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Das Frauenzentrum wird heute von Laura Kapp, Jenny Pöller, Heiderose Gerber und Anja Günther (v.l.) geleitet.

© Andreas Klaer

30 Jahre Frauenzentrum Potsdam: „Es gibt noch viel zu tun“

Aufbruch trotz Endzeitstimmung: Das Autonome Frauenzentrum in Potsdam ist 1990 gegründet worden. Rückblick und Ausblick zum Jubiläum, das am Samstag gefeiert wird.

Von Carsten Holm

Potsdam - Wenn Heiderose Gerber davon erzählt, wie das Potsdamer Frauenhaus nach der Wende entstand, ist sie noch immer voller Begeisterung darüber, wie die Frauen sich wieder und wieder an kleineren und größeren Runden Tischen trafen, um ihre Sache voranzubringen. „Das kostete Kraft. 1989 herrschte ja eine Endzeitstimmung in der DDR“, erzählte Gerber, die in der Dramaturgiegruppe des volkseigenen Babelsberger Filmunternehmens Defa arbeitete, am Freitag den PNN: „Nichtstaatliche Frauengruppen gab es ja nur im Rahmen der Friedenspolitik. Aber plötzlich begannen wir, über unsere Rolle in der Gesellschaft nachzudenken. Wir dachten: Alles ist auf einmal möglich, wir können die Welt neugestalten.“

"Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd", lautete ein Slogan

Die Initialzündung geschah am 3. Dezember 1989, als sich in der Berliner Volksbühne der Unabhängige Frauenverband (UFV) konstituierte. „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen“ lautete das Motto der Gründungsversammlung, „Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd“, stand auf einem Spruchband. Schnell etablierten sich fast 50 Frauengruppen, dazu gehörte die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen (UIFP). Schon im Januar 1990 präsentiert die Initiative im Klub der Künstler und Architekten „Eduard Claudius“ in der Schlossstraße 14 Aktivitäten und Arbeitsgruppen: Frauenzentrum, Mütter im Babyjahr, Selbsthilfegruppen, Rentnerinnen, Frauen und Gewalt, Frauen und Wehrdienst und vieles mehr. Etwas skurril: Die UIFP bezog zunächst Räume im früheren Stasi-Untersuchungsgefängnis an der Lindenstraße. Die Aktivistin Ute Tröbner erinnert sich: Der Stasi-Safe stand noch da, das Telefon funktionierte noch, die Toilette war verspiegelt, damit man von außen hineinsehen konnte. Ein paar Monate später dann der Umzug an die Zeppelinstraße 189, die damals noch Leninallee hieß. Da gehören der Initiative bereits rund 150 Frauen aus allen Alters-und Berufsgruppen an. 2011 wurde das Zentrum in die Schiffbauergasse verlegt.

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Der UFV kandidiert bei Wahlen, kommt bei der Kommunalwahl im Mai 1990 in Potsdam aber nur auf 0,6 Prozent der Stimmen. Eine Kooperation mit den Grünen/Bündnis 90 bringt die Frauen nicht voran. Das Potsdamer Frauenzentrum aber ist seit Mai 1990 ins Vereinsregister eingetragen, hält sich wacker und baut seine Angebote Jahr um Jahr aus. Am heutigen Samstag wird in der Schinkelhalle das „Jubiläum 30 + 1 Jahre“ gefeiert – wegen Corona konnte das 30-jährige Bestehen im vergangenen Jahr nicht begangen werden.

Das Gefühl, unabhängig zu sein - aber nicht gleichberechtigt

Heiderose Gerber, seit der ersten Stunde dabei, zeichnet den langen Weg von der Gründung nach. Viele DDR-Frauen, sagt sie, hätten das Gefühl gehabt, unabhängig zu sein. Sie hätten ihr Geld in männlichen und auch in naturwissenschaftlichen Berufen verdient, für die Kinder sei gesorgt gewesen, sie hätten sich problemlos scheiden lassen können, wenn ihre Ehe zerrüttet war. Gleichberechtigt seien sie dennoch nicht gewesen, weil sie, so Gerber, „wie heute auch die Last der Haushaltsarbeit tragen mussten“.

