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Echte Handarbeit. Im Headquarter von Facebook in Kalifornien gibt es eine Tafel für handschriftliche Mitteilungen.

© Reuters

Internet: Facebook gelöscht

An der Filmhochschule diskutierten Vertreter von Medien, Forschung und Kirche über Werte im Internet.

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Normalerweise wäre die Sache in der Redaktionskonferenz des ZDF und auf den Medienseiten der Presse diskutiert worden. ZDF-Journalistin Bettina Schausten war Bundespräsident Christina Wulff im TV-Interview in die Falle gegangen, als sie ihm antwortete, sie würde von Freunden 150 Euro für eine Übernachtung nehmen. Ein handwerklicher Fehler, schließlich lässt man sich als Journalist – zumal in einer Live-Sendung – nicht auf Gegenfragen ein. Daraufhin brach im Internet eine Flut von Spott und Hohn über die Journalistin herein.

An diesem Beispiel werde deutlich, dass die neuen Medien nicht nur eine hilfreiche Ergänzung sind, sondern auch einige Untiefen mit sich bringen, sagte die RBB-Programmdirektion Claudia Nothelle auf einer Tagung über „Werte und Religion in der digitalen Medienwelt“ an der Potsdamer Filmhochschule HFF. Auch für den hannoverschen Landesbischof Ralf Meister ergeben sich kritische Fragen an die gegenwärtige Entwicklung. Spott und Häme habe es auch früher gegeben, doch das blieb am Stammtisch, wurde nicht zeitgleich millionenfach reproduziert. Und: man habe viel eher zu seinem Wort gestanden. Die Anonymität des Internets evoziere heute vielfach ein fehlendes Unrechtsbewusstsein. Fragen der Persönlichkeits- und der Urheberrechte würden zunehmend verschwimmen.

Natürlich wurden auf der Tagung, die von der HFF zusammen mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) veranstaltet wurde, auch positive Aspekte von Facebook, Twitter & Co erwähnt, allen voran die Beförderung der politischen Umbrüche in der arabischenWelt, die Möglichkeit Informationen vielfach gegenzurecherchieren oder auch die aufklärerischen Ansätze von globalen Gruppierungen wie Anonymous oder WikiLeaks. Doch der skeptische Blick auf die Entwicklung überwog bei dem Treffen.

Bischof Meister erklärte, dass Freiheit, Gemeinschaftsbildung und Transparenz positive Ansprüche seien, die von der evangelischen Kirche mitgetragen würden. „Allerdings liegen in diesen drei Begriffen auch Gefahren“, sagte der Bischof mit Blick etwa auf terroristische Aktivitäten oder Diffamierungen im Internet. Die Würde des Menschen lasse sich mit den Möglichkeiten der neuen Medien heute leichter verletzen als je zuvor. Meister warnte daher vor Missbrauch in den digitalen Medien. Er wolle allerdings keinen Generalverdacht aussprechen: „Es geht um kritisches Beobachten und rechtliche Regulierungen.

Meister – als ehemaliger „Wort zum Sonntag“-Sprecher auch selbst medienerfahren – forderte verstärkte Bemühungen um ethische Verantwortung in der digitalen Medienwelt. Es sei eine Aufgabe der Politik, angesichts der neuen Möglichkeiten von sozialen Netzwerken und Internet verstärkt auf die Ausbildung von Medienkompetenz zu achten. Es gehe darum, mit der wachsenden Freiheit verantwortlich umzugehen. Für den Umgang mit ihr sollte eine soziale Kultur geschaffen werden, was eine spezifische Bildung an Schulen und Hochschulen voraussetze. „Kulturelle Gewohnheiten“ für den Umgang mit sozialen Netzwerken müssten erst noch erlernt werden.

„Die Menschen müssen für einen verantwortungsvollen Umgang mit den digitalen Medien gerüstet sein“, sagte Meister. Medienmitarbeiter müssten „die Grenzen individueller Freiheit beschreiben können, weil sie die Gefahren unbegrenzter Freiheit kennen“. Meister konstatierte heute eine radikale Veränderung der Kommunikation. Medien könnten ein wirkungsvolles Instrument sein, um die Welt gerechter und friedlicher zu machen, wenn sie ethisch verantwortungsvoll genutzt würden. Auch plädierte Meister für die Einsetzung einer Ethikkommission.

Schneeballeffekt durch Medien seien nicht neu, erinnerte der Geschäftsführer des Medienboards Berlin-Brandenburg, Elmar Giglinger. Schließlich habe es zu Goethes Zeiten schon eine Selbstmordwelle nach dem Erscheinen des „Werther“ gegeben. Dennoch: Es bestehe Handlungsbedarf, und zwar dringend. Denn die Entwicklung von Web.2, Smartphones und Pads stehe erst am Anfang. In Zukunft würden Informationen in noch größerem Maße überall und permanent verfügbar sein. Dabei müssten für das Internet die gleichen Wertmaßstäbe und Regularien gelten wie heute für Film und Fernsehen. In den sozialen Netzwerken und Internetforen stünde heute Transparenz gegen Datenschutz. Die Frage, wo Meinungsfreiheit endet und Privatsphäre beginnt, sei offen, wie auch die Fragen nach Urheber- und Persönlichkeitsrechten. Daher forderte Giglinger „mehr Medienkompetenz in der Gesellschaft“, ein zeitgemäßes Urheberrecht und einen wirksamen Schutz vor gefährlichen Inhalten, etwa menschenverachtende Darstellungen, Kinderpornografie, und Extremismus. Die Politik müsse die Sperrung von Anbietern ermöglichen, egal wo die Server stehen würden.

Allerdings sind die Medien nach Giglingers Ansicht nicht die Ursache für einen möglichen Verfall des Wertesystems der Gesellschaft: „Sie zeigen eher die Auswirkungen.“ Das Wertesystem werde durch Ministerpräsidenten, die betrügen, viel mehr angegriffen als durch das Nachmittagsprogramm der Privatsender. „Wir brauchen Vorbilder, Menschen die an der Spitze der Gesellschaft stehen müssen Werte vorleben“, lautete sein bissiger Kommentar zur Wulff-Affäre.

Dass man als Person des öffentlichen Lebens stärker auf seine Medienpräsenz achten muss, ist zumindest Landesbischoff Meister längst klar. Nach seinem Amtsantritt habe er seinen privaten Facebook-Account gelöscht. „Facebook passt nicht zu einem Bischof“, hätte ihm ein Berater gesagt. Immerhin sei er einer der ersten bei Facebook gewesen, trotz oder gerade wegen seiner skeptischen Haltung gegenüber den Möglichkeiten der digitalen Medien.

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