück blieben die Frau und zwei kleine Kinder. „Fünf Jahre, ich dachte, das schaffen wir schon“, sagt Nguyen, und außerdem wollte er zu Besuch kommen. In Potsdam waren wie generell üblich die Vietnamesen unter sich untergebracht, in einem Wohnheim am Luftschiffhafen. Nur sporadisch kam man mit deutschen Kollegen zusammen, bei Geburtstagfeiern beispielsweise. Die Deutschen hat er als hilfsbereit und fürsorglich in Erinnerung. Man nahm schon mal Rücksicht, wenn die eher zierlichen Vietnamesen die Knochenjobs nicht schafften. Und eine Deutschlehrerin, erinnert sich Nguyen, trieb irgendwie eine Wassermelone auf, etwas ganz Besonderes damals. Weil es in der DDR nicht wie heute an jeder Ecke einen Asia-Laden gab, mussten die Bürger aus Vietnam auf außergewöhnliche Lebensmittel zumeist verzichten. „Wir haben eben gegessen, was es hier gab“, sagt Nguyen. Doch jedesmal, wenn jemand aus dem Heimaturlaub zurück kam, wurden Leckereien von daheim ausgepackt: Glasnudeln und Frühlingsrollenpapier.
Seine Familie hat er nicht ein einziges Mal in Vietnam besucht, denn plötzlich kam die Wende dazwischen. Und schnell war klar, dass er hier bleiben und seine Familie herholen wollte. Dass das klappte, war anfangs gar nicht so sicher. Aber 1992 durften Frau und Kinder einreisen.
„Trotz der vier Jahre dazwischen haben die Kinder mich wiedererkannt“ sagt Nguyen. Zuerst lebten sie im Wohnheim, dann bekam die Familie eine eigene Wohnung. Aber infolge der Wende waren viele der einstigen Vertragsarbeiter bald arbeitslos, auch Nguyen musste sich Gedanken um einen neuen Job machen. Das war schon schwierig, sagt er heute. Während Tochter und Sohn sich schnell in Kindergarten und Grundschule integrierten und Deutsch lernten, experimentierten die Eltern mit einem Marktstand auf dem Bassinplatz, fuhren mehrmals im Monat zu Großhändlern nach Berlin und Leipzig. Der erste Laden in der Feuerbachstraße lief nicht ganz so gut, aber jetzt wollen sie durchhalten.
Die Kinder sind inzwischen groß, der Sohn studiert Maschinenbau, die Tochter hat Wirtschaft studiert und einen Vollzeitjob, sagen die Eltern stolz. Jeden Nachmittag nach Kitaschließzeit bringt die Tochter das vierjährige Enkelkind in den Laden, der dann zum Kinderladen wird, und geht zurück ins Büro. Manchmal bekommt die Enkeltochter noch eine Freundin zu Besuch, dann toben zwei kleine Mädchen durch den Laden, unter Kleiderständern hindurch, oder holen gar das Kinderfahrrad aus der hintersten Ecke, wo jetzt die Sommerware verstaut liegt.
„Die Kinder fühlen sich in Deutschland zu Hause, ein Zurück gibt es nicht“, sagt Nguyen. Wie sie darüber denken, wenn sie alt sind, wer weiß. Sie haben hier ihre Freunde, darunter auch etwa 20 Vietnamesen aus DDR-Zeiten. Die Tanzgruppe von Kim Ngan Phung wollte zur Vernissage der Ausstellung über vietnamesische Arbeiter am Mittwochabend im Stadthaus auftreten. Auch die Symbiose mit der Nachbarschaft stimmt. „Wir hatten langjährige Kunden, da wurden wir von der Familie zur Trauerfeier eingeladen, als die verstorben waren“, sagt Frau Phung gerührt. Ihr Mann zeigt DDR-Reliquien wie Anti-Vietnamkriegs-Plaketten. „Manche Leute schenken uns so was“, sagt er. Ein Geben und Nehmen von Erinnerungen zwischen Strickpullis und winkenden Glückskatzen.
Die Ausstellung über die vietnamesischen Vertragsarbeiter ist bis zum 18. Oktober im Stadthaus, 1. OG, auf dem Flur des Oberbürgermeisterbüros, zu sehen.
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