1990 war das Frauenzentrum in der heutigen Zeppelinstraße zuhause, v.l.n.r.: Ute Tröbner, Dagmar Döring, Brigitte Kirsten, Beate Müller, Barbara Fadtke, Jeanette Toussaint, Sieglinde Reinhardt, Wernick und Lea Edelmann.
1990 war das Frauenzentrum in der heutigen Zeppelinstraße zuhause, v.l.n.r.: Ute Tröbner, Dagmar Döring, Brigitte Kirsten, Beate Müller, Barbara Fadtke, Jeanette Toussaint, Sieglinde Reinhardt, Wernick und Lea Edelmann.

© Autonomes Frauenzentrum Potsdam

Aber es habe sich „viel getan seit der Wende“, sagt Gerber. Tabus seien gebrochen worden, es werde offener über den sexuellen Missbrauch von Kindern und, vor allem seit der MeToo-Bewegung, über sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe gesprochen. Die Vorstandsfrau weiß, wie es aussieht in der Stadt, in der am Ende vorigen Jahres 93.531 Frauen und 88.688 Männer lebten: dass in Potsdam Frauen nach Angaben der Rentenversicherung durchschnittlich 1002, Männer aber 1272 Euro Rente erhalten, 270 Euro mehr. Sie weiß, wer die größere Last trägt, wenn laut Stadt das Bundeselterngeld zu 69 Prozent von Frauen und nur zu 31 Prozent von Männern beantragt wird – und 71,6 Prozent der Teilzeitbeschäftigten Frauen und nur 28,4 Prozent Männer sind. „Es ist noch sehr viel zu tun“, sagt Gerber.

Potsdams Gleichstellungsbeauftragte fordert bessere Unterstützung von Bund und Land

Die Potsdamer Gleichstellungsbeauftragte Martina Trauth bewertet die Arbeit des Frauenzentrums mit Bestnoten. Die frauenpolitische Arbeit dort sei „ein Zugpferd“, ohne das Zentrum „wären wir nicht so weit gekommen, auch nicht hinsichtlich der Aufmerksamkeit bei Gewalt gegen Frauen“. Trauth kritisiert, dass das Frauenhaus noch nicht in die Pflichtfinanzierung aufgenommen worden sei und Anträge etwa für Projekte mit großem Aufwand an Bürokratie jährlich neu gestellt werden müssten. Das könnten Bund und Land leicht ändern, „wenn sie Frauenpolitik ernst nehmen“, sagte sie den PNN, „das kann man nicht den Kommunen allein überlassen“.

Die vielfältige Arbeit des Zentrums indes geht weiter. Unter dem Motto „Wir lassen keine im Regen stehen“ gibt es eine Frauenberatungsstelle, ein Frauenhaus für Frauen und Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen oder bedroht sind, eine Aufnahme ist im Notfall rund um die Uhr möglich. In dringenden Fällen gibt es auch Platz in einer Frauennotwohnung. Im Mädchentreff Zimtzicken treffen sich Mädchen und junge Frauen im Alter von acht bis 22 Jahren aus verschiedenen Nationen und Kulturen.

Die Frauen haben einen Traum: den Umzug von der Schiffbauergasse mitten ins Potsdamer Zentrum am Alten Markt. Die Wohnungsbaugesellschaft Karl Marx errichtet dort bis 2023 ein Haus, in das sie gern einziehen würden. Die Genossenschaft habe sich, so Jenny Pöller vom Frauenzentrum, „offen gezeigt”. Beteiligt werden könnten der Frauenpolitische Rat, ein Zusammenschluss von 23 Frauenverbänden und weitere Organisationen wie das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser. In der Stadtmitte hatten die Frauen bereits von 1990 bis 2011 eine Bleibe in der historischen Persius-Villa an der Zeppelinstraße 189. „Wir würden gern zurück ins Zentrum“, sagt Pöller, „aber wir warten nun auf eine Antwort von Karl Marx oder anderen, die dort bauen“. Eine Stadt wie Potsdam könne es sich „eigentlich nicht leisten, in seiner Mitte kein Haus der Frauen zu haben“.

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