
© Andreas Klaer
Gutenbergstraße 90: Flaggenalarm in Potsdam
Auf einem Haus in Potsdam weht eine Art Reichsdienstflagge. Also Nazi-Kram? Nur auf den ersten Blick.
Stand:
Potsdam - Für Schauspieler und Wahlpotsdamer Christian Ulmen ist es ein ziemlicher Aufreger. An einem Freitag vor eineinhalb Wochen schrieb Ulmen über den Kurznachrichtendienst Twitter: „Menschen Potsdams, in der City direkt vor Karstadt: weht eine Reichsdienstflagge.“ Dazu ein Foto von einem Haus in Potsdam, darauf ein Fahnenmast mit eben dieser Flagge: schwarz, weiß, rot, mit Adler in der Mitte. Auf den ersten Blick folgt der Eindruck, das ist doch irgendwas zwischen Reichskriegsflagge und Symbol des Dritten Reichs. Nazi-Kram. Brauner Schund.
Darf das sein? Mitten in der Stadt über den Dächern Potsdams, der Stadt des Toleranzedikts ein Symbol, das auch gern von Rechtsextremen genutzt wird? Die PNN sind der Sache deshalb nachgegangen. Vorab sei festgehalten: Ganz so einfach, wie es der Schauspieler auf den ersten Blick sah, ist es nicht. Es ist nicht die sogenannte Reichsdienstflagge, wie es sie im Kaiserreich oder in den ersten Jahren des Dritten Reiches gab. Dennoch ist Ulmen mit seiner Verwunderung in Potsdam nicht allein.
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Die Spur unserer Recherchen führte in die Innenstadt, in die Gutenbergstraße. Dort ist die Fahne schon seit Jahren Thema – für Anwohner, für Geschäftsbetreiber, aber auch für die Mieter des Hauses. Einer erzählt, dass die Bewohner schon mehrfach versucht hätten, beim Vermieter eine Auskunft zu erhalten über die Fahne da über ihnen. Sogar das Mobile Beratungsteam gegen Rechts wurde eingeschaltet, um den Hausbesitzer zu sensibilisieren, dass das Ding einen komischen Eindruck macht.
Anwohner schämen sich
Seinen Namen will aber niemand aus dem Haus in der Zeitung lesen. Deshalb bleiben sie hier anonym. Eine Bewohnerin sagt: „Ich schäme mich.“ Immer wieder würden Menschen vor dem Haus stehen bleiben und nach oben blicken, zu der Fahne, und sich wundern. Und immer wieder die Frage: Darf das sein? Ist das ein Symbol von Nazis, zumindest aber erzkonservativen Revanchisten, Fans der dunklen Kaiserzeit? „Ich mache dann immer das Fenster auf und sage den Menschen, dass die Fahne nicht im Sinne der Hausbewohner ist", sagt ein Bewohner.
Meist sind es jedoch nicht Potsdamer, sondern vor allem Besucher der Stadt, Touristen, die dort mit großen Augen vor dem Haus stehen, das vor allem durch seine hochherrschaftliche Fassade aus der Häuserzeile hervorsticht. Linke verdächtigten sogar das italienische Restaurant im Haus, Treffpunkt von Neonazis zu sein – was natürlich nicht der Fall ist. Und auch in den Geschäften rundherum werden die Inhaber von den Kunden angesprochen, was die Fahne soll. Antworten hat niemand so recht. Dabei hängt die dort schon lange.
Vor Jahren noch, berichten Hausbewohner, war das hier noch umkämpftes Gebiet. Autonome sollen regelmäßig, so wird es übereinstimmend berichtet, auf das Dach gedrungen und die Fahne heruntergerissen haben. Sogar die Stadtpolitik war mit der Flagge befasst. Das ist aber noch länger her. Die Wählergruppe Die Andere fragte damals im Jahr 2002 beim Rathaus nach, ob die Flagge denn rechtens sei.
Hausverwaltung äußert sich
Die Stadtverwaltung konnte keinen Verstoß feststellen. Eine Genehmigung sei nicht nötig, es handle sich ja nicht um eine Werbeanlage. Möglicherweise handle es sich um einen Teil des Denkmals, als das das Haus geschützt ist. Die Erneuerung der Fahnenstange und der Fahne wären genehmigungspflichtig. Dafür lag der Stadt aber damals kein Schriftverkehr, kein Antrag bei der Denkmalschutzbehörde vor. Alles rechtliches Kleinklein. Immerhin fand das Rathaus damals heraus, dass es im Jahr 1910 einen genehmigten Fahnenmast samt Fahne auf dem Gebäude gab. Und das, also die „vorhandene historische Stangenanlage“, war immer noch so, als das Haus dann unter Schutz gestellt wurde. Also würde die Behörde die Erneuerung ohnehin genehmigen.
Auch die Hausverwaltung äußert sich am Ende noch. Negativpresse mag keiner. Das Haus gehört einem Versicherungsmakler aus dem niedersächsischen Burgwedel. Der ist ganz aufgeschlossen: Ihm sei bislang aber durch seine Hausverwaltung noch nicht zu Ohren gekommen, dass es Beschwerden über die Flagge gab.
Jedenfalls hat das Haus eine Geschichte. Erbaut worden sei es einst von einem Hoflieferanten des Kaisers, weshalb es sich prunkvoll abhebt zwischen den niedrigen und gedrungenen Häusern der Garnisonstadt. Und dazu gehört eben auch eine eigene Fahne. Als er das Haus 1996 kauft und sanieren ließ, ging es auch um die Fahne. Mit der Denkmalpflege sei alles abgestimmt worden, es gab Auflagen, berichtet er. Auch Mast und Flagge hätten dazugehört. Sogar das Brandenburger Innenministerium habe die Flagge geprüft, wegen der Geschichte und so. Die sei nach historischem Vorbild, so wie es einst auf dem Haus hing, kreiert worden.
Der Hausverwalter erzählt, mit der Baudenkmalpflege sei damals alles abgestimmt worden, es ging um das historische Bild. Bei der Fahne gehe es um den Bezug zu Preußen und Brandenburg. Man verwahre sich auch gegen den Vorwurf, dass die Flagge an die Reichsdienstflagge angelehnt sei. Dem Eigentümer liege es fern, irgendeinen nationalsozialistischen Hintergrund aufleben zu lassen. Es gebe keinen politischen Hintergrund.
Der Hauseigentümer überlegt nun, eine Tafel am Haus anzubringen, die das alles erklärt. Die Fassade müsse ohnehin erneuert werden. Dann wäre für alle Passanten auch die Flagge da oben erklärt. „Ich kann Ihnen sagen, ich hänge nicht daran“, sagt der Eigentümer. Aber der Denkmalschutz. Potsdam eben. Herr Ulmen – übernehmen Sie!
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